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Die Folgen der Klimakatastrophe sind kaum wo so deutlich spürbar wie in Bangladesch. Die Anwältin Rizwana Hasan, 51, leitet dort den Verein der Umweltanwälte Bangladeschs, der Klagen im öffentlichen Interesse einreicht. Sie kämpft für nicht weniger als für ein Menschenrecht auf eine intakte Umwelt.

STANDARD: Sie setzen sich seit vielen Jahren für Umweltgerechtigkeit in Bangladesch ein – was verstehen Sie darunter?

Hasan: Es gibt keine allgemein anerkannte Definition von Umweltgerechtigkeit. Für die Menschen im Süden Bangladeschs, mit denen ich arbeite, ist es das Recht auf Trinkwasser. Für Menschen im Norden das Recht auf ausreichend Wasser für ihre Felder. Für Bewohner der Hauptstadt Dhaka ist es das Recht auf eine Lebensumgebung ohne Umweltverschmutzung. Es geht um den Zugang zu Information und Rechtsbehelfen, um Teilhabe. Das Recht auf intakte Umwelt ist das Recht auf Würde und ein gutes Leben.

STANDARD: Was sind denn im Moment die drängendsten Umweltprobleme Bangladeschs?

Hasan: Bangladesch ist eines der am dichtesten besiedelten Länder der Welt, Dhaka eine der am dichtesten besiedelten Städte, und kaum wo auf der Welt ist die Luft so verschmutzt wie dort. Im Juni erst zeigte der Global-Peace-Index, dass Bangladesch zu den am wenigsten friedlichen Ländern der Welt gehört. Das ist so, weil Millionen Menschen hier klimabedingten Gefahren wie dem Verlust von Land ausgesetzt sind. Der Klimawandel führt zu einem Anstieg der Meeresspiegel – und schon bei einem Anstieg von einem Meter könnte ein Drittel des Landes unter Wasser sein. Damit haben die 160 Millionen Bangladescher noch weniger Land zur Verfügung als jetzt schon. Die Menschen ziehen in die Städte, und dort führt der Kampf um die knappen Ressourcen zu Gewalt.

Das heißt: Die größten Umweltprobleme Bangladeschs sind rasches und unkontrolliertes Wachstum der Städte, Misswirtschaft der natürlichen Ressourcen und nichtfunktionierende Institutionen.

Zwei junge Männer in Bangladesch. Hier haben Kinder unter 15 Jahren ein fast dreimal höheres Risiko, an Durchfall oder Krankheiten zu sterben, die auf verseuchtes Wasser zurückzuführen sind, als durch direkte Waffengewalt.
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STANDARD: Bangladesch hat immerhin einen eigenen Umweltgerichtshof – zählen Sie ihn auch zu den nichtfunktionierenden Institutionen?

Hasan: Ja. Erstens: Das Gesetz schreibt vor, dass sich dieser Gerichtshof mit allen Straftaten im Rahmen des Umweltschutzgesetzes von 1995 befasst sowie mit allen Gesetzen, die später als Umweltgesetze definiert wurden. Aber Bangladesch hat gar kein Gesetz, sei es in Bezug auf Wasser, Wald, Wildtiere oder Verkehr, später als Umweltgesetz definiert.

Zweitens sieht das Gesetz vor, dass das Umweltministerium den Gerichtshof anruft. Aber das Umweltministerium ist selbst für diese Untersuchung zuständig! Es liegt also ein klarer Interessenkonflikt vor. Drittens kann das Berufungsverfahren sehr langwierig sein. Wir bringen unsere Fälle daher zum Supreme Court.

STANDARD: Was für Fälle sind das, die sie aktuell betreuen?

Hasan: Der jüngste Fall ist ein Urteil gegen jemanden, der Landraub in Dhaka betrieben hat. Er hat auf zwei Kilometern Schwemmland Wohnblocks errichtet und Wohnungen verkauft. Wir hatten bereits 2005 Klage eingereicht. Heuer ist nach 14 Jahren Gerichtsverfahren endlich das Urteil ergangen, dass das Projekt illegal ist. Der Makler muss nun die Gebäude abreißen und die Käufer entschädigen. Dies ist ein beispielloser Sieg.

Während all der 14 Jahre des Rechtsstreits gab es kaum mediale Berichterstattung, da der Makler Anzeigen für die Wohnungen in vielen Print- und elektronischen Medien geschalten hat. Einige Medieninhaber sind außerdem selbst Makler. Das zeigt ein größeres Problem: Umweltverschmutzer sind in der Regel die Reichen, die wirtschaftlich Mächtigen. Aber es sind die Armen, die darunter leiden.

STANDARD: Wird das Urteil überhaupt umgesetzt werden? Im Korruptionsindex von Transparency International liegt Bangladesch auf Platz 149 – von 180.

Hasan: Als Anwältin muss ich ans Recht glauben. Ich weiß, dass es ein langsamer Prozess ist, insbesondere im Kampf gegen Personen, die Medien besitzen und der Regierung nahestehen. Aber ich habe keinen Zweifel daran, dass das Schwemmland wiederhergestellt wird. Die Frage ist nur, wann. Wir werden den Rechtsstreit fortsetzen. Das Projekt kann aber auf keinen Fall wieder legalisiert werden. Das ist ausjudiziert.

