Was ist das drängendste Thema in Österreichs Medienpolitik? Fünf von sechs Mediensprechern nennen auf diese erste Frage im STANDARD-Fragebogen den ORF, vier von ihnen kommen auf einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Der ORF mit gut einer Milliarde Euro Einnahmen ist der weitaus größte Medienkonzern im Land. Er hat einen öffentlich-rechtlichen Auftrag, großteils von politischen Institutionen besetzte Aufsichts- und Entscheidungsgremien, und er finanziert sich großteils aus Gebühren von Menschen mit TV- und Radiogeräten. Also ist die öffentliche und politische Aufmerksamkeit für diesen ORF groß. Und also widmet sich diese erste Auswertung des STANDARD-Fragebogens an die Mediensprecher von ÖVP, FPÖ, SPÖ, Grünen, Neos und Jetzt diesem österreichischen Medienriesen.

Karl Nehammer, ÖVP
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22 Fragen zur Medienpolitik nach der Wahl stellte DER STANDARD den sechs Parteien, sieben davon zum ORF. Die kompletten Fragen und Antworten finden Sie weiter unten. Hier eine konzentrierte Gegenüberstellung:

Braucht es den ORF als eigenständige Organisation?

So einig sind sich die Mediensprecher selten: "Ja!", antwortet Hans-Jörg Jenewein (FPÖ) so knapp wie bestimmt. "Ein klares Ja" kommt von Karl Nehammer (ÖVP), der nachlegt: "Würde es den ORF nicht geben, so müsste man ihn erfinden. Gerade in Zeiten der Halb- und Desinformation werden Qualitätsmedien noch wichtiger, und insbesondere der Öffentlich-Rechtliche bekommt zusätzliche Bedeutung und Verantwortung." "Ja, unbedingt", stimmen Thomas Drozda (SPÖ) und Werner Kogler (Grüne) zu, "ganz klar" ist das für Peter Pilz (Jetzt) und inzwischen auch für die Neos, für die Beate Meinl-Reisinger antwortet.

Peter Pilz, Liste Jetzt
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Und was soll dieser ORF künftig tun?

Neos und FPÖ sehen die Aufgabe enger und sagen das auch. "Der ORF soll vor allem auch die Produktion und Verbreitung von Public-Value-Inhalten abdecken, also Programme mit gesellschaftlichem Mehrwert, die für rein am Markt orientierte Unternehmen wirtschaftlich nicht produzierbar wären, anbieten", erklärt Meinl-Reisinger für die Neos. Jenewein (FPÖ) will einen auf "Kernkompetenzen" beschränkten ORF, die er so beschreibt: "Nicht zwingend" neue Blockbuster zur besten Sendezeit, "das beste und umfassendste Informationsangebot des Landes", Onlineaktivitäten ausbauen und "Trägerrakete" für Private bei technischen Innovationen wie Digitalradio. Pilz (Jetzt) sieht einen "großen Teil des Programms – von Sitcoms bis 'Dancing Stars' – ganz klar nicht im Bildungsauftrag des Senders". Auf den möge sich der ORF konzentrieren.

Für Nehammer (ÖVP) soll der ORF weiter "österreichische Identität und Inhalte sicherstellen, insbesondere im digitalen Raum", und "möglichst viele Menschen mit möglichst hochwertiger Information und objektiver Berichterstattung erreichen".

"Digitale Entwicklungsfreiheit wünscht Drozda (SPÖ) dem ORF zu seinen bisherigen Betätigungsfeldern. Ähnlich Kogler von den Grünen.

Hans-Jörg Jenewein, FPÖ
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Soll das ORF-Gesetz weiterhin exakt vorgeben, wie viele und welche Kanäle und Plattformen der ORF betreiben darf?

Die Maximalvariante liefern die Grünen: Das Gesetz soll den Bestand festschreiben, Verkauf und Privatisierung dezidiert ausschließen und "Sendererweiterungen" und zusätzliche Angebote "im Ermessen des ORF" ermöglichen. "Vehement" gegen Verkauf oder Privatisierung" ist hier auch die SPÖ, und Jenewein (FPÖ) hält "gar nichts von Verkauf oder Privatisierung", das wäre "auch eine Enteignung der Gebührenzahler". Er will die Entscheidung dem ORF "nicht vorschreiben", hätte die Kanäle aber gern auf ihre öffentlich-rechtlichen Inhalte analysiert.

