An einem gibt es keinen Zweifel: Android ist längst zum meistverwendeten Betriebssystem der Welt avanciert. Auf mehr als 2,5 Milliarden Geräten läuft das Betriebssystem laut Google derzeit. Und dabei handelt es sich "nur" um von Google zertifizierte Android-Versionen. Inoffizielle Ableger, wie sie etwa den chinesischen Markt dominieren, sind hier noch gar nicht mitgerechnet.

Das bedeutet aber auch: Von grundlegenden Änderungen an Android sind – früher oder später – Milliarden Menschen betroffen. Und genau eine solche nimmt Google nun mit einer neuen Softwaregeneration vor. Mit Android 10 krempelt Google eine der zentralen Komponenten um: die Systemnavigation.

Disclaimer

Bevor es ins Detail geht, noch eine wichtige Anmerkung vorab: Der vorliegende Test konzentriert sich bewusst auf die sichtbaren Änderungen von Android 10. All die technischen Details zu Umbauten an der Softwarebasis wurden bereits an anderer Stelle ausführlich abgehandelt. Und davon gibt es dieses Mal jede Menge. So nimmt Google mit Project Mainline den Herstellern einen Teil der System-Updates aus der Hand. Einzelne Komponenten werden also standardisiert und künftig direkt von Google an alle Smartphones ausgeliefert. Dazu kommen eine breite Palette an Privacy- und Security-Verbesserungen sowie zahlreiche neue Möglichkeiten für Entwickler, wie etwa der Support für faltbare Smartphones und 5G-Verbindungen. Um hier unnötige Dopplungen zu vermeiden, sei für all das aber schlicht auf den bereits früher veröffentlichten Artikel verwiesen. Und noch eine kleine Anmerkung: Wer sich fragt, wie denn der Codename der neuen Softwaregeneration lautet, der muss enttäuscht werden. Einen solchen gibt es dieses Mal nämlich nicht mehr.

Android 10 mit dunklem und hellem Theme.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Gesten für alle (die wollen)

Android 10 bringt also eine neue Gestennavigation – und zwar eine, die bei allen künftigen Android-Smartphones von Haus aus eingerichtet sein soll. Um die Relevanz dieses Wandels zu verstehen, zunächst ein kurzer historischer Abriss: In den frühen Jahren von Android wurde die Systemnavigation über Knöpfe geregelt – und zwar physische. Schon beim allerersten Android-Smartphone, dem von Google in Kooperation mit HTC entwickelten T-Mobile G1, fanden sich dabei jene Konzepte, die bis heute weitgehend erhalten blieben: Es gab Buttons für "Home", "Zurück" und "Menü". Einzelne Hersteller ergänzten diese um den einen oder anderen zusätzlichen Knopf, und irgendwann folgte der Wechsel auf Soft-Touch-Buttons. Der Kernaufbau blieb aber über Jahre hinweg bei allen der gleiche.

Im Jahr 2011 folgte dann der erste große Umbruch: Mit Android 4 "Ice Cream Sandwich" machte Google die Knöpfe zum Teil des Betriebssystems. Anstatt Hardware-Knöpfe sollten fortan also schlicht am untersten Ende des Bildschirms positionierte Softwareknöpfe zur Navigation verwendet werden. Parallel dazu wurde der Menüknopf durch einen zum Aufruf des "Task Switchers" ersetzt – um also einen schnellen Zugriff auf die zuletzt geöffneten Apps zu haben. Viele Hersteller sträubten sich lange gegen Googles Vorgabe und beharrten lieber auf Hardwareknöpfen, andere – allen voran Samsung – konnten es nicht lassen, die Reihenfolge der Buttons zu verändern. Trotz dieser Startschwierigkeiten entwickelte sich dieses System irgendwann zum Standard unter Android.

Doch dann folgte ein neuer Smartphone-Trend: Das Bestreben, die Displayfläche besser auszunutzen, ließ die Hersteller nach alternativen Navigationsmethoden suchen. Und so wurde ein Konzept ausgegraben, an dem sich schon Jahre zuvor Hersteller wie Palm und Nokia versucht hatten: die Gestensteuerung. Apple legte hier mit dem iPhone X vor, viele Android-Hersteller bieten zumindest alternativ ebenfalls bereits länger eine solche Navigationsmethode an. Und auch Google selbst versuchte sich mit Android 9 "Pie" bereits an einem solchen Konzept.

Alles wird eins

Mit Android 10 soll all dies nun vereinheitlicht werden, und dafür nimmt Google einen Neuanfang vor. Das mit "Pie" auf Pixel-Geräten getestete System wird wieder eingestampft, stattdessen orientiert man sich nun recht augenscheinlich an Apple. Und das sieht so aus: Statt der alten Systemnavigation gibt es nur mehr einen dünnen Balken, der am untersten Ende des Bildschirms angebracht ist und über den verschiedene Gesten ausgeführt werden können. Damit reagiert Google auf die zentrale Kritik an seinem ersten Versuch in Richtung Gestensteuerung, nämlich dass dieser sehr inkonsequent ausgefallen ist. Durch das Beibehalten des Zurück-Knopfs hatte man unterschiedliche Steuerungskonzepte vermischt. Zudem brachte die Umstellung keinerlei Platzgewinn. Beide Defizite räumt Google nun mit Android 10 aus.

Das neue Gestensystem braucht nicht zuletzt weniger Platz als die bisherigen Lösungen von Google.
Screenshots: Proschofsky / STANDARD

Die zentralen Gesten sind dabei flott gelernt: Ein über dem Home-Balken nach oben ausgeführter "Swipe" bringt die Nutzer zum Homescreen. Ist man bereits dort, führt dieselbe Geste zum App-Launcher. Wird nach dieser Bewegung der Finger am Display gehalten, offenbart sich der Task-Switcher. Mit einem nach links oder rechts ausgeführten Swipe über dem Steuerbalken wird zwischen den zuletzt benutzten Apps gewechselt. Der Zurück-Knopf wird durch eine Wischgeste vom linken oder rechten Bildschirmrand nach innen ersetzt. Damit wären die Kern-Interaktionen eigentlich abgehandelt. Zusätzlich kann aber noch über einen schräg nach innen gezogenen Swipe aus den unteren Bildschirmecken der Google Assistant aufgerufen werden – worauf Google am Homescreen zumindest anfänglich recht penetrant hinweist. Sind die Funktionen zur Barrierefreiheit in den Systemeinstellungen aktiviert, können zudem die entsprechenden Hilfsfunktionen über eine Zweifingergeste vom unteren Bildschirmrand eingeblendet werden. Eine kleine Ausnahme von der Balkendarstellung sei übrigens auch noch erwähnt: Am Homescreen wird dieser – zumindest bei den Google-Geräten – von Haus aus komplett ausgeblendet. Warum man sich dazu entschlossen hat, erklärt der Softwarehersteller nicht. Eventuell will man damit einfach Einbrenneffekte bei Oled-Schirmen reduzieren.