Kinder arbeiten ohne Schutzbekleidung mit einem Schneidbrenner an Schiffsteilen in Bangladesch.
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STANDARD: Man kennt Sie vor allem wegen Ihrer Klagen gegen Abwrackwerften in Bangladesch. Wie funktioniert diese Branche?

Hasan: Die Regierung ist der Ansicht, dass man mit der Gewinnung von Stahl aus alten amerikanischen, europäischen und japanischen Schiffen viel Geld machen kann. Deswegen kommen an unsere Strände jährlich rund 180 Schiffe, die dort zerlegt werden. Nach dem Basler Übereinkommen handelt es sich dabei um Abfall. In einem westlichen Land kann die Entsorgung von Sondermüll sehr teuer sein. Also verkaufen die Schiffseigner ihre Schiffe an Bargeldkäufer, die diese beispielsweise auf einer karibischen Insel registrieren. Die verkaufen die Schiffe dann weiter an Abwrackwerften in Bangladesch. Beim Abwracken werden Wasser und Luft verschmutzt, und es passieren regelmäßig Unfälle, bei denen Arbeiter ums Leben kommen. Menschen sterben bei Explosionen, oder sie fallen aus großer Höhe. Die Arbeiter sind Asbest, giftigen Farben und Flüssigkeiten ausgesetzt, die Krebs erzeugen können.

STANDARD: Der Verein der Umweltanwälte Bangladeschs hat vor zehn Jahren erkämpft, dass kein Schiff mehr ohne sogenannte Umweltfreigabe in die Häfen einfahren darf. Was ist seither passiert?

Hasan: Das Urteil von 2009 sah vor, dass Schiffe außerhalb Bangladeschs vorgereinigt werden müssen, weil Bangladesch nicht die notwendigen Einrichtungen dafür hat. Außerdem sah es Sicherheitsmaßnahmen für Arbeiter vor. Was ist passiert? Die politische Führung hat einfach Umweltfreigaben erteilt. Schiffe wurden fälschlicherweise als abfallfrei zertifiziert – und fahren nach wie vor in Bangladeschs Häfen ein. Das ist Greenwashing. Die EU erlaubt es nicht, Schiffe zum Abwracken nach Bangladesch zu bringen, aber wenn man ein Schiff verkauft, kann es später unter einer anderen Flagge einfahren. Auch die Sicherheitsmaßnahmen für Arbeiter sind nicht ausreichend: In den vergangenen zehn Jahren – seit dem Urteil – sind 178 Arbeiter gestorben.

Arbeiter in Bangladesch schleppen ein Kabel vom ölverseuchten und verdreckten Strand zu einem ausgeweideten Schiff.
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STANDARD: Das klingt frustrierend – was treibt Sie an, trotzdem weiterzumachen?

Hasan: Ja, es ist frustrierend, aber wir werden weiterkämpfen. Es gibt kleine Verbesserungen – etwa die Bezahlung eines Mindestlohns an Arbeiter. Je willkürlicher die Regierung agiert, desto nötiger ist unsere Arbeit. Die Dinge könnten besser sein, wenn wir eine funktionierende Demokratie hätten. Das ist in Bangladesch nicht der Fall. Aber die Justiz reagiert heute schneller als früher.

Aktuell erwarte ich zwei Urteile. Der erste Fall betrifft ein Schiff, das ursprünglich einem dänischen Reeder gehörte. Es war strahlenverseucht und wurde trotzdem zu einem Viertel abgewrackt, für die Arbeiter gab es keine Sicherheitsmaßnahmen. Können Sie sich das vorstellen? Das wurde zwar gestoppt, aber wir fragen uns, warum das überhaupt passieren konnte. Der zweite Fall betrifft die Schließung aller Werften, in denen es wiederholt Todesfälle gab.

Anwältin Rizwana Hasan hat für ihr Engagement 2009 den Goldman Prize erhalten.
Goldman Environmental Prize

STANDARD: Sie stehen dem Verein der Umweltanwälte Bangladeschs seit mehr als 20 Jahren vor. Was hat sich in Ihrer Arbeit verändert?

Hasan: Als wir die Bewegung für Umweltgerechtigkeit ins Leben gerufen haben, waren wir allein. Anfangs haben wir Zeitungen gelesen, um auf Umweltprobleme aufmerksam zu werden. Heute haben wir dazu keine Zeit mehr. Die Fälle kommen zu uns. Die Menschen sind viel umweltbewusster, inzwischen gibt es in jedem Distrikt Bangladeschs lokale Umweltbewegungen. Neue Institutionen wurden gegründet wie die Nationale Kommission für Gewässerschutz oder die Kommission für das Recht auf Information, und sie erhalten viele Anfragen von Umweltverbänden.

STANDARD: Und wo steht die Umweltgerechtigkeit international?

Hasan: Wir müssen heute nicht mehr nur über den entwickelten Westen sprechen. Wenn man will, dass die Regierung Bangladeschs Plastiksackerln verbietet, kann man auf Ruanda verweisen. Wenn man will, dass sich die Regierung stärker für erneuerbare Energien einsetzt, kann man Costa Rica erwähnen. Die globale Solidarität ist groß. Und jedes Mal, wenn ein Umweltaktivist angegriffen wird, senden wir eine E-Mail aus, und die gesamte globale Umweltbewegung ist informiert. (Benjamin Breitegger, 13.8.2019)

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