Radikaler klingt Jetzt: "Mindestens je ein Vollprogramm" in TV, Radio, Online. Aber: Alles weitere solle der ORF "aus journalistischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten" entscheiden.

Der nicht mehr eingebrachte Gesetzesentwurf des ÖVP-geführten Medienministeriums sah keine konkreten Kanalvorgaben mehr vor. Der ORF sollte so viele betreiben, wie er für seinen Auftrag braucht. Nehammer antwortet hier eher vage.

Werner Kogler, Die Grünen
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Braucht es Mindestquoten für österreichische Inhalte in ORF-Programmen?

"Ja", antwortet Nehammer (ÖVP) knapp. Drozda (SPÖ) will 30 Prozent, Jenewein (FPÖ) lieber mit freiwilligen Quoten beginnen. Die Neos lehnen "populistische Entertainment-Planwirtschaft" ab und wollen wie die Grünen Inhalte fördern. Jetzt bevorzugt "100 Prozent Bildungsauftrag", da erledigten sich derlei Quoten.

Thomas Drozda, SPÖ
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Wer soll im ORF entscheiden?

Die ÖVP wirkt recht zufrieden mit dem Stiftungsrat, in dem sie als (bei Besetzung) Kanzlerpartei und mit sechs Landeshauptleuten die weitaus größte Fraktion stellt. SPÖ und FPÖ hätten gern die Kräfteverhältnisse im Nationalrat abgebildet – Oppositionszeiten wären dann für sie nicht ganz so karg im ORF. Für Neos, Grünen und Jetzt seien zu viele Parteileute im Stiftungsrat. Die Grünen wollen ihn von einem "zivilgesellschaftlich besetzten Konvent" beschicken lassen, die Neos eine Hauptversammlung, bestimmt von Zivilgesellschaft und Los. Einen ORF-Vorstand (statt des Alleingeschäftsführers) erwähnen SPÖ, Neos – in der ÖVP-FPÖ-Regierung galten mehrere ORF-Vorstände als fix.

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger
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Soll der ORF weiter GIS einheben?

Die FPÖ drängt weiter auf Abschaffung, den ORF könnte dann das Bundesbudget oder ein Abo-Modell finanzieren. Die Kurz-ÖVP wirkte längerfristiger Budgetfinanzierung bisher nicht abgeneigt; Nehammer schreibt von "ausreichender Finanzierung", das Wie sei nicht entscheidend. Drozda ist für Gebühren auch für Streaming. Kogler für eine Haushaltsabgabe, die auch Medienvielfalt fördern solle. Die Neos wollen "nachhaltige Finanzierung unter 100 Prozent Wahrung der redaktionellen Unabhängigkeit". Jetzt schlägt einen "verfassungsgesetzlich gesicherten Staatsfonds" statt der GIS vor.

Beim drängendsten Thema kam nur die ÖVP nicht konkret auf den ORF. Und zur siebten ORF-Frage nach Wunschkandidaten für die Führung blieben alle recht vage.

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Die Antworten der Mediensprecher im Wortlaut

Braucht es öffentlich-rechtlichen Rundfunk als eigenständige Organisation?

Karl Nehammer (ÖVP): Ein klares Ja. Würde es den ORF nicht geben, so müsste man ihn erfinden. Gerade in Zeiten der Halb- und Desinformation werden Qualitätsmedien noch wichtiger, und insbesondere der Öffentlich-Rechtliche bekommt zusätzliche Bedeutung und Verantwortung. Der öffentlich-rechtliche Auftrag ist aber weiterzuentwickeln – um den aktuellen Erfordernissen, insbesondere der zunehmenden Digitalisierung, zu entsprechen.

Hans-Jörg Jenewein (FPÖ): Ja!

Thomas Drozda (SPÖ): Ja, unbedingt. Gerade im Internetzeitalter mit Fake-News, Filterblasen und Desinformation kommt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Quelle hochwertiger Information eine besondere Rolle zu.

Beate Meinl-Resinger (Neos): Ja. Der ORF ist ein Thema, das viele Menschen bewegt, nicht nur weil sie Gebühren zahlen, sondern auch weil unabhängige Medien eine wichtige Säule der Demokratie sind. Die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit die Medien ihre wichtige Aufgabe erfüllen können. Dem ORF als öffentlich-rechtlichem Rundfunk kommt dabei eine besonders wichtige Rolle zu. Wir bekennen uns zu einem unabhängigen ORF mit modernen Governance-Strukturen, der den Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen ist und so seine Relevanz auch in Zukunft behält.

