Für Gastkommentator Ronald Frühwirth, einen auf Asylrechtsfragen spezialisierten Rechtsanwalt in Graz, ist klar: Die bestehenden Hürden, den Verwaltungsgerichtshof anzurufen, gefährden das Rechtsstaatsniveau in Österreich.

Seit Einrichtung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit 2014 sieht das österreichische Verwaltungsrecht einen dreigliedrigen Instanzenzug vor. Über jeden Antrag entscheidet zunächst eine Behörde und dann ein Verwaltungsgericht, dessen Entscheidung mittels Revision beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) als Höchstgericht – und im Rahmen der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit parallel auch beim Verfassungsgerichtshof – angefochten werden kann.

Die Verfassung sieht vor, dass die Erhebung einer Revision nur zulässig ist, wenn mit ihr eine Rechtsfrage von grundsätzlicher, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung angesprochen wird. Dies ist etwa dann der Fall, wenn zu einer bestimmten Rechtsfrage keine höchstgerichtliche Rechtsprechung besteht oder von dieser abgewichen wird. Eine Revision hat daher aus zumindest zwei wesentlichen Teilen zu bestehen: der Begründung, in der ausgeführt wird, worin die Rechtswidrigkeit der mit der Revision angefochtenen Entscheidung gelegen ist. Und dem Vorbringen zur Zulässigkeit, in dem darzustellen ist, inwiefern durch die Revision eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen wird. So weit zur Rechtslage.

Klassischer Verfahrensfehler

In der Praxis des VwGH scheitert eine Vielzahl an Revisionen an der Zulässigkeitshürde. Aber nicht etwa, weil mit ihnen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung angesprochen wird, sondern deshalb, weil die Zulässigkeit nicht – wie es heißt – gesetzmäßig ausgeführt wurde. Was "gesetzmäßig" ist, ergibt sich nicht aus dem Gesetz, sondern hat der VwGH in seiner Rechtsprechung der vergangenen viereinhalb Jahre entwickelt. Und dabei die formalen Anforderungen an eine Revision so hochgeschraubt, dass es selbst spezialisierten Anwältinnen und Anwälten nicht mehr möglich ist, ein mängelfreies Rechtsmittel zu verfassen.

Ein Beispiel: Eine asylsuchende Person bringt vor, wegen ihres christlichen Glaubens Verfolgung ausgesetzt zu sein. Ob sie tatsächlich dem Christentum angehört, wird von der Asylbehörde bestritten. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nennt sie daher eine Person als Zeugin zum Beweis dafür, dass sie den christlichen Glauben im Alltag lebt und sich dazu bekennt. Das Verwaltungsgericht hört die Zeugin aber mit der Begründung nicht an, es handle sich bei ihr um die Lebensgefährtin der asylsuchenden Person. Es sei deshalb davon auszugehen, dass sie dieser nicht unparteiisch gegenüberstehe und daher nicht geeignet sei, glaubwürdige Angaben zu deren Religionsausübung zu tätigen. Ein klassischer Verfahrensfehler. Nach ständiger Rechtsprechung darf das Ergebnis eines Zeugenbeweises nicht vom Gericht vorweggenommen werden.

Um einen solchen verfahrensrechtlichen Mangel erfolgreich aufzuzeigen, bedarf es der sogenannten Relevanzdarstellung. Es genügt demnach nicht, den Verfahrensfehler nur aufzuzeigen. Vielmehr muss auch kurz vorgebracht werden, zu welchem anderen Ergebnis das Gericht gelangen hätte können, hätte es den Fehler nicht begangen, im konkreten Beispiel also die Zeugin gehört. Dieses Wissen gehört zum anwaltlichen Handwerkszeug.

In der Asyldebatte blieb die Rolle eines Akteurs bisher unbeleuchtet: diejenige des Verwaltungsgerichtshofs.
Foto: Andy Urban

Irgendwann im Laufe des Jahres 2015 hat sich aus dem Nichts heraus die Rechtsprechung des VwGH entwickelt, wonach diese Relevanzdarstellung nicht nur in der Begründung der Revision vorzunehmen ist, sondern zusätzlich schon in den Zulässigkeitsausführungen enthalten sein muss. Eine Vielzahl an Revisionen wurde wegen dieses Mangels als unzulässig zurückgewiesen.

Wir Anwältinnen und Anwälte reagierten und führen seither die Relevanzdarstellung in beiden Teilen der Revision, in ihrer Begründung also und zu ihrer Zulässigkeit, aus. Damit gleichen aber die Ausführungen zur Begründung der Revision notwendigerweise jenen zu ihrer Zulässigkeit. Daraufhin tauchten erste Entscheidungen des VwGH auf, in denen es hieß: Sind die Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision ident mit jenen zu ihrer Begründung, liegt keine gesetzmäßige Ausführung vor, und die Revision ist zurückzuweisen. Wir reagierten und bemühten uns, den jeweiligen gleichen Inhalt in unterschiedliche Worte zu kleiden, den Aufbau der Argumente zu ändern, Einleitungen und Schlusssätze anders zu formulieren. Der VwGH konstatierte: Nicht genug, derlei kosmetische Ansätze seien ebenso nicht gesetzmäßig, es dürfe kein inhaltlicher Gleichklang zwischen Begründung und Zulässigkeitsausführungen bestehen.

Unnötige Formalismen

Fazit: Wer nunmehr in einer Revision Verfahrensfehler geltend macht, muss eine Revision zweimal schreiben: Einmal eine Begründung entwerfen und dann – am besten völlig neu – die Zulässigkeitsausführungen konzipieren; beides aber natürlich zu ein und derselben Rechtsfrage, zu ein und demselben Fall.

Das Bestehen auf derlei Formalismen ist unverständlich. Hunderte von Revisionen scheiterten an den dargestellten Judikaturentwicklungen. Hinzu kommt die rechtsstaatlich bedenkliche Vorgehensweise des VwGH, die neu von ihm gesetzten Maßstäbe auch auf schon zuvor anhängig gemachte Revisionen anzuwenden. Das ist nicht nur alles andere als fair, es beeinträchtigt die Rechtsschutzfunktion des VwGH in massiver Weise. Die Verfassung hat ihm schließlich nicht die Aufgabe übertragen, immer neue formale Hürden zu entwickeln, um an ihn gerichtete Rechtsbehelfe zurückzuweisen, sondern Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Wenn er dieser Aufgabe nicht nachkommt, beeinträchtigt dies das rechtsstaatliche Niveau dieses Rechtssystems. Nicht nur im Asylrecht. (Ronald Frühwirth, 14.8.2019)