All das ist hübsch gemacht und mit Animationen garniert, die symbolisieren, was gerade passiert. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Rückkehr zum Homescreen, wo das Fenster der zuvor genutzten App verkleinert und im passenden Icon versenkt wird. Gerade angesichts der in der Vergangenheit bei Googles eigenem Pixel 3 kritisierten Probleme mit dem Speichermanagement ist besonders erfreulich, dass das Wechseln zwischen den geöffneten Apps flink vonstattengeht. In dieser Hinsicht scheint Google also einige – und für die neue Gestensteuerung essenzielle – Verbesserungen an seinem Betriebssystem vorgenommen zu haben. Was ebenfalls gefällt: Die Wege für die Gesten sind sehr kurz. Wer etwa den App-Launcher aufrufen will, muss nur mehr eine kleine Aufwärtsbewegung ausführen, bisher war dafür ein langer Swipe (oder zwei kurze) notwendig. Die Ähnlichkeit zu Apples Gestensteuerung mag manche ärgern, im Sinne der Nutzer ist sie aber durchaus zu begrüßen, weil es den Wechsel zwischen den System erleichtert.

Ein großes Aber

Und doch ist die neue Gestennavigation von einigen Problemen geplagt. Probleme, die genau genommen alle an einer Stelle zu finden sind: bei der Zurück-Geste. Und das hat nicht zuletzt historische Gründe, kommt man damit doch bestehenden Apps und den von diesen genutzten seitlichen Swipes in die Quere. In vielen Fällen ist es recht einfach, sich umzugewöhnen: Die Wischbewegungen zum Archivieren oder Löschen von Nachrichten in Gmail werden etwa einfach etwas mittiger als bisher ausgeführt. Der große Kollisionspunkt ist an einer anderen Stelle zu suchen, und zwar beim sogenannten Navigation Drawer, einem in Android vielgenutzten User-Interface-Element. Dabei werden zusätzliche Funktionen vom linken Rand über der restlichen App eingeblendet. Das Problem entsteht nun dadurch, dass besagter Navigation Drawer auf zwei Arten aufgerufen werden kann: entweder über ein Icon (das aus drei Strichen bestehende, oft Hamburger genannte Piktogramm), das meist links oben bei der betreffenden App angebracht ist. Oder aber – und hier entsteht der Konflikt – über einen seitlichen Swipe vom linken Bildschirmrand.

In den Systemeinstellungen kann zwischen der Gestennavigation und dem alten Drei-Button-System gewählt werden. Bei Googles Pixel-Smartphones gibt es hier auch noch die alte Gestensteuerung von Android 9 – weitergeführt soll diese aber nicht werden.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Diese Problematik ist natürlich auch Google nicht verborgen geblieben, also hat man über den Verlauf der Android-10-Testversionen immer neue Änderungen vorgenommen, um den Konflikt in den Griff zu bekommen. Das Ergebnis dieser Bemühungen wirkt aber mehr wie ein schlecht funktionierender Notbehelf denn eine echte Lösung. Die Idee: Schnelle Swipes vom linken Bildschirmrand werden immer als Zurück-Geste interpretiert, Wischbewegungen, die langsam durchgeführt werden oder in deren Verlauf kurz am Rand mit dem Finger innegehalten wird, rufen hingegen den Navigation Drawer auf. In der Praxis ist dies aber eine frustrierende Angelegenheit, allzu oft wird unabsichtlich die falsche Aktion aufgerufen.

Zumindest kann man sich aber mit einem kleinen Trick behelfen: Wer den Navigation Drawer aufrufen will, kann einfach die Wischgeste vom Rand schräg nach oben oder unten durchführen – das klappt immer. Für die Zurück-Geste empfiehlt es sich hingegen einfach, nur den rechten Bildschirmrand zu benutzen, wo es diesen Konflikt nicht gibt. Zumindest für Rechtshänder ist dies ohnehin die bessere, weil mit dem Daumen einfacher zu erreichende Position. Linkshänder müssen halt darauf achten, dass ihre Zurück-Gesten energisch genug ausgeführt werden, dann sollte es auch dort klappen.

Um all das noch komplizierter zu machen: Die Sensibilität des Randbereichs von Smartphones variiert stark. Bedenkt man nun, dass die Nutzer gerne Hüllen um ihr Smartphone packen, die all die Haptik erneut verändern, wird eine Erkennung noch schwieriger. Google behilft sich hier mit einer Einstellungsoption, mit der festgelegt werden kann, wie sensibel auf die Zurück-Geste reagiert wird. Bevor hier ein Missverständnis entsteht: Auf die eigentliche Unterscheidung zwischen den beiden Gesten am linken Bildschirmrand hat das genau genommen keinen Einfluss. Es geht lediglich darum, dass die Zurück-Geste überhaupt korrekt ausgeführt werden kann.

Statt einfacher liefert Google komplizierte Lösungen.

Feigheit vor dem Nutzer

Die umständliche Beschreibung verrät es bereits: Eine vernünftige Lösung ist all das nicht. Schließlich kann es nicht das Ziel eines – vor allem so zentralen – User-Interface-Elements sein, dass die Nutzer Tricks finden müssen, um fundamentalen Defiziten aus dem Weg zu gehen. Das Problem entsteht dadurch, dass Google es recht augenscheinlich allen recht machen will. Das ist aber in diesem Fall fatal. Google sollte sich stattdessen klar für die eine oder die andere Nutzung entscheiden – also entweder streicht man die Zurück-Geste vom linken Rand und beschränkt sich auf die auf der rechten Seite. Oder aber es wird der Zugriff auf den Navigation Drawer auf den ohnehin vorhandenen Button beschränkt – die dafür genutzte Swipe-Geste also entfernt.