Peter Pilz – Liste Jetzt: Ganz klar.

Werner Kogler (Grüne): Ja, unbedingt.

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Welche Aufgabe soll der ORF künftig haben?

Karl Nehammer (ÖVP): Unser Ziel und Anspruch ist es, auch in Zukunft österreichische Identität und österreichische Inhalte sicherzustellen, insbesondere im digitalen Raum. Möglichst viele Menschen sollen mit möglichst hochwertiger Information und objektiver Berichterstattung erreicht werden, um den demokratischen Diskurs in der Gesellschaft zu stärken.

Hans-Jörg Jenewein (FPÖ): Der ORF soll sich auf seine Kernkompetenzen zurückziehen. Der ORF muss nicht zwingend einen neuen Blockbuster am Sonntagabend um 20:15 linear ausstrahlen, dazu braucht es keinen ORF. Aber der ORF soll einerseits das beste und umfassendste Informationsangebot des Landes haben, der ORF muss Trägerrakete für die Privaten bei technischen Innovationen (Stichwort ‚Digitalradio‘) sein, und der ORF muss künftig seine Onlinetätigkeit weiter ausbauen. Hier sehe ich die wesentlichsten Aufgaben!

Thomas Drozda (SPÖ): Neben den bereits bisher bestehenden Aufgaben soll der ORF durch eine umfassende Digitalisierungsstrategie auch im Digitalzeitalter eine wesentliche Rolle spielen. Um der modernen Mediennutzung des Publikums gerecht zu werden, benötigt er digitale Entwicklungsfreiheit. Der ORF muss Anschluss an die Bedürfnisse junger Menschen finden und muss auf allen Plattformen auffindbar sein.

Beate Meinl-Reisinger (Neos): Der ORF soll vor allem auch die Produktion und Verbreitung von Public-Value-Inhalten abdecken, also Programme mit gesellschaftlichem Mehrwert, die für rein am Markt orientierte Unternehmen wirtschaftlich nicht produzierbar wären, anbieten. Diese Inhalte sollen möglichst breit verfügbar und abrufbar sein, immerhin zahlt die Allgemeinheit für ihre Produktion, ganz egal ob der ORF über Gebühren, eine Haushaltsabgabe oder aus dem Budget finanziert werden würde. Dafür müssen gesetzliche Beschränkungen wie die Sieben-Tage-Regel von der Politik beseitigt werden, ohne dass der ORF eine marktverzerrende Stellung am Markt einnimmt.

Peter Pilz (Liste Jetzt): Der ORF soll sich deutlich stärker auf seinen Bildungsauftrag konzentrieren. Dazu zählen umfassende und qualitativ hochwertige politische Berichterstattung ebenso wie Kulturangebote und (in geringerem Umfang) Sportberichterstattung und Unterhaltungssendungen. Ein großer Teil des derzeitigen ORF-Programms – von Sitcoms bis "Dancing Stars" – entspricht ganz klar nicht dem Bildungsauftrag des Senders.

Der ORF verfügt über sehr gute Medienproduzenten und Journalisten, die in der Lage sind, ein hochqualitatives Programm mehrheitlich aus Eigenproduktionen zu gestalten.

Werner Kogler (Grüne): All jene, die er jetzt hat und die im öffentlich-rechtlichen Kernauftrag unter § 4 des ORF Gesetzes aufgezählt werden, überdies den Zugang zu allen anderen – vor allem digitalen – Vermittlungskanälen. Die derzeitigen Einschränkungen – etwa Sendungen aus der TVthek nur eine Woche abrufbar – entsprechen insbesondere bei digitalen Medien in keiner Weise einer zeitgemäßen Medienpolitik. Nicht zuletzt ein öffentlich zugängliches ORF-Archiv, wie das bereits jetzt durch das Bundesarchivgesetz möglich sein sollte, aber bisher von ORF-Seite verhindert wurde.

