Die 183 Sitze im Nationalrat sind begehrt. Das dreischrittige Sitz-Zuteilungsverfahren ist allerdings komplex – die Basis dafür bilden die Listen auf Regional-, Landes- und Bundesebene.

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Nach der Wahl ist vor der Wahl, sagen eifrige Parteistrategen gerne – weil sie offenbar immer schon an den nächsten Urnengang denken müssen. Zumindest was die Großparteien betrifft, ist diesmal aber auch vor der Wahl in gewisser Weise nach der Wahl. Denn: Die Listen, über die Kandidaten in den Nationalrat einziehen werden, unterscheiden sich nur in Einzelheiten von jenen aus dem Jahr 2017.

Die ÖVP, die unter der Ägide von Sebastian Kurz auf zahlreiche Quereinsteiger setzte, bleibt diesmal weitgehend bei ihrem bestehenden Team. Neue Namen findet man auf der türkisen Bundesliste nicht. Auch die SPÖ setzt in erster Linie auf ihre altbekannten Kräfte. Der FPÖ ist zwar niemand Geringerer als ihr Spitzenkandidat abhandengekommen. Darüber hinaus wird sich aber das blaue Team im Parlament ähnlich zusammensetzen – auch wenn die Dritte Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller nicht mehr antritt.

Quereinsteiger bei Grün und Pink

Ganz anders sieht es bei den Grünen aus, die heuer einige Quereinsteiger aufbieten. Das liegt nicht nur daran, dass sie 2017 aus dem Nationalrat flogen, sondern auch daran, dass bei ihnen die Bundesliste vom Bundeskongress gewählt wird. Dieser setzte die Global-2000-Chefin Leonore Gewessler auf Platz zwei und die Journalistin Sibylle Hamann auf Platz drei. Die Neos haben auch heuer wieder eine sogenannte Wildcard an einen Nichtpolitiker vergeben: Kurier-Herausgeber Helmut Brandstätter präsentierte kürzlich sein Buch Kurz & Kickl – Ihr Spiel mit Macht und Angst, verließ die Zeitung und zieht jetzt für die Neos in den Wahlkampf. Mit Platz zwei auf der Bundesliste ist ihm ein Mandat sicher.

Mit dem Tierschützer Martin Balluch konnte auch Peter Pilz für seine Liste Jetzt einen öffentlich bekannten Mitstreiter gewinnen, der als niederösterreichischer Spitzenkandidat ins Rennen geht. Dass er dem Nationalrat angehören wird, ist aufgrund der mauen Umfragewerte von Jetzt allerdings unwahrscheinlich. Auch KPÖ und Wandel können laut den Meinungsforschern nicht auf Mandate hoffen.

Komplexer Algorithmus

Man muss dazusagen: Spekulationen darüber, wer konkret demnächst im Parlament sitzen wird, sind ziemliche Kaffeesudleserei. Das österreichische Wahlsystem ist so komplex wie kaum ein anderes, die Sitzverteilung folgt einem dreiphasigen Algorithmus.

Auf der niedrigsten Ebene sind die 39 Regionalwahlkreise angesiedelt, über die man ein sogenanntes Grundmandat erzielen kann. Der in Prozenten gemessene "Preis" eines Grundmandats ist allerdings regional sehr unterschiedlich. Während in Graz und Umgebung schon zehn Prozent der Wählerstimmen im Wahlkreis ausreichend sein können, bräuchte man in Osttirol mehr als 90 Prozent der Kreuzerln, was praktisch unmöglich ist. Für die Großparteien sind Regionalkreise die wichtigste Quelle ihrer Mandate, die ÖVP konnte 2017 38 von 62 Mandaten auf diese Weise erringen. Für Kleinparteien ist der Preis hingegen meist zu hoch: Kein einziger der momentan zehn Neos-Abgeordneten sitzt dank eines Grundmandats im Parlament.

Hoffnung aufs Nachrücken

In einem zweiten Schritt werden dann die Landeslisten herangezogen. Hier entdeckt man viele prominente Gesichter der Parteien, denen so ein sicheres Ticket im Parlament garantiert wird. Norbert Hofer ist beispielsweise FPÖ-Spitzenkandidat in seinem Heimatbundesland, dem Burgenland. Auf den Wiener Landeslisten von SPÖ und Neos gehen mit Pamela Rendi-Wagner und Beate Meinl-Reisinger jeweils die Parteichefinnen ins Rennen.

Die restlichen Mandate werden schlussendlich über die Bundesebene vergeben. Hier ist jedoch Vorsicht geboten, denn ein oberflächlicher Blick auf die Bundesliste kann sich als irreführend erweisen. Viele Kandidaten, die auf guten Positionen gereiht sind, brauchen ihre Bundeslistenmandate am Ende nämlich gar nicht mehr, da sie sich ohnehin auf einer der beiden niedrigeren Ebenen einen Platz sichern konnten. In diesem Fall rücken schlechter gereihte Kandidaten auf der Bundesliste nach vorne und können so noch einen der begehrten 183 Plätze im Nationalrat ergattern.

Und selbst für jene, die in allen drei Schritten leer ausgegangen sind, besteht noch ein Funken Hoffnung – sofern ihre Partei in die Regierung kommt. Bei der ÖVP könnten etwa schon bald nach dem Wahltag einige Kandidaten ihr Mandat gegen einen Ministersessel eintauschen – und auf der Liste weiter hinten Gereihte rücken nach. (Theo Anders, Katharina Mittelstaedt, 13.8.2019)