Die Parteien sammeln sich zu einem starken Finish in dieser verkürzten Legislaturperiode. Momentan liegen bereits 36 Anträge für die beiden Plenartage vor, die kurz vor der Nationalratswahl am 29. September anberaumt sind. Und es könnten noch mehr werden. Es ist natürlich verlockend: Wenige Tage vor der Wahl öffnet sich noch einmal die größte Politikbühne des Landes, eine letzte schöne Gelegenheit für theatralische Inszenierungen.

Das parlamentarische Schaulaufen wird nicht mehr wahlentscheidend sein, aber zumindest wird die eigene Klientel mit einer Zuspitzung der Parteiposition noch einmal mobilisiert.

Die alte Kanzlerpartei ÖVP kann mit alldem keine rechte Freude haben. Denn es werden an ihr vorbei nicht unwesentlichen Anträge, etwa im Bereich der Sozialpolitik, der Pflege oder des Tierschutzes, beschlossen, was den Eindruck hinterlassen wird, es ginge auch ohne ÖVP, ohne die Türkisen.

Die Anträge im Parlament betreffend Ökostrom, Tierschutz, Sozialpolitik, Steuerreform und Pflege müssen nun ihre Mehrheiten finden.
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Dass sich Sebastian Kurz mit seiner Partei nunmehr in einer durchaus defensiven Position befindet, war sicher nicht Teil der angeblich bis ins letzte Detail ausgetüftelten Strategie. Seine Abwahl hat Kurz kalt erwischt, ihn eingebremst und den Höhenflug vorerst gestoppt.

Die Kanzleridentität ist weg und damit auch eine Spur an Souveränität. In den Bodenschichten der ÖVP hat sich wahrnehmbar eine gewisse Ernüchterung breitgemacht – was sich noch nicht auf das Wahlverhalten auswirken muss. So schnell wird die Sonne nicht vom Himmel fallen.

Das freie Spiel der Kräfte

Die Anträge jedenfalls, die bisher vorliegen, sind weitgehend akzeptabel. Sie müssen nun ihre Mehrheiten im Parlament finden. Die Themen sind ausgewogen: Ökostrom, Tierschutz, Sozialpolitik, Steuerreform, Pflege. Die Anträge sind durchaus verantwortungsbewusst formuliert. Den Antrag auf Bargeld in der Verfassung, den die FPÖ einbringen will, und jener Antrag, das Wiener Bauprojekt Heumarkt zu stoppen, der gegen die SPÖ gerichtet ist: gut, geschenkt, es ist Wahlkampf. Die berechtigte Frage, die die Neos aufwerfen, ist allerdings: Ist das alles? Oder kommen im letzten Augenblick noch Anträge, die die berühmten, budgetgiftigen Zuckerln enthalten? Werden die Parteien dem Druck ihrer Klientel und Sponsoren standhalten?

Wir sollten gewarnt sein, aber letztendlich auch die große Chance sehen, die diese Zeit der "Zwischenregierung" bot: die Chance zur Bildung wechselnder Mehrheiten.

In diesen Monaten des Interregnums konnten die Parteien das freie Spiel der Kräfte facettenreich ausprobieren. Es hat im großen Überblick einen guten Eindruck hinterlassen und würde sich auch für die nächste Legislaturperiode – wer immer dann in einer Koalition zusammenfindet – als Teil des parlamentarischen Zusammenspiels empfehlen.

Die nächste Regierung sollte sich bei heiklen Materien, wo sie sich nur mit faulen Kompromissen (siehe Nichtraucherschutz) durchquält, koalitionsfreie Räume gönnen. Das freie Argument soll die Richtschnur sein und nicht die Koalitionsdisziplin.

Dieser Grundgedanke müsste ja endlich auch durch die Parteien wehen und dort den Klubzwang lockern.

Vielleicht sind die Parlamentsabgeordneten in den Monaten des Interregnums tatsächlich, wie sie vorgeben, selbstbewusster geworden. Dies wäre ein unerhoffter Kollateralnutzen der Krise, in die die türkis-blaue Regierung die Republik geführt hat. (Walter Müller, 9.8.2019)