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Soll das ORF-Gesetz exakt vorgeben, wie viele TV-Sender, Radiosender und Onlineangebote der ORF hat? Sollen es weiterhin im Fernsehen 2 Voll- und 2 Spartenprogramme sein, im Radio Ö1, Ö3 und FM3 plus Regionalprogramme plus Onlineangebote – oder könnte man davon auch Kanäle verkaufen/privatisieren?

Karl Nehammer (ÖVP): Medienpolitik darf nicht mit Medienmanagement verwechselt werden. Unser Interesse ist es, dass möglichst viele Menschen mit möglichst hochwertiger Information erreicht werden. Der ORF muss auf das aktuelle Nutzerverhalten eingehen können, um die Nutzer dort zu erreichen, wo diese ihre Inhalte konsumieren. Aufgabe der Politik ist, dafür die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Hans-Jörg Jenewein (FPÖ): Von Verkauf oder Privatisierung halte ich gar nichts, das wäre auch eine Enteignung der Gebührenzahler. Außerdem hätte das budgetär einen Einmaleffekt, und dann wären die Sender aus dem ORF weg. Ich denke, dass man auch hier dem Unternehmen die Entscheidung nicht vorschreiben sollte, wobei man die Sender durchaus einmal analysieren sollte, um diese auf ihren öffentlich-rechtlichen Inhalt hin zu untersuchen.

Thomas Drozda (SPÖ): Wir sprechen uns vehement gegen einen Verkauf und Privatisierung beispielsweise einzelner Fernseh- oder Radiokanäle aus. Gerade im Digitalzeitalter brauchen wir einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der auch noch stärker im Internet präsent sein muss. Hier braucht der ORF mehr Entwicklungsmöglichkeiten.

Beate Meinl-Reisinger (Neos): Abspaltung, Verkauf oder auch Aufstockung einzelner Sender macht keinen Sinn, solange nicht klar ist, wie es mit dem ORF weitergehen soll. Der ORF muss nicht auf Fernseh- und Radiosender verzichten, aber eine Evaluation über die sinnvollsten Methoden zur Verbreitung wird hier stattfinden müssen. Zusätzlich kann und soll der ORF seine hochwertigen Public-Value-Inhalte auch über private Kanäle anbieten. Hier geht es nicht darum, Inhalt zu verschenken, sondern darum, möglichst große Reichweite zu erzielen. Unser demokratisches Interesse ist es, vertrauenswürdige politisch relevante Nachrichteninformation (aber auch Kultur, Sport, Wirtschaft etc.) einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen.

Peter Pilz – Liste Jetzt: Mindestens je ein Vollprogramm in Fernsehen bzw. Radio sowie online. Darüber hinaus ist eine Entscheidung, die aus journalistischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten vom ORF selbst getroffen werden soll.

Werner Kogler (Grüne): Das ORF-Gesetz soll dies vorgeben, aber es soll die Option von Sendererweiterungen und zusätzlichen Angeboten im Ermessen des ORF geben. Kanäle dürfen nicht verkauft oder privatisiert werden, das sollte im ORF-Gesetz festgelegt werden.

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Soll das ORF-Gesetz Mindestanteile für österreichische Produktionen/Musik/Inhalte in Radio- und Fernsehprogrammen des ORF vorschreiben?

Karl Nehammer (ÖVP): Ja.

Hans-Jörg Jenewein (FPÖ): Ja! Wobei ich in einem ersten Schritt für eine freiwillige Quotenregelung bin. Erst wenn diese nicht funktioniert, sollte man eine verpflichtende Quote ins Gesetz schreiben.

Thomas Drozda (SPÖ): Wir unterstützen die Forderung nach einer angemessenen Quote in der Höhe von 30 Prozent für österreichische Inhalte in öffentlichen Medien und solchen, die eine öffentliche Finanzierung in Anspruch nehmen.

Beate Meinl-Reisinger (Neos): Nein, wir wollen keine populistische Entertainment-Planwirtschaft wie zum Beispiel Quotenregelungen. Wir lehnen jegliche staatliche Einmischung in die freie Programmgestaltung unabhängiger Medienhäuser ab – auch wenn sie Förderungen bekommen. Die Förderung österreichischer Musik und vor allem die Filmförderung sollte vielmehr endlich gebündelt werden, damit die Förderung auch zielgerichtet funktionieren kann. Für den ORF gelten hier andere Kriterien. Da "Regionalität", "kulturelle Vielfalt", "Identifikation" Bestandteile des dem Programms zugrundeliegenden Public-Value-Begriffs sind, werden Produktionen mit Österreich-Bezug jedenfalls berücksichtigt werden müssen.