Gerade aus einer langfristigen Perspektive spricht einiges für die zweite Option. Zwar ist der genutzte "Hamburger"-Button üblicherweise weit oben im User-Interface zu finden und somit schwer zu erreichen, aber diese Positionierung ist ja nicht in Stein gemeißelt. Und langfristig ist es angesichts der zunehmenden Gestensteuerung überhaupt fraglich, ob ein App-Element wie der Navigation Drawer in dieser Welt noch Sinn ergibt.

Interessanterweise liefert Google – unabsichtlich – selbst ein sehr gutes Argument für die Streichung der seitlichen Geste zum Aufruf des Navigation Drawers. In einem – durchaus lesenswerten – Blogeintrag, der wortreich für die neue Gestennavigation argumentiert, liefert man nämlich eine interessante Statistik. Demnach würden nämlich gerade einmal zwischen drei und sieben Prozent der Nutzer von Google Apps jemals den Navigation Drawer über eine seitliche Wischbewegung öffnen. Alle anderen verwenden ohnehin schon jetzt den "Hamburger"-Knopf.

Doch auch sonst werden App-Entwickler nicht um die Anpassungen ihrer Software herumkommen. Immerhin gibt es noch andere Stellen, an denen es zu Konflikten zwischen Systemgesten und App-Gesten kommen kann. Ein klassisches Beispiel ist hierbei ein seitlicher Fortschrittsbalken in einer Audio- oder Video-App. Da ein solcher üblicherweise bis knapp an den Rand des Displays reicht, könnte es hier leicht zu Kollisionen mit der neuen Gestennavigation kommen. Ähnliches Konfliktpotenzial hat jede Bildschirmtastatur, die eine Swipe-Eingabe integriert hat. Damit all das nicht passiert, bietet Google in Android 10 neue Programmierschnittstellen, mit denen App-Entwickler die Systemgesten für – in der Höhe stark begrenzte – einzelne Bereiche deaktivieren können.

Optische Anpassungen

Ein weiterer Punkt, bei dem Anpassungen anstehen: Google empfiehlt, die App-Inhalte jetzt auch hinter der Systemnavigation zeichnen zu lassen. Das verstärkt den Eindruck, dass der Inhalt wirklich das gesamte Display einnimmt. Bisher wurde dieser Bereich üblicherweise schwarz oder in einer einzelnen Farbe gehalten. Auf das neue System von Android 10 umgestellte Apps profitieren zudem davon, dass die Farbe des Home-Balkens automatisch angepasst wird, um einen starken Kontrast zum jeweiligen Hintergrund zu liefern. Das Ergebnis dieser Anpassungen sieht dann auch tatsächlich sehr gut aus, es gibt dabei allerdings ein entscheidendes Problem: Selbst Google hat diesen Schritt erst in wenigen seiner Apps vorgenommen, in den meisten verbleibt so weiter ein wenig ansehnlicher Balken am unteren Bildschirmrand. Noch unerfreulicher ist die Lage bei der Keyboard-App Gboard, unter der derzeit ein breiter Balken angezeigt wird, der ausschließlich für einen Knopf zum Ausblenden der Tastatur genutzt wird. An der Stelle darf einmal mehr angemerkt sein, wie verblüffend es ist, dass Google nicht einmal die eigenen App-Entwickler dazu bringen kann, solch vergleichsweise triviale Änderungen zeitgerecht für die Veröffentlichung einer neuen Android-Generation vorzunehmen.

Apps sollen Inhalte künftig auch hinter der Navigation zeichnen. Das sieht mit Gesten- und mit Knopfnavigation ziemlich anders aus.
Grafik: Google

Noch ein Detail zur Gestensteuerung: Diese hat zur Folge, dass der seit Android 9 zum manuellen Wechsel zwischen hoch- und quergestellter Ansicht des Bildschirms gebotene Knopf keine Heimstatt mehr hat. Bisher war er ja im Bereich der Systemnavigation angesiedelt. Google hat dies so gelöst, dass der betreffende Knopf im Bedarfsfall über dem restlichen Geschehen eingeblendet wird. Das funktioniert zwar ganz gut, gleichzeitig wirkt es aber reichlich inkonsequent, dass dieser Vorgang nicht ebenfalls über eine Geste gelöst wurde.

Gestenüberlegungen

In Summe wirkt das neue Gestensystem mit ziemlich heißer Nadel gestrickt – und ist es wohl auch: Google hat bis zur letzten Testversion immer wieder Veränderungen vorgenommen. Dass alternative Launcher überhaupt erst mit einem Update in den kommenden Wochen unterstützt werden, spricht ebenso Bände über die Zeitprobleme, in die die Android-Entwickler hier offenbar geschlittert sind. Das hält den Hersteller aber nicht davon ab, das neue System verpflichtend zu machen: Alle mit Android 10 ausgelieferten Geräte müssen die neue Gestennavigation mitliefern – und zwar als Default-Wahl. Prinzipiell ist dieser Schritt zur Vereinheitlichung durchaus zu begrüßen, im konkreten Fall wäre es allerdings begrüßenswert gewesen, wenn Google zuerst einmal eine wirklich ausgereifte Lösung liefern könnte. So weit ist man von einer solchen schlussendlich gar nicht entfernt.

Angesichts all des Gesagten kann man der betrüblichen Update-Situation in der Android-Welt fast schon wieder etwas Positives abgewinnen. Immerhin führt das oftmals lange Warten auf neue Versionen dazu, dass Google noch etwas Zeit hat, die aktuellen Defizite auszuräumen, bevor die neue Gestensteuerung bei einem großen Teil der Nutzer landet. Vor allem aber werden bis dahin sicher viele Apps angepasst, sodass die Konflikte gar nicht mehr schlagend werden. Mit Spannung darf allerdings erwartet werden, wie etwa Samsung die neuen Gesten mit den Funktionen seines Edge-Screens vereinbaren will.

Wieso denn bloß?

