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In Italien ist von der politischen Sommerpause nichts geblieben. Hier in Catania demonstrieren Anhänger von Innenminister Salvini.

Foto: REUTERS/Antonio Parrinello

Bei den von Salvini geforderten Neuwahlen am meisten zu verlieren hätten die Fünf Sterne: Als klarer Sieger der Parlamentswahlen vom März 2018 verfügt die Fünf-Sterne-Bewegung, kurz Grillini genannt, über 323 Parlamentssitze, nämlich 107 im Senat und 216 in der Abgeordnetenkammer. Angesichts der aktuellen, katastrophalen Umfragewerte dürfte es bestenfalls jedem Dritten von ihnen gelingen, den Sitz bei Neuwahlen zu verteidigen. Die anderen müssten wieder in ihren alten Beruf zurückkehren, sofern sie einen hatten. Arbeits- und Wirtschaftsminister Luigi Di Maio zum Beispiel hatte vor seiner Wahl ins Parlament als Sandwichverkäufer im Fußballstadion von Neapel gejobbt. Ein Abschied von der Politik erscheint da nicht so verlockend.

Bei der Abstimmung über den von Innenminister Matteo Salvini gegen Regierungschef Giuseppe Conte eingebrachten Misstrauensantrag werden die Grillini deshalb geschlossen "ihren" Premier unterstützen. Natürlich würde keiner zugeben, dass es nur darum geht, den bequemen Sessel im Parlament zu retten. Und so werden hehre Motive vorgeschoben: "Retten wir Italien vor den neuen Barbaren", schrieb der Gründer der Protestbewegung, der Komiker Beppe Grillo, in seinem Blog. Mit den "neuen Barbaren" meinte er den bisherigen Koalitionspartner, also die rechte Lega von Salvini, die bei Neuwahlen laut den Umfragen einen Erdrutschsieg einfahren würde. Gleichzeitig sprach sich Grillo für die Bildung einer alternativen Regierung aus – notfalls auch zusammen mit dem sozialdemokratischen Partito Democratico, der in den Augen der Grillini noch bis vor kurzem als Inbegriff einer korrupten und elitären Politik galt.

Zukunft ohne Lega

Die Sirenengesänge Grillos finden bei den Sozialdemokraten durchaus Gehör – doch wie so oft ist der PD auch in dieser Frage zutiefst gespalten. Der frühere Partei- und Regierungschef Matteo Renzi hat dem Blogeintrag Grillos umgehend zugestimmt und erklärt, dass es "verrückt" wäre, bereits im Herbst Neuwahlen zu veranstalten. Er wies darauf hin, dass in diesem Fall eine mit der EU vereinbarte automatische Mehrwertsteuererhöhung drohe, die man mit der Bildung einer "institutionellen Regierung" ohne die Lega abwenden könnte. Renzis früherer Finanzminister Pier Carlo Padoan pflichtete bei und warnte, dass Salvini nach seinem absehbaren Wahlsieg einen Staatshaushalt vorlegen würde, der Italien direkt aus dem Euro führen könnte. Auch Renzi steht freilich im Verdacht, dass er nur seine Truppen im Parlament retten will.

Der Vorschlag, sich mit den Fünf Sternen ins politische Lotterbett zu legen, wird innerhalb des Partito Democratico aber auch von vielen abgelehnt, allen voran von Parteichef Nicola Zingaretti. Die Wähler würden es kaum verstehen, wenn sich die Partei mit einer Bewegung verbündete, die man noch vor wenigen Tagen als völlig unfähig bezeichnet hatte und die sich mehr als ein Jahr lang als naiver Steigbügelhalter Salvinis hervorgetan hatte, argumentiert Zingaretti. Nicht die Idee von Neuwahlen sei "verrückt", sondern ein Pakt mit den Grillini, betonte auch der frühere PD-Wirtschaftsminister Carlo Calenda. Denn ein reines Zweckbündnis aus lauter ehemaligen Feinden würde nur dazu führen, dass Salvinis Lega bei späteren Wahlen nicht 36 bis 40 Prozent wie in aktuellen Umfragen, sondern gleich 60 Prozent der Stimmen gewinnen würde.

Entscheidung über Votum soll am Dienstag fallen

Der Senat entscheidet am Dienstag wann über einen von der Regierungspartei Lega eingereichten Misstrauensantrag gegen Premier Conte abgestimmt werden soll. Der Ausgang ist völlig offen – fest steht nur, dass Salvini, der seine eigene Regierung stürzen will, im Parlament über weniger als 20 Prozent der Sitze verfügt. Er hat also noch nicht gewonnen, zumal sich neben den Grillini und Teilen des PD auch die radikale Linke, die Fraktion der Europafreunde und auch diverse prominente Exponenten von Silvio Berlusconis Forza Italia für die Bildung einer alternativen Regierung ausgesprochen haben.

Sollte Matteo Salvini verlieren, wird er seine Minister aus der heutigen Koalitionsregierung mit den Fünf Sternen abziehen – und am Ende wird jedenfalls Staatspräsident Sergio Mattarella das Heft in die Hand nehmen: Er wird entscheiden, ob er einen Versuch mit einer bunt zusammengewürfelten Anti-Salvini-Regierung wagen möchte – oder ob er das italienische Parlament auflöst und Neuwahlen im kommenden Herbst ausschreibt. (Dominik Straub aus Rom, 12.8.2019)