Peter Pilz (Liste Jetzt): Jetzt fordert eine 100-Prozent-Quote für Sendungen, die den Bildungsauftrag des ORF erfüllen. Das ORF-Gesetz soll dahingehend abgeändert werden, dass der ORF ausschließlich jene Sendungen ausstrahlt, wie sie unter §4c (Besonderer Auftrag für ein Informations- und Kultur-Spartenprogramm ) aufgeführt werden. Damit ist auch gewährleistet, dass ein Großteil der ORF-Sendungen aus Programmen mit klarem Österreichbezug (in Produktion oder Inhalt) besteht.

Werner Kogler (Grüne): Nein, dieser Zugang ist nicht sinnvoll. Zu fördern und finanziell zu erhöhen wäre das Film-/Fernsehabkommen, mit dem der ORF die Produktion einheimischer Kinofilme unterstützt – ähnliche Förderung sollte es auch für den heimischen Musikbereich geben.

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Wie soll der ORF künftig geführt und kontrolliert werden (wie soll sich das Aufsichtsgremium oder die Aufsichtsgremien zusammensetzen, wer soll es bestimmen)?

Karl Nehammer (ÖVP): Die Frage der Organisationsform des ORF sehen wir nicht als entscheidendes Thema für die Zukunft des österreichischen Medienstandorts. Hinsichtlich sinnvoller Weiterentwicklungen oder Adaptierungen sind wir selbstverständlich immer gesprächsbereit.

Hans-Jörg Jenewein (FPÖ): Ich halte die Zusammensetzung des Stiftungsrats für einen wenig gelungenen Status quo. Ich bin der Meinung, dass der gesamte Stiftungsrat durch die Parlamentsparteien nach dem D'Hondt-Verfahren besetzt werden sollte. Der ORF ist eine Stiftung öffentlichen Rechts, und natürlich soll und muss das Parlament beim Aufsichtsratsgremium eingebunden sein. Alles andere ist unrealistisch.

Thomas Drozda (SPÖ): Die Strukturen des ORF müssen an Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden: Es braucht eine flexible und klare Organisation und adäquate Aufsichtsstrukturen (geteilte Verantwortung). Die Zusammensetzung des Stiftungsrates soll sich verstärkt am D'Hondt'schen-System (Nationalrat) orientieren. Es bedarf der Umsetzung einer Vorstand-Aufsichtsratsstruktur und des Prinzips gemeinsamer Führungsverantwortlichkeit.

Beate Meinl-Reisinger (Neos): Der Stiftungsrat und der Publikumsrat werden derzeit von parteipolitischer Logik dominiert und sind oft – wie man am Vorsitzenden des Stiftungsrats sehen kann – ihrer jeweiligen Partei behilflich, wenn es darum geht, auf den ORF Druck auszuüben. Wir fordern daher, dass ähnlich wie in Deutschland (wo der Verfassungsgerichtshof 2014 entschieden hat, dass die mehrheitliche Besetzung der Gremien von ZDF und den Dritten mit parteipolitischen und staatsnahen Vertreter_innen nicht zulässig ist, Anm.) die Parteienvertreter in den Gremien jedenfalls eine Minderheit stellen. Stattdessen sollen Vertreter_innen der Zivilgesellschaft und geloste Personen aus der Bevölkerung eine "Hauptversammlung" bilden, die auf Basis von Ausschreibungen und Hearings ein Präsidium wählt. Dieses bestellt wiederum einen mehrköpfigen Vorstand, ebenso auf Basis von Ausschreibungen und Hearings.

Peter Pilz (Liste Jetzt): Derzeit werden 32 von 35 Stiftungsräten von Parteien gestellt. Obwohl es sinnvoll ist, dass politische Parteien als Vertreter ihrer Wählerinnen und Wähler Einfluss im staatlichen Rundfunk haben, handelt sich hierbei um ein krasses Übergewicht.

Jetzt schlägt vor, den ORF-Aufsichtsrat drittelparitätisch zu besetzen: 1/3 ORF-MitarbeiterInnen, 1/3 ParteienvertreterInnen, 1/3 unabhängige Mitglieder (Publikum, Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur), die von den übrigen Mitgliedern bestellt werden.