Bleibt natürlich die Frage: Wozu eigentlich das alles? Google argumentiert hier auf mehreren Ebenen: So sei die Bedienung per Gesten – wenn man sie einmal gelernt hat – flotter und natürlicher. Etwa die Zurück-Geste sei erheblich schneller auszuführen als das Drücken auf den zugehörigen Knopf. Angesichts dessen, dass "Zurück" schon bisher die am meisten genutzte Navigationsfunktion auf Android-Smartphones ist, ist dieser Punkt auch nicht komplett von der Hand zu weisen. Zudem würden Gesten nicht so leicht unabsichtlich ausgelöst wie Knöpfe. Und nicht zuletzt ermögliche eine Gestensteuerung ein Oberflächendesign, bei dem die Inhalte den ganzen Bildschirm einnehmen.

Google argumentiert nicht zuletzt mit der Geschwindigkeit der Gestensteuerung.
Grafik: Google

Gleichzeitig hat das Ganze aber auch unübersehbare Nachteile: Gesten benötigen eine gewisse Einlernphase, und selbst dann funktionieren sie nicht für alle Nutzer. So tun sich etwa Personen mit körperlichen Einschränkungen damit schwerer als mit klar sichtbaren Knöpfen. Aus diesem Grund sollen die Gesten auch nicht die einzige Navigationsoption werden: Parallel dazu müssen sämtliche Hersteller auch weiterhin die alte On-Screen-Navigation mit drei Knöpfen anbieten. Dies ist Teil der offiziellen Vorschriften für alle Geräte, die mit Android 10 ausgeliefert werden. Zusätzlich können Android-Gerätehersteller übrigens weiterhin eigene Gestensysteme anbieten – aber eben nur als Option, die Default-Wahl muss jene von Google bleiben. Ob das auch wirklich passiert, muss sich erst zeigen. Google betont jedenfalls, dass man mit zentralen Partnern wie Samsung, Oneplus oder auch Xiaomi zusammengearbeitet hat, um eine gemeinsame Gestensteuerung zu entwickeln.

Dark Theme

Deutlich weniger kontrovers ist die zweite zentrale Neuerung in Android 10: Das Betriebssystem bekommt endlich einen systemweiten Dark Mode, oder wie es Google aus unerfindlichen Gründen nennt: Dark Theme. Über eine zentrale Einstellung im System kann künftig also nicht nur der Stil der Systemdialoge von hell auf dunkel verändert werden, auch Apps können gleich mitwechseln – so sie diesen Modus bereits unterstützen. Was dabei allerdings schmerzlich vermisst wird: Ein automatischer Wechsel von hell auf dunkel bei Sonnenuntergang fehlt derzeit noch. Bleibt zu hoffen, dass diese Funktion in einer kommenden Version nachgereicht wird.

Die Überlegung für die Einführung eines Dark Mode ist recht simpler Natur: Ein dunkler Look ist am Abend angenehmer für die Augen und strahlt auch weniger in den umgebenden Raum hinein. Zudem verbraucht er auf Oled-Bildschirmen, wie sie mittlerweile bei vielen Smartphones verbaut werden, signifikant weniger Strom. Von einem Einsparungspotenzial von bis zu 60 Prozent spricht Google.

Helle und dunkle Themes im direkten Vergleich.
Screenshots: Proschofsky / STANDARD

In die Umsetzung hat Google einige Design-Überlegungen investiert: Pures Schwarz kommt nur in wenigen Fällen – etwa bei reinen Textlisten wie den Systemeinstellungen – als Hintergrund zum Einsatz. Meist nutzt man lieber ein sehr dunkles Grau, nicht zuletzt weil dies für die Betrachtung etwas angenehmer und leichter zu lesen ist. Im Material-Design von Google spielen Schatten eine wichtige Rolle, um die Ebenen einer App herauszuarbeiten, das geht bei einem dunklen Look natürlich nicht. Stattdessen werden "höhere" Ebenen einfach kontinuierlich heller dargestellt.

Hübsch anzusehen

Das Ergebnis ist erfreulich stimmig: Vom Boot-Screen bis zu den Benachrichtigungen und den wichtigsten Google-Apps erscheint dann alles in einem dunklen Look. Die Aktivierung erfolgt entweder über die zugehörige Systemeinstellung oder über einen Knopf in den Quick Settings – also oberhalb der Benachrichtigungen. Beim Aktivieren des Akkusparmodus wird zudem automatisch auf das Dark Theme gewechselt. Am Rande sei übrigens ein Mythos ausgeräumt: Ob das Interface schwarz oder dunkelgrau ist, macht in Hinblick auf den Stromverbrauch keinerlei relevanten Unterschied aus. Dieser ist bei einem Oled nämlich direkt von der Helligkeit der einzelnen Pixel abhängig, was heißt, das vor allem sehr helle und weiße Flächen viel Strom verbrauchen. Gleichzeitig hat so ein Display natürlich einen Basisstromverbrauch, der immer gegeben ist – egal welche Farben und Helligkeit gewählt werden. Bei XDA Developers hat man den Unterschied im Alltag gemessen und kam auf einen Mehrverbrauch von 0,063 Prozent durch dunkles Grau im Vergleich zu reinem Schwarz.

Vereinheitlichung

Nun ist es natürlich so, dass diverse Android-Varianten von Drittherstellern bereits einen eigenen Dark Mode integriert haben. Und doch ist die Relevanz der aktuellen Neuerungen nicht zu unterschätzen. Immerhin schafft Google damit Schnittstellen, mit denen herstellerübergreifend sämtliche Android-Apps selbst helle und dunkle Themes anbieten können. Genau genommen fordert Google die App-Entwickler sogar dazu auf und geht ihnen auch zur Hand. Es gibt die Möglichkeit, einen dunklen Modus automatisch erstellen zu lassen. Dabei handelt es sich nicht einfach um eine Umkehr eines hellen Looks, Android versucht die Farben intelligent zu wählen, damit sie auch mit einem dunklen Hintergrund gut aussehen. Versteckt in den Entwicklereinstellungen von Android 10 gibt es zudem eine Option, mit der die Nutzer einen dunklen Look für alle Apps erzwingen können. Das funktioniert oft gut – manchmal aber auch weniger. Insofern ist es zu begrüßen, dass Google solche Zwangsanpassungen nicht automatisch vornimmt.

