Im Internet machte diese mathematische Aufgabe die Runde.

Es gibt zwei Gruppen, die eine ist sich sicher, dass die Antwort 16 ist, und die andere ist sich sicher, dass die Antwort 1 ist. Manche Angehörige beider Gruppen werfen der jeweils anderen Gruppe mathematisches Unverständnis und Schlimmeres vor. Und wieso kann man bei einer Rechenaufgabe überhaupt zu verschiedenen Ergebnissen kommen und beharrlich beim eigenen Ergebnis bleiben, wenn man erklärt bekommt, warum man falsch liegt? Die Aufgabe ist in gewissem Sinn kein ernstzunehmendes Problem. Kein Mathematiker würde etwas derartiges anschreiben. Man kann die Doppeldeutigkeit des Rechenausdrucks sofort vermeiden, wenn man Klammern setzt:

(8÷2)(2+2) ist klarerweise 16 und 8÷(2(2+2)) ist klarerweise 1. Manche Leute denken sich im ursprünglichen Ausdruck die Klammern so dazu: (8÷2)(2+2) und andere so: 8÷(2(2+2)), und so kommen die beiden Gruppen zu verschiedenen Ergebnissen. Die Hardcore-Fraktion, für die das Ergebnis 16 ist, beruft sich darauf, dass sie in der Schule folgende Regeln gelernt hat (Laub et al., Lehrbuch der Mathematik, 1. und 2. Klasse, Ausgabe 1965):

"Treten in einer Rechnung Rechenarten erster und zweiter Stufe auf, so führe aus: zuerst die Rechnungen in der Klammer, hierauf die Rechenarten zweiter Stufe und zuletzt die Rechenarten erster Stufe. Treten nur Rechenarten einer Stufe auf, so rechne von links nach rechts in der angegebenen Reihenfolge." Addition und Subtraktion sind Rechenarten erster Stufe, Multiplikation und Division sind Rechenarten 2. Stufe. Diese Regeln hat man also 1965 gelernt.

Im Nachfolgelehrbuch (Reichel et al., Das ist Mathematik 1, Ausgabe 2007) steht Folgendes: "Die Rechnungsarten zweiter Stufe haben Vorrang vor den Rechnungsarten erster Stufe. Kurzsprechweise: 'Punktrechnung vor Strichrechnung'. Die Klammerregel gilt jedoch vor der Vorrangregel: Was in Klammern steht, ist zuerst zu berechnen."

2007 hat man also die Regel, dass man gleichrangige Rechenoperationen von links nach rechts abarbeiten soll, nicht mehr gelernt. Ohne diese Regel ist der Rechenausdruck aber nicht eindeutig.

Klammer vor Punkt vor Strich

Eines ist klar: Als Erstes hat man den Ausdruck in der Klammer zu berechnen. Dann wird aus der Aufgabe die Rechnung 8÷2(4)

Im Ausdruck 8÷2(2+2) und in 8÷2(4) kommt aber kein Multiplikationszeichen vor! So würde das aber wohl kaum jemand anschreiben. Die Schreibweise, dass man Multiplikationszeichen vor Klammern weglassen kann, lernt man typischerweise erst, wenn man Algebra (also Ausdrücke mit Variablen) lernt. Schreiben wir also zunächst in der Originalaufgabe Multiplikationszeichen an die passende Stelle: 8÷2⋅(2+2)

Wenn man das nach den Regeln aus dem Schulbuch von 2007 ausrechnen soll, ist die Aufgabe nicht eindeutig gestellt. Es könnte (8÷2)⋅(2+2) oder 8÷(2⋅(2+2)) gemeint sein. Nach dem Regelsystem aus dem Schulbuch von 1965 ist klar, dass (8÷2)⋅(2+2) gemeint ist.

Es gibt da aber noch eine weitere Uneindeutigkeit. Das Klammern-Weglassen ist eine Konvention der algebraischen Schreibweise, und viele Leute haben das "Gefühl", dass der Ausdruck 2a anders zu lesen ist als der Ausdruck 2⋅a. Das Gefühl besagt, dass das Nebeneinanderstellen zweier Symbole eine weitaus stärkere Bindekraft ausdrückt als ein Multiplikationszeichen. Ich vermute, dass viele Leute (vielleicht sogar in Unkenntnis der Links-rechts-Regel) bei der Schreibweise 8÷2⋅(2+2) von links nach rechts rechnen würden.

Das Problem ist aber ein Scheinproblem, halbwegs ernsthafte Mathematikerinnen und Mathematiker würden nie etwas derartiges schreiben; sie würden Brüche verwenden und wie folgt schreiben:

Auch in Programmiersprachen kommen solche Ausdrücke vor, und da wäre in den meisten der Originalausdruck ohne das Multiplikationszeichen ein Programmierfehler.

Internationales "Problem"

Das Problem ist übrigens nicht nur in Österreich und Deutschland diskutiert worden. Die britische Mathematikerin Hannah Fry wurde in der "Daily Mail" dazu interviewt, und der Mathematiker Steven Strogatz hat in der "New York Times" zunächst einen Artikel und dann noch einen Folgeartikel dazu geschrieben. Beide kommen zu sehr ähnlichen Schlussfolgerungen wie ich.

Als ich den Ausdruck das erste Mal gesehen habe, da habe ich mir gedacht: Das hat jemand geschrieben, dem es entweder an Verständnis für Sinn und Zweck der mathematischen Schreibweise mangelt, oder jemand, der andere absichtlich aufs Glatteis führen wollte und möglicherweise die heftigen Diskussionen auf Twitter mit Genuss beobachtet. (Erich Neuwirth, 14.8.2019)