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Leise rieselt das Plastik ...
Foto: REUTERS/Navesh Chitrakar

Bremerhaven – Plastikabfälle werden als Leitfossil unseres Zeitalters in die Erdgeschichte eingehen – sie sind einfach überall. Mechanische Kräfte und UV-Strahlung lassen größere Stücke zu Partikeln zerfallen, und diese finden sich nicht nur im Boden, in den Gewässern und in der Nahrungskette, sie werden auch in der Atmosphäre über weite Strecke transportiert, um mit Regen und Schnee selbst in den entlegensten Gebieten niederzugehen. Sogar in der Arktis rieselt mit dem Schnee Mikroplastik zu Boden, berichtet das Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven.

Schon 2018 berichtete das AWI von erstaunlich hohen Mikroplastik-Konzentrationen in der Arktis. 12.000 Mikroplastik-Teilchen wurden dort pro Liter Meereis gefunden, mehr als die Hälfte der Partikel waren kleiner als ein Zwanzigstel Millimeter und damit gut dafür "geeignet", von kleinen Meeresorganismen gefressen zu werden und so in die Nahrungskette zu gelangen.

Überregionaler Vergleich

Eine nun im Fachmagazin "Science Advances" veröffentlichte Studie erweitert die damaligen Ergebnisse. Dafür verglichen die Forscher um Melanie Bergmann und Gunnar Gerdts 2015 bis 2017 gesammelte Schneeproben aus Bayern, Bremen, von der Nordseeinsel Helgoland, aus den Schweizer Alpen und aus der Arktis – konkret aus der Framstraße zwischen Spitzbergen und dem Nordosten Grönlands.

Von Mitteleuropa bis in die Arktis wurden solche Schneeproben gesammelt und anschließend infrarotspektroskopisch analysiert.
Foto: Mine Tekman, Alfred-Wegener-Institut

Die höchste Mikroplastikmenge maßen die Wissenschafter an einer Landstraße im dichtbesiedelten Bayern mit 154.000 Partikeln je Liter. In der entlegenen Arktis waren die Konzentrationen naturgemäß beträchtlich niedriger, lagen aber immer noch bei bis zu 14.400 Partikeln pro Liter.

Je nach Region waren es unterschiedliche Arten von Kunststoff. An der Landstraße wiesen die Forscher vor allem Kautschuk nach, wie er etwa in Autoreifen verarbeitet ist. In der Arktis waren es insbesondere Nitrilkautschuk, Acrylate und Lackteilchen. Nitrilkautschuk wird unter anderem für Schläuche und Dichtungen verwendet, weil er von Kraftstoffen nicht angegriffen wird und größere Temperaturschwankungen aushält.

Genauere Messmethode

Die AWI-Experten maßen in den Schneeproben wesentlich höhere Mikroplastikkonzentrationen, als Kollegen sie früher etwa in Staubablagerungen festgestellt hatten. Sie sehen dafür zwei mögliche Erklärungen: Zum einen könnte dies einfach an ihrer feinen Analysetechnik mittels Infrarotspektroskopie liegen. Zum anderen scheine Schnee das Mikroplastik "offensichtlich besonders effizient" aus der Atmosphäre auszuwaschen, sagt Gerdts.

Die AWI-Forscher gehen davon aus, dass sich die Plastikpartikel durch die Atmosphäre verbreiten und dann mit dem Schnee aus der Luft ausgewaschen werden. Sie verweisen auf vergleichbare Phänomene, die schon länger bekannt sind: etwa dass sich Blütenpollen aus mittleren Breitengraden bis in die Arktis verbreiten können – und die hätten eine ähnliche Größe wie die meisten Plastikpartikel. Auch Staub aus der Sahara gelange durch die Atmosphäre über rund 3.500 Kilometer bis in den Nordostatlantik.

Potenzielles Gesundheitsproblem

Damit rücke auch ein Aspekt in den Fokus, dem bisher kaum Aufmerksamkeit gewidmet wurde: nämlich wie schädlich die Aufnahme solcher atmosphärischen Partikel durch die Lunge sei. Bisher habe man sich vor allem auf die Auswirkungen von Mikroplastik, das mit der Nahrung aufgenommen wird, konzentriert. Bergmann: "Nachdem wir ermittelt haben, dass große Mengen von Mikroplastik auch durch die Luft transportiert werden können, stellt sich natürlich die Frage, ob und wie viel Plastik wir einatmen." (red, APA, 15. 8. 2019)