Außerdem soll das Aufsichtsgremium verkleinert werden. Wie die Redaktion des ORF in einem gemeinsamen Protestvideo 2012 festgestellt hatte, werde in den Redaktionen in einem Ausmaß gespart, das die journalistische Qualität gefährdet. Gleichzeitig sei genug Geld vorhanden, um neue Stellen zu schaffen, die kaum maskierte politische Versorgungsposten sind. Dieser Entwicklung muss ein Riegel vorgeschoben werden.

Werner Kogler (Grüne): Der ORF muss endlich in die parteipolitische Unabhängigkeit entlassen werden. Dafür muss die Bestellung der StiftungsrätInnen auf eine breite Basis gestellt und von den Parteien entkoppelt werden, damit es keine Möglichkeit mehr gibt, unangepasstes Abstimmungsverhalten im Stiftungsrat durch den Austausch der Personen zu sanktionieren. Die Beschickung des Stiftungsrats sollte nach einer Novellierung des ORF-Gesetzes durch einen zivilgesellschaftlich besetzten Konvent erfolgen. Der Wahl sollte ein öffentliches Hearing vorangehen.

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Wie soll der ORF künftig finanziert werden – aus Gebühren für TV und Radio, Gebühren auch für Streaming, aus dem Staatsbudget oder einem Staatsfonds, aus einer Haushaltsabgabe oder ...?

Karl Nehammer (ÖVP): Wir bekennen uns ausdrücklich zu einer ausreichenden Finanzierung des ORF unter der bereits jetzt im Gesetz vorgesehenen Prämisse des sparsamen und sorgsamen Umgangs mit öffentlichen Mitteln. Die entscheidende Frage ist nicht, wie der ORF finanziert wird, sondern dass die Finanzierung gesichert ist. Denn gerade in Zeiten der immer steigenden Desinformation und Halbinformation bekommen Qualitätsmedien eine zusätzliche Bedeutung und insbesondere der Öffentlich-Rechtliche eine besondere Relevanz und einen zusätzlichen Auftrag und damit Verantwortung: nämlich vom reinen Informationsmedium auch zum Verifikationsmedium zu werden.

Hans-Jörg Jenewein (FPÖ): Die FPÖ fordert seit Jahren das Ende der ORF-Gebühren. Daran hat sich nichts geändert. Eine Finanzierung aus dem Bundesbudget ist genauso denkbar wie auch eine Verschlüsselung mit Abo-Dienst. Wobei wir bei Letzterem jedoch zuerst die Bundesverfassung ändern müssten.

Beate Meinl-Reisinger (Neos): Solange nicht geklärt ist, welche Aufgaben ein moderner, öffentlich-rechtlicher Rundfunk – den es unbedingt braucht – wahrnehmen soll, muss und will, ist jede Finanzierungsdebatte hinfällig. Da wurde das Pferd von der letzten Regierung sehr bewusst von hinten aufgezäumt. Am Beginn der Diskussion muss daher weiterhin die Entparteipolitisierung (aka Gremienreform) des ORF stehen. Dass die Diskussion vom Finanzministerium unter dem Motto "Bürger entlasten" losgetreten wurde, zeigt den fehlenden medien- und demokratiespezifischen Fokus. Erst wenn Aufgaben sowie Strukturen und damit der Finanzbedarf für einen modernen öffentlich-rechtlichen Rundfunk geklärt sind, kann seriös entschieden werden, wie eine nachhaltige Finanzierung unter 100 Prozent Wahrung der redaktionellen Unabhängigkeit des ORF darzustellen ist.

Peter Pilz (Liste Jetzt): Niemand zahlt gerne die GIS. Angesichts der zunehmenden Verlagerung von Angeboten ins Netz ist sie auch nicht sinnvoll. Das Budget des ORF darf jedoch nicht zur Verhandlungsmasse in Budgeterstellungen oder gar zum Druckmittel gegen kritische Berichterstattung werden. Genau das wäre der Effekt einer Finanzierung des ORF aus dem Budget. Jetzt tritt für die Etablierung eines verfassungsgesetzlich gesicherten Staatsfonds ein, aus dem sich der ORF finanziert. So lässt sich seine völlige wirtschaftliche Unabhängigkeit gewährleisten.

