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Schild an der Zufahrt zum Militärgelände Njonoxa, Oktober 2018.

Foto: REUTERS

Moskau – Mit mehrtägiger Verzögerung haben die russischen Behörden Details zu dem atomaren Unfall preisgegeben, der sich auf einem Militärstützpunkt am Weißen Meer ereignet hat. Nach den am Wochenende vorliegenden Informationen kamen bei dem Vorfall am Donnerstag mehrere Menschen ums Leben. Es gab außerdem eine atomare Verstrahlung von bis zu 2,0 Mikrosievert pro Stunde. Der reguläre Höchstwert beträgt 0,6 Mikrosievert pro Stunde.

Am Sonntag wurden fünf bei dem Unfall verunglückte Atomexperten posthum zu "Nationalhelden" erklärt. "Die Wissenschaftler sind nationale Helden", sagte Valentin Kostjukow, Leiter eines Nuklearzentrums, das Teil der staatlichen russischen Nuklearagentur Rosatom ist. "Diese Menschen waren die Elite des russischen Nuklearzentrums und haben unter unglaublich schwierigen Bedingungen Tests durchgeführt".

Das Unglück ereignete sich auf dem Testgelände Njonoxa, rund 30 Kilometer von der Stadt Sewerodwinsk entfernt.

Auch nach der Veröffentlichung mehrerer Erklärungen vom Verteidigungsministerium, der Atombehörde Rosatom und der russischen Armee bleiben einige Fragen ungeklärt. So stellten die Behörden nicht klar, ob die von Rosatom bestätigten fünf Todesfälle eigener Mitarbeiter um zwei Todesfälle von "Spezialisten" ergänzt werden müssen, die kurz nach dem Unglück von der Armee bekanntgegeben wurden. Außerdem gab es unterschiedliche Angaben zum Ausmaß der atomaren Verstrahlung – was in der betroffenen Region zu Panikkäufen von Jod-Tabletten führte.

Information wurde wieder gelöscht

Erst am Samstag wurde der atomare Charakter des Unglücks von den Moskauer Behörden eingeräumt. Rosatom teilte mit, seine Beschäftigten seien damit beauftragt gewesen, die "isotopische Energiequelle" für eine Rakete zu betreiben, die auf der Plattform getestet wurde. Dabei dürfte es sich nach Einschätzung von Jeffrey Lewis vom US-Institut für Internationale Studien in Middlebury um eine atomar betriebene Rakete von Typ 9M730 Burewestnik handeln. Diese Rakete, die im Februar erstmals vom russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgestellt wurde, wird im Nato-Jargon auch als SSC-X-9 Skyfall bezeichnet.

Das Unglück ereignete sich auf dem Testgelände Njonoxa, das rund 30 Kilometer von der Stadt Sewerodwinsk entfernt ist. Die Behörden in Sewerodwinsk stellten am Donnerstag zunächst die Information auf die städtische Homepage, dass "ein kurzer Anstieg des Strahlenniveaus" festgestellt worden sei. Diese Information wurde dann aber wieder gelöscht.

Greenpeace widerspricht Behörden

Am Wochenende erklärte Valentin Magomedow vom örtlichen Katastrophenschutz, die atomare Verstrahlung habe während einer halben Stunde bei 2,0 Mikrosievert gelegen. Die Umweltorganisation Greenpeace erklärte unter Berufung auf Mitarbeiter eines Atomforschungszentrums, die Verstrahlung habe länger als eine Stunde bei diesem Wert gelegen.

Nachdem die russischen Behörden das Gebiet um die Unfallstelle für den Schiffsverkehr gesperrt hatten, verließen am Donnerstag alle Schiffe bis auf den Transporter Serebrjanka den 30-Kilometer-Streifen vor der Küste. Das Schiff blieb 30 Stunden im Sperrgebiet, bevor es am Freitagnachmittag langsam Fahrt aufnahm. Die Serebrjanka ist eine Spezialkonstruktion für den Transport radioaktiver Substanzen aus den 1970er-Jahren, die in der Vergangenheit zur Verklappung von Atommüll aus dem Atomflottenstützpunkt bei Murmansk eingesetzt wurde, wurde aber immer wieder auch in der Nähe russischer Waffentests beobachtet.

Panikkäufe von Jodtabletten

In der Stadt Sewerodwinsk, die 190.000 Einwohner hat, setzten am Freitag Panikkäufe von Jod-Präparaten ein. "In einer Stunde war der gesamte Vorrat ausverkauft", sagte die Apothekerin Jelena Warinskaja. Boris Schuikow vom Institut für Nuklearforschung in Moskau sagte, isotopische Energiequellen würden vor allem in der Raumfahrt genutzt und stellten für die Nutzer normalerweise keine Gefahr dar. Die von ihnen ausgehende Radioaktivität sei "absolut nicht vergleichbar mit der von ernsthaften Unfällen in Reaktoren".

In der früheren Sowjetunion ereignete sich 1986 das Atomunglück von Tschernobyl. Die Behörden versuchten damals, das Ausmaß der Katastrophe zu verschleiern, das sich als schwerster Atomunfall in der Geschichte herausstellte. 30 Menschen starben bei der Explosion in Tschernobyl, Hunderte an den Spätfolgen. In weiten Teilen der damaligen Sowjetunion und Europas wurde über längere Zeit erhöhte radioaktive Strahlung gemessen. (APA, red, 11.8.2019)