Auch der Boot-Vorgang wird nun mit einem dunklen Hintergrund vorgenommen – zumindest wenn Dark Theme aktiviert ist.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Wirklich unerfreulich ist aber auch hier, dass selbst von Googles eigenen Apps bisher nur ein Teil Dark Theme unterstützt. Von Gmail über Google Maps bis zum Play Store reicht die Liste jener Apps, bei denen man diesen Support bisher vergeblich sucht. Dies übrigens, obwohl schon im Frühjahr zu hören war, dass Google intern für Mai eine Deadline ausgegeben hat, bis zu der sämtliche zentralen Apps aus eigener Entwicklung den dunklen Stil unterstützen müssen. Dazu passt auch, dass nur ein Teil jener Google-Apps, die bereits ein Dark Theme haben, die zugehörigen Einstellungen korrekt umsetzt. Die offizielle Entwicklerdokumentation rät, automatisch den Systemeinstellungen zu folgen, gleichzeitig aber auch die Möglichkeit zu bieten, dass die Nutzer manuell einen hellen oder dunklen Look wählen können.

Trotzdem sieht die Prognose für die Zukunft ganz gut aus. So werden mittlerweile bei Chrome durch die neue Android-Systemeinstellungen sogar die Inhalte von Webseiten auf ein dunkles Theme gewechselt – zumindest theoretisch. Denn natürlich hängt das davon ab, ob eine Seite ein dunkles Thema anbietet – und das tun derzeit nur wenige. Doch auch andere App-Hersteller jenseits von Google folgen zunehmend dem Trend zum Dark Theme – und der Nutzung der zentralen Einstellungsoption von Android. Hier eine einheitliche Lösung zu haben ist also gut für alle Android-Nutzer, egal welche Variante des Betriebssystems sie verwenden.

Benachrichtigungen

Beim Benachrichtigungsbereich von Android hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Im Vergleich dazu ist Android 10 in dieser Hinsicht ein eher ruhiger Release, ein paar interessante Neuerungen sind dann aber doch zusammengekommen. So werden Notifications nun automatisch in die Kategorien "Benachrichtigen" und "Lautlos" eingeteilt. Die Namen sind dabei Programm: Während Erstere über Ton und Vibration ihr Eintreffen kundtun, tauchen Zweitere still im Benachrichtigungsbereich auf. Welche Benachrichtigung in welcher Kategorie landet, wird zunächst mittels Maschinenlernen am lokalen Gerät automatisch entschieden. Die Nutzer können aber auch manuelle Korrekturen an dieser Einteilung vornehmen. Dies geht über einen Langdruck auf die betreffende Benachrichtigung. Wichtige Notifications werden dabei immer oberhalb der lautlosen angezeigt, diese Kategorisierung hat also auch Einfluss auf die Reihung. Sehr nützlich ist zudem, dass sich sämtliche stillen Benachrichtigungen in einem Rutsch löschen lassen, dafür gibt es einen neuen Button über dieser Kategorie.

Ein ziemliches Hin und Her gab es im Verlauf der Entwicklung von Android 10 in Hinblick auf die Snoozing-Funktionalität, mit der Benachrichtigungen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden können. Zunächst komplett entfernt, gab sie später ihr Comeback – allerdings nur mehr als optionales Feature. Wer das Snoozing nutzen will, muss es künftig also zuvor in den Systemeinstellungen aktivieren. Optisch überarbeitet wurden die Benachrichtigungskanäle, mit denen Apps Ordnung in ihren Notification-Wust bringen können.

Smarte Antworten werden smarter

Unter dem Namen Smart Reply bieten mittlerweile mehrere Google-Apps automatisch generierte Antworten auf Nachrichten ein. Dieses System ist nun fix in den Benachrichtigungsbereich integriert´und liefert bei sämtlichen Messaging-Apps passende Vorschläge. Dazu kommt noch eine neue Funktion namens Suggested Actions, die den Inhalt von Mitteilungen auswertet und darauf basierend hilfreiche Links anbietet. Wird etwa eine Adresse erwähnt, gibt es dann direkt unter der Benachrichtigung einen Knopf, der zum passenden Google-Maps-Eintrag führt. Auch Links werden auf diese Weise aufgearbeitet. Im Alltag ist das sicher eine der nützlichsten kleineren Verbesserungen von Android 10. Auch dieses System wird von Haus aus für alle passenden Apps angewendet, es gibt aber eine Opt-out-Möglichkeit für App-Entwickler. Die Verarbeitung erfolgt übrigens bei all diesen Funktionen vollständig lokal – und zwar einmal mehr mithilfe von Maschinenlernen direkt am Gerät.

Die "Suggested Actions" erweisen sich als nützliche Erweiterung für die Android-Benachrichtigungen.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Endlich Liebe für die Share-Funktion

Einer der größten Problembereiche von Android war bisher die Share-Funktion, war diese doch vor allem eines: langsam. Nach dem Aufruf dauerte es oft Sekunden, bis die einzelnen Share-Targets an ihrem richtigen Ort gelistet waren, was auch gerne dazu führte, dass sich die Reihung just in dem Moment veränderte, wo man gerade einen Eintrag auswählen wollte. Mit Android 10 verpasst Google dieser Funktion nun einen grundlegenden Umbau. Dessen Kern ist das Sharing Shortcuts API, das für App-Entwickler gedacht ist. Im Gegensatz zur bisherigen Lösung folgt dieses einem "Push"- statt einem "Pull"-Modell: Bisher war es so, dass beim Aufruf der Share-Funktion alle infrage kommenden Apps nach passenden Zielen für einen direkten Kontakt gefragt wurden. Bis diese alle ihre Antworten liefern, braucht es aber natürlich einiges an Zeit. Im neuen Modell gibt es hingegen eine zentrale Liste für solche "Share Targets", die von den Apps regelmäßig mit aktuellen Vorschlägen gespeist werden. Die Share-Funktion greift also einfach auf diese eine Liste zu – und das ist natürlich erheblich flotter, als bei allen Apps am Smartphone nachzufragen.

Zudem wurde aber auch die grafische Umsetzung neu gestaltet. Von Haus aus sind nun fix vier "Deep Link"-Vorschläge, also welche Inhalte wo direkt an eine bestimmte Konversation geschickt werden, zu sehen. Darunter folgen dann die vier passende App-Vorschläge. Mit einem Swipe nach oben wird die Zahl der Deep Links dann verdoppelt. Zudem findet sich darunter noch eine Liste mit allen installierten Apps, die als Share-Target für den zu teilenden Inhalt nutzbar sind. Da hinter dem System neue Programmierschnittstellen stehen, braucht das natürlich auch die Unterstützung durch App-Entwickler, die ihre Programme entsprechend anpassen. Derzeit tun dies leider noch wenige, was zur Folge hat, dass die "Deep Links" vor allem von Google-Apps dominiert werden. Dies dürfte sich aber bald ändern, wenn App-Entwickler zunehmend ihre Programme modernisieren. Das alte Sharing-API wird aus Kompatibilitätsgründen übrigens vorerst noch weiter unterstützt. Auf Geräten mit Android 10 werden die davon gelieferten Ergebnisse allerdings ganz ans Ende gereiht – sind also meist gar nicht sichtbar.

