Ohne Patschen kommt man in Bosnien nirgendwo rein.

Foto: Standard / Matthias Cremer

Die Masseurin schüttelte missbilligend den Kopf: "Schuhe ausziehen!" Ich drückte im Vorzimmer schnell meine Fersen aus den Sandalen, stellte sie in die Ecke und wollte die eineinhalb Meter weiter ins Behandlungszimmer gehen. "Patschen anziehen!", pfauchte die Dame in den Leggings und mit den aufgesteckten Haaren und verwies mit dem Zeigefinger auf die blauen Filzdinger, die innen drinnen sicher 42 Grad hatten und die sie vor mich hingeworfen hatte. Ich wagte nichts zu sagen und schlurfte mit den glühenden Füßen in die kratzigen Schlapfen. Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, schupfte ich sie schnell unter das Kastl.

Die Masseurin mochte mich nicht. Das war spätestens dann zu bemerken, als ich ohne Schlapfen zum Bezahlen kam. "Wo sind die Patschen?", fragte sie mich wie eine böse Kindergartenpädagogin ein böses Kindergartenkind. "Wissen Sie, diese Frau ist nicht von hier, sie weiß nicht, was sich gehört!", erklärte sie den im Wartezimmer sitzenden anderen Patienten und drehte dabei ihre Augen nach rechts, nach oben und nach links. "Wissen Sie, diese Leute hier glauben, dass sie ohne Patschen nackt sind, dass sie ohne Patschen nicht ernst genommen werden, wahrscheinlich glauben sie ganz tief drinnen sogar, dass sie ohne Patschen gar keine richtigen Menschen sind", wollte ich erwidern, schaute die Masseurin aber nur niedergeschlagen an und verließ wie eine ertappte Verbrecherin den Salon.

Quasi Gotteslästerung

Es ist nicht so, dass man sich in Sarajevo aussuchen kann, ob man Hausschuhe anziehen will oder nicht. Es ist schlichtweg eine Frage der Zivilisation, eine Frage von Urbanität. Nicht einmal die Dorfleute bleiben in denselben Schuhen, wenn sie ein Haus betreten, erklärten mir die Leute anfangs bemüht die hiesigen Sitten.

In Wahrheit tun sie so, als wäre es eine Gotteslästerung, wenn man mit Straßenschuhen ein Haus betritt. "Das ist doch keine Moschee!", bemerkte ich einmal kleinlaut , als mir bei Freunden wieder die Patschen vor die Zehen gestellt wurden. Patschen zu bekommen bedeutet, dass man sofort die Schuhe ausziehen muss. Das Argument "Ich habe heiße Füße!" kommt selbst dann nicht an, wenn in mir die ernsthafte Sorge aufkommt, dass meine Füße in den Hausschuhen vor Hitze zerplatzen.

Patschenkult

Das Wort "papuče" für Patschen ist arabischen Ursprungs. Der Patschenkult ist so richtig unter den Osmanen im 16. Jahrhundert aufgekommen. Jeder in Bosnien wollte damals unbedingt die unnötigen Dinger, und deshalb entwickelte sich ein Handwerkszweig: Die Papudžije machten Patschen aus Leder. Heute sind die meisten Hausschuhe allerdings billige Massenware aus Kunstfaser, im Kosovo bevorzugt man die rutschfeste Badezimmervariante aus Vollplastik. Der Vorteil: Ich vermute wenigstens keine Spinnen und Milben darin.

"Wieso darf ich nicht barfuß gehen?", habe ich schon öfters Bekannte und Freunde gefragt, die mir im Juli oder August in ihren Wohnungen Pantoletten zuschoben. "Barfuß? Das machen nur Leute, die sich keine Schuhe leisten können", antworteten manche. "Barfuß, das ist sehr peinlich!", meinten die anderen. Ich habe seither meine Füße genauer beobachtet, um zu erkunden, was an ihnen so verstörend sein könnte. Gut, im Sommer schwellen sie an und werden noch bamstiger. Meine Schwestern sagten früher manchmal, ich hätte Füße wie Fred Feuerstein. Dick, ja, aber peinlich? "Ich zeige euch ja nicht meinen Bauchnabel!", versuchte ich meine bosnischen Freunde umzustimmen.

Böse Barfußträume

"Auch wenn man nur träumt, dass man barfuß ist, kann schon großes Unheil bevorstehen!", erwiderte ein lieber Bekannter. "Barfußträume bedeuten jedenfalls, dass große Veränderungen kommen. Du sollst dir deshalb niemals an den Füßen eine Blöße geben!", erklärte er. Vielleicht gibt es eine kollektive Angst vor nackten Füßen auf dem Balkan, eine kulturell bedingte Podophobie, überlegte ich. Kürzlich vermeldete eine Zeitung in der Region jedenfalls ein "schockierendes Ereignis". Auf einer Dorfstraße wurde ein zweijähriger Bub gesichtet, der keine Schuhe anhatte. Diese Leute hier wissen nicht: Kieseln und Wurzeln unter den Fersen, das war meine Kindheit. Barfuß sein, das war der Sommer, barfuß im weichen Gras, das war das größtmögliche Glück.

"Ich möchte bitte diese Hausschuhe nicht anziehen!", sagte ich der Masseurin, als ich wieder kam. Ich hatte diesen Satz vorher eingeübt und versuchte ihrem Blick standzuhalten. "Es ergibt auch überhaupt keinen Sinn, wegen eineinhalb Metern Distanz das Schuhwerk zu wechseln", fügte ich hinzu. "Wenn Sie mich jetzt zwingen, diese hässlichen Slipper anzuziehen, dann verlieren Sie eine Kundin!", entwich es aus meinem Mund. Meine Knie wurden weich. "Sie leiden an einer Hausschuh-Fixierung!", quäkte ich am Ende. Dann rannte ich aus dem Salon, die Treppen hinunter.

Ein Paar goldene Pantoffeln

Ich schlief in dieser Nacht sehr unruhig und träumte davon, dass mir die Bundeslade erschien. Doch in der Bundeslade lagen nicht die zwei Steintafeln, sondern ein Paar goldene Pantoffeln: "Du sollst deine Füße bedecken!", "Du sollst die Patschen ehren", las ich die ersten zwei Gebote auf dem linken goldenen Patschen. Dann wachte ich wegen meiner heißen Fred-Feuerstein-Füße wieder auf. (Adelheid Wölfl, 15.8.2019)