"Gleich sind wir bei meiner roten Villa", scherzt der Rucksack-Peter am Weg zur Donauinsel. Seine "rote Villa" ist die Brigittenauer Brücke. Die rot gestrichene Unterseite war Tag für Tag das Erste, was der Rucksack-Peter nach dem Aufwachen gesehen hat. Mehr als 20 Jahre lang war die Donauinsel sein Zuhause. Notunterkünfte hat er immer gemieden. "Dort hat man nie seine Ruhe", sagt der 50-Jährige. Deshalb hat er lieber unter freiem Himmel geschlafen. Auch im Winter, bei Eiseskälte. "Du brauchst nur eine gute Unterlage und einen guten Schlafsack, selbst bei minus 25 Grad."

"Rucksack mit zwei Beinen"

Länger ein Dach über dem Kopf hatte der Rucksack-Peter das letzte Mal in seiner Jugend. Nach einem Vorfall in der Berufsschule bricht er alle Zelte ab, reist ein paar Jahre plan- und ziellos durch Europa. Danach folgen dreißig Jahre in Wien auf der Straße. Zuerst am Donaukanal, dann auf der "Insel".

Die Bigittenauer Brücke (Hintergrund) war jahrelang die "rote Villa" des Rucksack-Peters.
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Mittlerweile schimmern seine kurzen Haare grau unter dem Kapperl hervor. Sein Schnauzbart ist von den vielen Zigaretten gelblich verfärbt. "Früher hatte ich immer Zimmer, Kuchl, Kabinett dabei. Ich war ein Rucksack mit zwei Beinen", erklärt der Peter seinen Spitznamen. Einen Rucksack trägt er heute noch stets mit sich – hauptsächlich aus Gewohnheit, vielleicht auch aus Nostalgie. In der Nähe seiner roten Villa nimmt er ihn von den Schultern und setzt sich auf ein Bankerl. "Wer hat schon eine Badewanne, wo riesige Schiffe fahren können?", scherzt er und zeigt auf die Donau. Der Rucksack-Peter nimmt alles mit Humor. Am meisten sich selbst und sein Leben auf der Straße.

"Der Peter ist ein Urgestein der Wiener Obdachlosenszene", sagt die Sozialarbeiterin Susi Peter aus der Obdachloseneinrichtung Gruft. Susi Peter und der Rucksack-Peter kennen sich schon seit 25 Jahren. "Typen wie ihn gibt es nicht mehr viele", sagt sie. "Weil die meisten sich mittlerweile die Radieschen schon von unten anschauen", kontert er. Viele Menschen, die jahrzehntelang obdachlos waren, kämpfen mit psychischen Krankheiten. Sie leben oft allein und abgeschieden, tun sich sehr schwer, Hilfe anzunehmen. Susi Peter nennt das "beratungsresistent", der Rucksack-Peter nennt das Sturheit. Auch er wollte nie wohnversorgt werden. "Ich bin einfach immer ein Zugvogel gewesen", grinst er.

Peters neue Bleibe im 21. Bezirk: "Jetzt hab ich 48 Quadratmeter für mich allein, inklusive Balkonien und Parkettboden."
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Doch selbst die unermüdlichsten Zugvögel kommen irgendwann zur Ruhe. Vor einem knappen Jahr ist der Rucksack-Peter sesshaft geworden. Thrombosen, Probleme mit der Wirbelsäule und Leberbeschwerden haben ihn dazu bewegt, doch Hilfe anzunehmen. Jetzt wohnt er in einer kleinen Neubauwohnung in Floridsdorf. "Hätte mir jemand vor zehn Jahren gesagt, dass ich einmal sesshaft werde, hätte ich ihn gefragt, ob er deppert ist", lacht er, während er die Tür aufsperrt.

Heute ist er stolz auf seine eigenen vier Wände. "Jetzt hab ich 48 Quadratmeter für mich allein, inklusive Balkonien und Parkettboden." Wenn der Rucksack-Peter "Parkett" sagt, klingt es wie "Baguette". Er sieht nicht nur aus wie ein Mundl-Charakter, er redet auch so.

Bekommen hat er die Wohnung über den Housing-First-Ansatz. Wien versucht mit diesem Konzept, Obdachlosen wieder eigenen Wohnraum zu geben – ohne dass sie zuerst die verschiedenen Stufen und Wohnformen der Obdachlosenhilfe durchlaufen müssen. Derzeit fördert der Fonds Soziales Wien (FSW) 371 Plätze. Dazu kommen noch etwa 1000 Plätze in Projekten, die sich ebenfalls an Housing First orientieren.

Schlafen auf dem Balkon

Beim Rucksack-Peter klappt das bisher gut. Insgesamt kostet ihn die Wohnung monatlich rund 500 Euro. Finanziell wird es mit der Mindestsicherung oft eng. Zu helfen weiß sich der Überlebenskünstler aber immer. "Vom Wissen her könnte ich euch jederzeit ein Haus aufstellen. Aber ob es dann sicher ist, ist eine andere G’schicht", scherzt er. Seine Verpflichtungen als Mieter nimmt er aber ernst. Die Wohnung will er nicht wieder verlieren. Auch mit der Vergangenheit hat er inzwischen abgeschlossen. "Und wenn ich in der Wohnung doch einmal den Wind vermisse, leg ich mich einfach auf den Balkon." (Alexander Polt, 13.8.2019)