Passend zu all dem ist auch noch eine nette Zusatzfunktion hinzugekommen: Direkt in der Share-Funktion wird nun deutlich gemacht, was hier gerade geteilt wird. So gibt es bei Bildern etwa eine Vorschauansicht, bei Links wird die URL dargestellt – und daneben auch gleich die Möglichkeit angeboten, diese in den Zwischenspeicher zu kopieren.

WLAN-Teilen leicht gemacht

Es sind oft Kleinigkeiten, die den Smartphone-Alltag wirklich erleichtern. Definitiv in diese Kategorie fällt die Folgende: Mit Android 10 können nun gespeicherte WLAN-Passwörter einfach mit anderen geteilt werden. In den zugehörigen Einstellungen können die Nutzer einen QR-Code erstellen, den dann andere User einscannen können. Auch im Klartext wird das Passwort an dieser Stelle angezeigt. Aus Sicherheitsgründen wird vor der Anzeige eine erneute Authentifizierung – etwa via Fingerabdruck – verlangt. Damit will man verhindern, dass jemand mit einem kurzen Zugriff auf das Gerät einfach mal die WLAN-Passwörter auslesen kann.

WLAN teilen: In Android 10 über QR-Code leicht gemacht.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Weniger Standortinformationen für Apps

Informationen zu all den Privacy-Verbesserungen in Android 10 gibt es, wie gesagt, in aller Ausführlichkeit im Hintergrund-Artikel zur neuen Softwareversion. Ein Punkt sei aber noch einmal extra herausgestrichen, da er auch für die Nutzer direkt relevant ist: Konnte bisher einer App der Zugriff auf Standortinformationen nur ganz oder gar nicht gegeben werden, besteht nun zusätzlich die Möglichkeit, dies auf die aktive Nutzung der App zu beschränken. Damit können User verhindern, dass eine App unbemerkt im Hintergrund Location-Daten sammelt. Zudem warnt Android nun mittels einer Benachrichtigung davor, wenn Apps im Hintergrund auf Standortinformationen zugreifen. Passend dazu wird an dieser Stelle gleich ein Link mitgeliefert, um die betreffende Einstellung zu ändern.

Eine Frage der Einstellung

In den Systemeinstellungen finden sich nun neue Hauptkategorien für die Bereiche Standort, Sicherheit und Privatsphäre. Funktionell ändert sich damit wenig, allerdings ist es zu begrüßen, dass diese besonders sensiblen Bereiche sichtbarer gemacht werden. Bereits seit einigen Versionen liefert Android an dieser Stelle Tipps für die Veränderung von Einstellung, dieses System wird mit Android 10 weiter ausgebaut. Ist etwa keine WLAN-Verbindung vorhanden, wird auch hier ein Schnellzugriff zur Aktivierung geboten. Zudem werden immer wieder Ratschläge zur Veränderung von Benachrichtigungseinstellungen gegeben. Ebenfalls neu ist, dass bei den Systemeinstellungen nun rechts oben das Icon des eigenen Google-Accounts angezeigt wird, wenn man in diesen eingeloggt ist. Über dieses Bild geht es dann zu einer neuen Profilseite, wo zentrale Infos zu Gerät und Account versammelt werden. Zudem wurde in einigen Bereichen optischer Feinschliff vorgenommen – etwa bei den App-Informationen.

Die verbesserten Standorteinstellungen in Android 10.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Bei den Einstellungen zum Sperrbildschirm hat sich ebenfalls etwas getan. So werden nun von Haus aus keine sensiblen Inhalte mehr bei gesperrtem Gerät angezeigt – private Nachrichten oder Mail-Inhalte werden also ausgeblendet. Diese Möglichkeit gab es zwar schon bisher, nun ist das aber die Standardwahl, und das ist aus Privacy-Perspektive auch zu begrüßen. Ebenfalls neu ist die Möglichkeit, generell nur wichtige Benachrichtigungen am Lock Screen darzustellen. Am Lock Screen selbst gab es leichte Design-Anpassungen. Nett ist etwa, dass es nun einen sanften Übergang zum "Always on Display" gibt – also jenen Minimalinformationen, die angezeigt werden, wenn das Gerät gerade unbenutzt herumliegt.

Es geht nicht ohne Emojis

Keine neue Android-Version ohne neue Emojis: Mit Android 10 deckt Googles Betriebssystem nun komplett den Emoji-12.0-Unicode-Standard ab. Das bedeutet vor allem, dass 65 komplett neue Minigrafiken hinzugekommen sind, die Nutzer können sich bei Bedarf also nun auch Sloth, Flamingo oder Waffeln um die Ohren werfen. Dazu kommt, dass es bei 53 bestehenden Emojis neben der weiblichen und männlichen Darstellung jetzt auch geschlechtsneutrale Varianten gibt. Und bei Pärchen wurden viele neue Hauttonkombinationen hinzugefügt.

Einige der neuen Emojis in Android 10.
Grafik: Google

Feinschliff

Kommen wir zu all den Detailverbesserungen in Android 10: Beim Zugriff auf die Benachrichtigungen wird jetzt rechts oben dargestellt, wie lange der Akku voraussichtlich noch reichen wird. Apropos: Der "Battery Saver" kann jetzt auch "intelligent" aktiviert werden. Dabei schätzt das Gerät anhand des eigenen Nutzungsverhaltens, ob der Akku noch bis zum nächsten Ladevorgang ausreicht. Bisher konnten die Nutzer nur fixe Prozentwerte als Grenze festlegen. In den Schnelleinstellungen ist ein neuer Eintrag hinzugekommen, der sämtliche Sensoren des Smartphones – vom Gyrosokop bis zum Barometer – deaktiviert.

