New York – Drei Tage nachdem der US-Investor und mutmaßliche Sexualstraftäter Jeffrey Epstein tot in seiner Gefängniszelle in New York gefunden wurde, steigt die Kritik an der Haftanstalt. Am Dienstag hat das US-Justizministerium bekannt gegeben, dass zwei Justizwachebeamte vorerst beurlaubt und für das Gefängnis ein neuer Direktor bestimmt wurde, bis die Untersuchungen durch das FBI abgeschlossen sind.
Von "gravierenden Unregelmäßigkeiten", die untersucht gehörten, sprach US-Justizminister William Barr bereits am Montag in Bezug auf Epsteins Haftbedingungen. "Es ist unglaubwürdig, dass kein sorgfältiger Aufwand betrieben wurde, um ihn zu beobachten", erklärte zudem New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio. Er sei zwar kein Anhänger unbegründeter Verschwörungstheorien, aber "in diesem Fall ergeben die Fakten auf den ersten Blick keinen Sinn".
Inzwischen hat das US-Justizministerium offiziell bestätigt, dass Epsteins Tod ein Suizid war. Trotzdem kursieren im Netz weiter unzählige Theorien über Verschwörungen, und die Liste an Prominenten und Politikern, die öffentlich Spekulationen wagen, wächst. Denn die Todesumstände werfen Rätsel auf.
Einige der meistdiskutierten Fragen lauten: Warum stand Epstein schon zwei Wochen nach einem möglichen Suizidversuch Mitte Juli nicht mehr wegen Suizidgefahr unter Beobachtung? Inwiefern und warum haben sich die Gefängniswärter nicht an das vorgesehene Prozedere gehalten? Wird die Wahrheit über das mutmaßliche Sexhandelsnetzwerk an die Öffentlichkeit gelangen, und werden die Opfer zumindest eine Entschädigung, wenn schon keine Gerechtigkeit bekommen?
Was bisher bekannt ist
Seit Anfang Juli saß Epstein im Metropolitan Correctional Center in New York in Haft und wartete auf seinen Prozess. Der 66-Jährige habe zwischen 2002 und 2005 in New York und Florida einen illegalen Sexhandelsring aufgebaut, heißt es in der Anklageschrift.
Zuletzt war Epstein im Hochsicherheitstrakt "South 9" untergebracht, wo kürzlich auch der mexikanische Drogenboss "El Chapo" auf seinen Prozess wartete. Gemäß den Vorschriften hätte Epstein einen Zellengenossen haben sollen, seine Zelle hätte alle 30 Minuten von einem Gefängniswärter überprüft werden müssen. Wäre er weiterhin wegen Suizidgefahr unter Beobachtung gestanden, hätte es im Viertelstundentakt eine Überprüfung gegeben.
Inzwischen haben mehrere gefängnisinterne Quellen der "New York Times" und der Nachrichtenagentur Associated Press bestätigt, dass das vorgeschriebene Prozedere nicht eingehalten wurde. Die beiden Wärter, den Milliardär Jeffrey Epstein in seiner Gefängniszelle beaufsichtigen sollten, schliefen während der Arbeit. Statt wie vorgesehen alle 30 Minuten nach dem Inhaftierten zu sehen, seien die beiden Beamten eingeschlafen und hätten dessen Zustand für rund drei Stunden nicht kontrolliert.
Kein Zellengenosse
Epstein hatte demnach keinen Zellengenossen. In der Nacht vor dem Fund der Leiche habe es über mehrere Stunden hinweg keine Überprüfung der Zelle gegeben. Und einer der für Epstein zuständigen Wächter war gar kein vollwertiger Gefängniswärter. Die "New York Times" berichtet, dass das Gefängnis im Fall von Personalmangel immer wieder auf andere Arbeitskräfte zurückgreife. Zudem machten beide Aufpasser zu dem Zeitpunkt schon mehrere Überstunden.
Wie es zu der Entscheidung kam, Epstein nicht weiter wegen Suizidgefahr beobachten zu lassen, ist noch unklar. Laut Prozedere hätten mehrere hochrangige Gefängnisbeamte, einschließlich des Chefpsychologen des Gefängnisses, Epsteins Ausschluss aus dem Suizidpräventionsprogramm genehmigen müssen. Ob dieser Schritt befolgt wurde, war vorerst unklar. Die Ermittlungen zu den Todesumständen durch die US-Bundespolizei FBI und das Justizministerium, die gemeinsam das Gefängnis betreiben, laufen noch.
FBI durchleuchtet Privatinsel in der Karibik
Zudem laufen auch die Ermittlungen über Epsteins Straftaten weiter. Das bestätigte Justizminister Barr am Montag. Laut Medienberichten sucht das FBI aktuell auf Epsteins Privatinsel in der Karibik nach Beweisen. Der Sender NBC berichtete unter Berufung auf Sicherheitskreise, Polizisten hätten das luxuriöse Anwesen Epsteins auf der kleinen Jungferninsel Little St. James durchsucht.
Enge Vertraute im Fokus
Mögliche Komplizen sollten sich nicht in Sicherheit wiegen, warnte Barr. Die wichtigste Mitverschwörerin dürfte Ghislaine Maxwell sein. Kaum jemand war Epstein so nah wie die 57-jährige Engländerin. Die "Washington Post" schreibt, dass Maxwell Epsteins Seelenverwandte, Geliebte und Freundin gewesen sei. Auf Twitter wird sie hingegen wiederholt als Zuhälterin bezeichnet.
Schon früh stand Maxwell im Fokus der Ermittlungen. Mutmaßliche Opfer hätten sie wiederholt als Koordinatorin des Missbrauchsrings beschrieben, heißt es in der "Washington Post". Das geht zum Teil aus Dokumenten hervor, die am Tag vor Epsteins Tod an die Öffentlichkeit gelangt waren.
Laut einem Gerichtsprotokoll erinnerte sich eines der mutmaßlichen Opfer, Virginia Giuffre, in einer Anhörung genau an Maxwell. Sie habe ihr aufgetragen, Sex mit Männern, etwa einem britischen Prinzen, zu haben. "Mein ganzes Leben drehte sich darum, einfach diesen Männern zu gefallen und Ghislaine und Jeffrey glücklich zu machen. Ihre ganzen Leben drehten sich um Sex", erklärte Giuffre. Laut eigener Aussage begegnete sie Maxwell, als sie in Mar-a-Lago arbeitete, dem Sommerhaus des heutigen US-Präsidenten Donald Trump.
Epstein stammte aus einfachen Verhältnissen in Brooklyn. Maxwell hingegen wurde bei Paris geboren und wuchs in einem großen Herrenhaus in Oxford auf. Sie ist die Tochter des ehemaligen Pressemoguls Robert Maxwell und der französischstämmigen Holocaust-Forscherin Elisabeth Maxwell. Epstein habe durch sie Zugang zu elitärsten Kreisen, darunter Prinz Andrew und Bill Clinton, erhalten. Ghislaine Maxwells derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Die Anwälte der Opfer mutmaßen, dass sie aus Angst vor Verfolgung nicht in die USA zurückkehrt. (fmo, 13.8.2019)