Zum Ende der alljährlichen Hajj in Mekka gehört es, die Toten und die Neugeborenen zu zählen: Acht Babys erblickten laut saudischen Behörden bis Dienstag das Licht der Welt, eines davon wird nach dem Willen der dankbaren Eltern aus Guinea nach dem saudischen Kronprinzen Mohammed Salman heißen. Mit den Verstorbenen ist es schon schwieriger, da geben meist die Staaten, aus denen die Pilger stammen, nach und nach die Zahlen heraus: 29 Bangladescher sollen es heuer bisher gewesen sein, 28 kamen aus der Türkei, neun aus Nigeria und so weiter. Aufgerechnet auf insgesamt etwa 2,5 Millionen Pilger eine durchschnittliche Rate bei den Strapazen, die die Hajj besonders für Ältere bedeutet.

Denn heuer war ein glückliches Jahr, es gab keine großen Unfälle, wie etwa die Massenpanik von 2015, bei der bis zu 2.000 Menschen – über die Zahl wird gestritten – zu Tode getrampelt wurden. In jenem ersten Regierungsjahr von König Salman bin Abdulaziz Al Saud fanden jedoch bereits vor Beginn der Pilgerfahrt mehr als 100 Menschen den Tod: Einer der Kräne war umgefallen, die rund um den heiligen Bezirk am "Großen-Moschee-Erweiterungsprojekt" und an Hotels und Shoppingmalls bauen.

Der Komplex rund um die Große Moschee in Mekka: Wer sich's leisten kann, kann auch ein Zimmer mit Aussicht auf die Kaaba buchen. Der Bauwut ist alles, was historisch war, zum Opfer gefallen.
Foto: AFP / Fethi Belaid

Dieses hat dafür gesorgt, dass heutzutage Pilger-Packages gebucht werden können, die Tag und Nacht einen Blick auf die Kaaba erlauben, die bei der Hajj mehrfach umrundet werden muss. Gebetsräume und manche Zimmer in den Luxushotels, die im Abraj-al-Bait-Komplex liegen, bieten den Blick von oben aufs Heiligtum. Dass das nur etwas für den betuchten Pilger ist, liegt auf der Hand. So ein Hajj-Arrangement kann schon bis zu 25.000 US-Dollar kosten.

Größter Uhrturm der Welt

Das imposanteste Gebäude im Komplex ist der "Clock Tower" mit den weltweit größten Uhren – deren Beleuchtung übrigens von einer Tiroler Firma kommt: Auch andere österreichische Unternehmen waren und sind am gigantomanischen Ausbau Mekkas beteiligt. Weitgehend vergessen ist, was vor den "Kaaba Towers" dort stand: Die von den Osmanen 1780 errichtete Ajyad-Festung wurde 2002 geschleift, um dem Projekt Platz zu machen. Sie war zwar wohl architektonisch nicht besonders wertvoll, sagen Experten, aber immerhin eines der wenigen verbliebenen historischen Bauwerke in einer Stadt, in der die Sauds zuerst aus ideologischen, später aus pekuniären Gründen Tabula rasa machten.

Bereits bei der ersten Eroberung Mekkas Anfang des 19. Jahrhunderts hatten die salafistischen Wahhabiten, die Grabmonumente als Ablenkung vom strengen Monotheismus ablehnen, unter anderem Schreine von Prophetengefährten zerstören lassen. Nach dem Ende des Osmanischen Reiches und dem Hinauswurf der Haschemiten aus Mekka und Medina setzten sie ihr Werk fort. Bis in die 1970er-Jahre wurden alle historischen Viertel abgerissen. Im 21. Jahrhundert folgte dann die massive Bauwelle für den Pilgertourismus, neben dem Öl die große Einkunftsquelle des Landes.

Anlässlich des Abbruchs des osmanischen Forts protestierte 2002 die Türkei gegen die Auslöschung ihrer historischen Spuren auf der arabischen Halbinsel: Tatsächlich war Ajyad ja gebaut worden, um die wahhabitischen Eindringlinge aus dem Landesinneren abzuwehren. Seit sich Präsident Tayyip Erdoğan erneut als Wortführer in islamischen Angelegenheiten sieht und von der alten osmanischen Größe träumt, ist die türkisch-saudische Rivalität wieder voll ausgebrochen.

Türkisch-saudische Rivalität

Die Türkei kann dabei auf Unterstützung durch die Medien des befreundeten Katar vertrauen: Al Jazeera ist immer vorne dabei, wenn es darum geht, die Saudis der Zerstörung des islamischen Erbes zu bezichtigen – und damit infrage zu stellen, ob sie geeignet sind, die heiligsten Stätten des Islam zu verwalten. Die Saudis wiederum sind recht erfolgreich bei ihrer Unternehmung, allem, was aus der Tradition der Muslimbruderschaft kommt – eben auch Erdoğans AKP –, ein terroristisches Image umzuhängen. Die eigenen gewalttätigen Traditionen werden gerne vergessen.

Der große Bauboom in Mekka ist mit einem im Westen wohlbekannten Namen verbunden: bin Laden. Der jemenitische Einwanderer Mohammed bin Laden gründete 1931 eine Baufirma, die bald eng mit dem Königshaus zusammenarbeitete und als Saudi Binladin Group (SBG) neben vielen anderen Bauwerken – etwa dem Anwesen des Königs in Marokko – auch die "Kaaba Towers" baute.

Dass ein Familienmitglied, Osama bin Laden, zum berühmtesten Terroristen der Welt avancierte, überlebte die Firma unbeschadet, nicht jedoch den durch den niedrigen Ölpreis verursachten Rückgang der staatlichen Aufträge – und den Aufstieg des Kronprinzen MbS. Es heißt, Mohammed bin Salman habe bereits 2015 vergeblich versucht, die SBG unter seine Kontrolle zu bekommen. Im November 2017 ließ er alle Bin-Laden-Brüder gemeinsam mit dutzenden anderen Geschäftsleuten im Ritz-Carlton einsperren, der letzte kam Anfang 2019 frei. Heute heißt die Firma Binladin Group Global Holding Company – und gehört zu 36,22 Prozent dem Staat. (Gudrun Harrer, 14.8.2019)