An vielen Stellen gab es optischen Feinschliff, so wurde etwa der mitgelieferte Dateimanager von Google grob überarbeitet. Auch beim Task Switcher wurden Anpassungen vorgenommen: Die Vorschaubilder sind nun etwas größer, die Ecken wurden abgerundet. Ebenfalls neu ist, dass an dieser Stelle angezeigt wird, wenn über die "Digital Wellbeing"-Tools ein Limit für eine App festgelegt wurde und wie viel Zeit noch verbleibt. Ebenfalls sehr nett ist die Möglichkeit, direkt über den Launcher einzelne Apps bis Tagesende zu pausieren. Das zugehörige Icon wird dann ausgegraut dargestellt. Am Homescreen kann das Entfernen von Icons nun über eine als Overlay eingeblendete Benachrichtigung kurz wieder rückgängig gemacht werden. Etwas versteckt liefert Google mittlerweile – endlich – auch einfachen Support für Themes. In den Entwicklereinstellungen lassen sich einige Parameter verändern, etwa die Form der Symbole sowie die Highlightfarbe. Das dürfte aber nur ein erster Vorgeschmack sein, in Android 10 finden sich auch Hinweise darauf, dass Google für die eigenen Smartphones an einer neuen Theming-App arbeitet.

Farbhighlights und Formen: Der Theming-Support in Android 10 ist noch gut versteckt.
Screenshots: Proschofsky / STANDARD

Bei Benachrichtigungen für Audio- und Video-Apps wird nun zusätzlich ein Fortschrittsbalken angezeigt, über den auch an eine andere Stelle gesprungen werden kann. Beim Auswählen von Textpassagen gibt es nun haptisches Feedback, das Gerät vibriert also beim Wechsel von einem Buchstaben zum nächsten leicht. Ganz generell kann die Vibrationsstärke des Geräts jetzt individuell festgelegt werden. Neu gestaltet wurde jener Dialog, der bei der manuellen Installation von Apps angezeigt wird, dieser nimmt nicht länger den gesamten Bildschirm ein. Im Power-Menü, das über den Ausschaltknopf aufgerufen werden kann, ist ein neuer Shortcut für den Zugriff auf Notfallinfos – wie Details zu eingenommenen Medikamenten oder körperlichen Gebrechen – zu finden. Und auch das gibt es: Mit Android 10 entfernt Google das für die direkte Datenübertragung zwischen zwei Geräten genutzte "Android Beam". Dieses soll durch eine neue, direkte File-Sharing-Lösung mit dem Namen "Fast Share" ersetzt werden, bisher ist diese aber noch nicht verfügbar.

Neuerungen verzweifelt gesucht

Wie bereits im Vorjahr hat Google auch heuer wieder einige Dinge für die neue Softwaregeneration angekündigt, die in Wirklichkeit noch gar nicht genutzt werden können. Dazu gehört etwa der "Live Caption"-Support. Mit dessen Hilfe soll es künftig möglich sein, beliebige Audio- und Videoinhalte direkt am Gerät – und in Echtzeit – mit Untertiteln zu versehen. Von eigenen Videos über Podcasts bis zu Videochats soll das möglich sein. Das klingt faszinierend, hat aber einen entscheidenden Haken: Für die lokale Sprachverarbeitung braucht es Spezialhardware. Und diese soll laut Google erst im Pixel 4 zu finden sein, der nächsten Smartphone-Generation des Unternehmens, die voraussichtlich Anfang Oktober vorgestellt wird. Die Basisfunktionalität für all das ist zwar in Android 10 zu finden, nutzen lässt sich das aber eben noch nicht.

Google

Ähnlich verhält es sich mit dem "Focus Mode": Im Rahmen der Google I/O hatte das Unternehmen diese Funktion noch stolz im Zusammenhang mit Android 10 vorgezeigt. Als nächste Ausbaustufe der "Digital Wellbeing"-Initiative können die Nutzer dabei ein Set an Apps auswählen, die sie ausblenden wollen. Wird der "Focus Mode" aktiviert, werden dann die Benachrichtigungen aller dieser Programme in einem Rutsch deaktiviert. Das Problem dabei: Weder hat das ursächlich etwas mit Android 10 zu tun – das Feature soll auch für Geräte mit Android 9 kommen –, noch ist es derzeit in einer stabilen Version verfügbar. Aktuell ist lediglich eine Beta für wenige ausgewählte Smartphones erhältlich. Dieses Timing hat wohl nicht zuletzt Marketinggründe, da man sich einige Neuerungen für die Präsentation der neuen Pixel-Generation aufbehalten will.

Zumindest eine wirkliche Neuerung gibt es aber im Hinblick auf diesen Bereich: In Android 10 ist "Family Link", Googles Dienst zum Festlegen von Smartphone-Regeln für den Nachwuchs, fix in den Systemeinstellungen integriert. Damit können die Eltern zentral Limits für die Smartphonenutzung durchsetzen. Für die in dieser Hinsicht versprochenen neuen Features wie tägliche Limits für einzelne Apps sowie die "Bonus Time"-Funktion, mit der schnell ein paar Minuten weiterer Nutzung autorisiert werden können, gilt es hingegen ebenfalls, auf Herbst zu warten.

Was wurde aus den Bubbles?

Eine etwas seltsame Neuerung sind die sogenannten "Bubbles": Ursprünglich groß angekündigt, hat Google im Verlauf der Entwicklung nach und nach einen Rückzieher in dieser Hinsicht gemacht. Aber von Anfang an: Bei den Bubbles handelt es sich um eine Art Android-weite Implementation der beim Facebook Messenger gebotenen "Chat Heads". Eingehende Messenger-Nachrichten werden also als Overlay dauerhaft über dem restlichen Smartphone-Geschehen eingeblendet. Die visuelle Repräsentation erfolgt über runde Icons, die frei am Bildschirm positioniert werden können. Üblicherweise ist das ein gemeinsamer Stapel, ein Touch darauf zeigt dann alle offenen Diskussionen einzeln an, auf die dann direkt an dieser Stelle – also ohne in die eigentlich zugehörige App wechseln zu müssen – geantwortet werden kann. Was die technische Seite anbelangt, funktioniert das alles in Android 10 bereits recht gut, die Frage ist eher: Wozu? Immerhin wird damit ein Teil des Benachrichtigungssystems gedoppelt, selbst wenn Google dieses Feature auf Messenger-Apps beschränkt.