Werner Kogler (Grüne): Der ORF soll grundsätzlich aus Gebühren finanziert werden. Angesichts des stark veränderten Nutzungsverhalten ist eine Haushaltsabgabe das Modell der Zukunft. Dabei müssen Stärken und Schwächen des deutschen Modells berücksichtigt werden. Die Haushaltsabgabe sollte nicht nur die ORF-Finanzierung, sondern die Medienvielfalt in Österreich generell fördern.

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Welches medienpolitische Thema ist am drängendsten – und wie lösen Sie es?

Karl Nehammer (ÖVP): Die tatsächliche Herausforderung im Medienbereich: Wie können wir gewährleisten, dass es auch noch in zehn oder fünfzehn Jahren relevante österreichische Medien und damit österreichische Inhalte und heimische Identität gibt – insbesondere im digitalen Raum.

Deshalb muss unser oberstes Ziel sein, den Medienstandort Österreich nach vorne zu bringen und fit für den Wettbewerb mit den Internet-Giganten zu machen. Diese profitieren nämlich von einem völlig asymmetrischen Wettbewerb: insbesondere sind diese kaum reguliert und müssen keine kostspieligen Redaktionen führen. Geht das so weiter, können österreichische Medien nicht weiterbestehen bzw. haben wir bald nur noch staatlich finanzierte Medien. Beides wäre katastrophal für den Standort und die Demokratiepolitik. Der Medienstandort muss deshalb anders gesehen werden: Weniger im Klein-klein gegeneinander, sondern stattdessen Miteinander für den Standort Österreich gegen die globale Konkurrenz. Dazu braucht es eine funktionierende & pluralistische Medienlandschaft.

Hans-Jörg Jenewein (FPÖ): Der ORF als "größte Medienorgel des Landes" steht vor großen Herausforderungen, und gerade die digitale Konkurrenz von Amazon, Netflix & Co ist drauf und dran, den Öffentlich-Rechtlichen völlig abzuhängen. Um dem entgegenzuwirken, braucht der ORF ein neues Gesetz, ein Gesetz, dass gerade den digitalen Notwendigkeiten entspricht. Derzeit kann der ORF gar nicht reagieren, weil die gesetzlichen Grundlagen nicht gegeben sind.

Thomas Drozda (SPÖ): Eine große Herausforderung für den Medienbereich stellt die Digitalisierung dar. Eine Gefahr für eine vielfältige österreichische Medienlandschaft geht dabei von internationalen Plattformen aus. Diese erzielen enorme Gewinne, besitzen aber gleichzeitig durch lückenhafte Regulierung (Abgaben, Steuerrecht, Datenschutz, Medienrecht etc.) einen großen Wettbewerbsvorteil gegenüber traditionellen Medienunternehmen. Hier braucht es einerseits regulatorische Maßnahmen und Beschlüsse gegen Steuervermeidung auf europäischer Ebene (z. B. digitale Betriebsstätte) und andererseits die Stärkung der Medienkompetenz der Nutzerinnen und Nutzer, Anpassung der Medienförderung an das Digitalzeitalter und stärkere Unterstützung von Qualitätsjournalismus.

Ebenfalls ein ganz drängendes Thema ist die Sicherung der Pressefreiheit: In vielen Staaten Europas haben in den letzten Jahren Angriffe auf die Pressefreiheit und JournalistInnen stattgefunden. Österreich hat sich in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen massiv verschlechtert und fiel von Platz 11 auf 16. Die Pressefreiheit ist eine wesentliche Säule der Demokratie und muss unbedingt gesichert sein. Wir messen daher alle medienpolitischen Maßnahmen daran, ob sie die demokratische Kraft der Medien stärken und zu mehr Vielfalt, Unabhängigkeit und qualitativ hochwertiger Berichterstattung führen. Als konkrete Maßnahmen treten wir für die gesetzliche Verankerung der Unabhängigkeit von Redaktionen, die Sicherung von fairen Arbeitsbedingungen für JournalistInnen und die Stärkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein.

Beate Meinl-Reisinger (Neos): Medienpolitik ist bei Neos ganz klar Chefinnensache. Das drängendste medienpolitische Thema ist zugleich ein zutiefst gesellschaftspolitisches: Die Freiheit der Medien muss sichergestellt und ausgebaut werden. Jeder Angriff auf eine/n Journalist_in oder auf ein ganzes Medium ist zugleich ein Angriff auf die Demokratie und den Rechtsstaat selbst. Österreich hat hier unter Türkis-Blau den falschen Weg eingeschlagen, nämlich weg von der Freiheit, hin in Richtung eines Viktor Orbán, der die Medienlandschaft Ungarns kontrolliert und öffentlich zur Jagd auf die letzten unabhängigen Medien bläst. Wie können wir es schaffen, dass die österreichischen Medien noch unabhängiger werden? Inserateausgaben müssen runter, die Medienförderung muss grundlegend reformiert und deutlich erhöht werden und von einer unabhängigen Kommission – bestehend aus Fachleuten – vergeben werden. In den Gremien des ORF sollen Parteienvertreter_innen in Zukunft eine Minderheit darstellen. Unsere konkreten Vorschläge liegen dazu auf dem Tisch.

Peter Pilz (Liste Jetzt): Das drängendste Thema ist die Unabhängigkeit des ORF. Wenn Stiftungsratschef Norbert Steger, der kritischen Journalisten mit Entlassung gedroht hat und FPÖ-Mediensprecher Hans-Jörg Jenewein ein neues ORF-Gesetz planen, ist das zum Fürchten. Der ORF ist das letzte verbindende Leitmedium, das alle Bürgerinnen und Bürger erreicht. Wird seine Unabhängigkeit bedroht, gerät dadurch nicht nur die Funktion der Demokratie, sondern auch der gesellschaftliche Zusammenhalt in echte Gefahr.

Werner Kogler (Grüne): Eines der drängendsten Themen ist die Neuordnung der Presse- und der Publizistikförderung, mit Augenmerk auf Online-Medien. Nicht die Auflagenhöhe soll für die Förderung relevant sein. Außerdem wäre die Zusammensetzung der Presseförderungskommission zu ändern. Ein weiteres zentrales Thema ist die Änderung des ORF-Gesetzes. Hier muss die Erhaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unter Stärkung des unabhängigen Journalismus und die Neukonzeption der Gremien (Stiftungsrat/Publikumsrat) im Mittelpunkt stehen. Insgesamt streben wir eine Neuorganisation der Medienförderungen an.

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Spätestens Ende 2021 ist die nächste ORF-Führung zu bestellen. Haben Sie Wunschkandidaten oder ein Anforderungsprofil, wer sich dafür besonders eignen würde?

Karl Nehammer (ÖVP): An etwaigen Personalspekulationen nimmt die Volkspartei nicht teil.

Hans-Jörg Jenewein (FPÖ): Wir werden uns zum gegebenen Zeitpunkt darüber Gedanken machen. Es gibt im ORF sehr viele gute Mitarbeiter und Medienmanager. Ich denke der ORF sollte seine Führung aus dem inneren heraus wählen.

Thomas Drozda (SPÖ): Der aktuelle Generaldirektor verfügt über einen aufrechten Vertrag, daher beteiligen wir uns nicht an Personalspekulationen. In jedem Fall muss eine zukünftige Leitung einen überzeugenden Weg skizzieren, wie der ORF zu einem Medienunternehmen des 21. Jahrhunderts um- und ausgebaut werden kann. Dafür braucht es jedoch auch die rechtlichen Rahmenbedingungen.

Beate Meinl-Reisinger (Neos): Wir sind der Meinung, dass sich die Politik nicht in den ORF einzumischen hat, schon gar nicht in die Bestellung von Personal. Als Bürger_innen würden wir uns aber wünschen, dass im Sinne der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die ORF-Führung nicht aufgrund von Parteizugehörigkeit, sondern aufgrund von Qualifikationen bestellt wird. Wir plädieren daher für transparente Ausschreibungen und öffentliche Hearings vor den Gremien für die neue ORF-Führung.

Peter Pilz (Liste Jetzt): Der/die nächste ORF Generalintendant/Generalintendantin muss eine journalistisch qualifizierte Person ohne Parteinähe sein, die vom Aufsichtsrat gewählt wird. Es ist nicht Aufgabe politischer Parteien, sich Kandidatinnen oder Kandidaten zu wünschen.

Werner Kogler (Grüne): Wir haben keine WunschkandidatInnen. Wenn wir wirklich einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen ORF wollen, und das wollen wir Grüne, dann muss das Unternehmen das Anforderungsprofil definieren, nicht die politischen Parteien. (Harald Fidler, 14.8.2019)