In der fertigen Version von Android 10 ziemlich gut versteckt: die "Bubbles".
Foto: Proschofsky / STANDARD

Dass sich Google dabei nicht ganz sicher zu sein scheint, zeigt sich auch daran, dass die "Bubbles" derzeit ziemlich gut versteckt sind. Sie lassen sich über einen Eintrag in den Entwicklereinstellungen aktivieren, selbst dann bräuchte es aber noch Apps, die all das auch wirklich unterstützen – was bisher nirgendwo der Fall ist. Zwar kann das über Entwickler-Tools via Kommandozeile erzwungen werden, eine Lösung für die breite Masse, nach der es zunächst klang, ist das aber nicht.

Das wirft natürlich die Frage auf, was Google hier eigentlich vorhat. Ein Tipp wäre, dass man hiermit einfach eine direkt in Android integrierte Alternative zu Eigenbaulösungen wie den Chat Heads schaffen will. Und das könnte durchaus sinnvoll sein: Immerhin verwendet der Facebook Messenger für dieses Feature bisher eine aus einer Sicherheitsperspektive recht problematische Funktion von Android, die sich "System Alert Window" nennt. Diese ermöglicht es Apps, Inhalte über andere Programme zu zeichnen. Das ist nett für einen Messenger, gleichzeitig wird dies aber gerne von Schadsoftware genutzt, um die Nutzer auszutricksen. Also würde Google diese Funktionalität gerne loswerden, und mit den Bubbles will man wohl eine Alternative für eine sichere Implementation der Chat Heads schaffen. Bis all dies schlagend wird, dürfte aber ohnehin noch mindestens ein Jahr vergehen – bis zur Veröffentlichung von Android R.

Gestrichene Neuerungen

Darüber hinaus gibt es aber auch noch einige Neuerungen, mit denen Google im Verlauf der Entwicklung der neuen Softwareversion bereits experimentiert hat, die aber zwischenzeitlich wieder gestrichen wurden. So war in einer sehr frühen – inoffiziellen – Vorversion von Android 10 ein "Privacy Dashboard" zu sehen, das detailliert auflistet, welche Apps wie oft welche Berechtigungen nutzen. Davon ist in der finalen Version nichts mehr zu sehen. In einigen Betas ließ sich zudem ein integrierter Screen-Recorder aktivieren, auch dieser ist wieder verschwunden. Zudem hatte Google mit einem erweiterten Dual-SIM-Support für seine aktuellen Smartphones experimentiert, bei dem E-SIM und Nano-SIM parallel aktiv sein können. Das Ganze ließ sich etwa auf dem Pixel 3 bereits nutzen, in dem stabilen Release ist die Unterstützung für "Dual SIM Dual Standby" (DSDS) aber wieder verschwunden. Ein Grund hierfür könnte sein, dass bei Pixel 2 und 3 dieselbe IMEI – also jener Hardwareidentifikator, mit dem sich das Gerät beim Provider ausweist – für beide SIMs genutzt wird, was zu Problemen führen kann. Eine Ausnahme bildet hier nur das Mittelklassegerät Pixel 3a, das zwei unterschiedliche IMEIs führt. Aber auch bei diesem ist der DSDS-Support derzeit noch gut versteckt, die Nutzer müssen ein verstecktes Menü im Dialer aufrufen, um diesen zu aktivieren.

Fazit

Es sind vor allem zwei Dinge, durch die sich Android 10 oberflächlich auszeichnet: die neue Gestensteuerung sowie das systemweite Dark Theme. Sonst gibt es zwar viele sinnvolle Detailverbesserungen, darunter aber auch einiges, das es bei einzelnen Android-Versionen der Hersteller schon länger gab. Damit bestätigt sich einmal mehr, dass die wirklich spannenden Verbesserungen solch einer neuen Android-Generation andernorts angesiedelt sind – nämlich unter der Haube. Und hier hat Android 10 wirklich eine ganze Menge zu bieten: Von Project Mainline bis zu den zahlreichen Privacy- und Sicherheitsverbesserungen ist die neue Version strukturell ein großer Schritt für Googles Betriebssystem.

Das neue Power-Menü in Android 10 – samt Verweis auf die Notfallinformationen.

Gleichzeitig ist es aber nicht verwunderlich, dass auf neue Features fokussierte Nutzer meinen könnten, dass sich bei Android derzeit nicht mehr viel tut. Das hat aber noch einen weiteren Grund: Vieles, was bei anderen Herstellern als großes neues Feature eines Betriebssystem-Updates verkauft wird, liefern Google und Co schlicht über das Jahr in Form von App-Updates. Zudem ist zu bemerken, dass sich der Zeitplan des Android-Herstellers immer stärker an der eigenen Smartphone-Entwicklung orientiert. So muss manches neue Feature, das eigentlich im Zusammenhang mit Android 10 präsentiert wurde, auf die Vorstellung des Pixel 4 warten. In einzelnen Punkten mag das technische Gründe haben, bei anderen ist dies aber eine simple Marketingentscheidung. Mit – kurzfristig – exklusiven Features will man den Verkauf der eigenen Geräte ankurbeln. Das ist strategisch verständlich, sorgt aber eben auch dafür, dass neue Android-Generationen auf den ersten Blick weniger aufregend erscheinen.

Download

Android 10 ist umgehend für sämtliche Pixel-Smartphones von Google zum Download erhältlich. Wer die neue Version noch nicht automatisch erhalten hat, kann diesen Vorgang über die Systemaktualisierung manuell initiieren – oder sollte diese zumindest in Kürze können, wie Google versichert. Ebenfalls flott war wie gewohnt Essential, für dessen PH-1 Android 10 ebenfalls bereits erhältlich ist. Eine Überraschung liefert hingegen Xiaomi, dessen Redmi K20 Pro auch von Tag 1 an mit Android 10 bedacht wird – allerdings nur in China. Unklar bleibt hingegen, wann andere Hersteller für ihre Geräte entsprechende Updates anbieten werden. Zumindest gibt es hier eine gewisse Hoffnung auf Besserung: Am Betaprogramm haben dieses Mal doppelt so viele Geräte anderer Hersteller wie im Vorjahr teilgenommen. (Andreas Proschofsky, Video: Andreas Müller, 03.09.2019)