Die Seestadt Aspern wächst. So wie hier war die Bautätigkeit in vielen Wiener Randbezirken zuletzt enorm.

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"Wir brauchen mehr Angebot", sagte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger am Montag im ORF-"Sommergespräch" mit Tobias Pötzelsberger. Man war beim Thema Wohnen angelangt. "Wenn wir mehr Angebot haben, dann sinken auch die Preise", so die Neos-Chefin mit eindringlichem Blick. "Massiv" müsse man das Angebot ausweiten.

Bauboom in Wien

Wird aber wirklich zuwenig gebaut in Österreich, speziell in Wien, von dem im Sommergespräch meist die Rede war? Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Laut den aktuellen Wohnbaustatistiken ist es vielmehr so, dass in der Bundeshauptstadt in der gesamten Zweiten Republik überhaupt noch nie so viel gebaut wurde wie derzeit. Meinl-Reisingers Forderung nach "mehr Angebot" würden deshalb wohl viele baustellenlärmgeplagte Bewohner insbesondere der Wiener Flächenbezirke als gefährliche Drohung auffassen. Mehr zu bauen ist dort nämlich gelinde gesagt kaum vorstellbar. Wohnbauforscher Wolfgang Amann warnte schon vor einem Jahr vor einer Überhitzung der Baukonjunktur, und seither ist es kaum besser geworden.

Das ist ganz leicht mit Zahlen zu belegen: Laut Statistik Austria machten die Baubewilligungen in Wien 2017 einen Riesensprung von rund 15.700 (2016) auf fast 23.000 Wohneinheiten, davon knapp 22.000 im mehrgeschoßigen Segment. 2018 ging die Zahl zwar wieder auf 15.000 zurück – doch die meisten Bewilligungen des Boomjahres 2017 werden ja erst heuer und in den nächsten Jahren fertig. Zum Vergleich: 2015 gab es in Wien Baubewilligungen für "nur" 10.760 Wohneinheiten, die Fertigstellungen in neuen Wohngebäuden lagen damals bei knapp 8000 und stiegen bis 2017 auf 10.000, davon 9.300 in mehrgeschoßigen Wohnbauten. Die Einschränkung "in neuen Wohngebäuden" besagt zudem, dass hier ein erheblicher Teil noch gar nicht enthalten ist, nämlich jene Einheiten, die in An-, Auf- und Umbauten, also etwa in Dachgeschoßen bestehender Gebäude, entstehen. Die Stadt Wien meldet diese Daten seit vielen Jahren nicht an die Statistik Austria.

"Weitere Abschwächung des Nachfrageüberhangs"

Nicht nur Wohnbauforscher Amann, sondern auch zahlreiche weitere professionelle Beobachter gehen davon aus, dass es langsam genug ist, dass die Nachfrage mit dem Angebot gedeckt werden kann. "Gedämpftes Bevölkerungswachstum einerseits und steigendes Angebot an zusätzlichen Wohnungen andererseits sorgten für eine weitere Abschwächung des Nachfrageüberhangs", hieß es im jüngst veröffentlichten Wohnungsmarktbericht zum 1. Halbjahr 2019 des Maklerhauses EHL Immobilien.

Was das Bevölkerungswachstum betrifft, so hat sich dieses nach den überaus starken Zuwanderungsjahren 2015 und 2016 mit jeweils deutlich mehr als 20.000 Menschen tatsächlich nun wieder deutlich abgeschwächt. 2018 betrug das Bevölkerungsplus wieder weniger als 10.000 Personen, mit diesem Niveau wird auch für heuer gerechnet. Bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von zwei Personen wären das also 5000 benötigte neue Wohnungen heuer, unter Berücksichtigung der außergewöhnlich vielen Abrisse von Altbauten in den vergangenen Monaten wohl ein wenig mehr. Laut EHL-Bericht wurden aber schon im ersten Halbjahr 2019 in Wien rund 6.000 Wohneinheiten fertiggestellt.

Wohnbauförderung geht weiter zurück

"In Wien nähern wir uns dem Punkt, wo wir genug Wohnungen haben", sagte deshalb auch Michael Pisecky, Chef des Maklerunternehmens s Real und Obmann der Wiener Immobilientreuhänder, kürzlich bei einem Pressegespräch. Allerdings bedurfte der Satz eines wichtigen Nachsatzes. Genug Wohnungen, ja – "aber nicht von denen, die gesucht werden". Soll heißen: Im höher- bis hochpreisigen Segment, zu dem heutzutage auch kleine teure Wohnheimplätze für Studierende und sogenannte "Young Professionals" gehören, ist der Plafond mittlerweile wohl erreicht. Nicht aber im sogenannten "leistbaren" Segment, wie auch immer man das vom Gesamtmarkt abgrenzt. Dazu gehört jedenfalls der geförderte Wohnbau, für den seit Jahren immer weniger Geld zur Verfügung steht. Darauf weist auch Amann schon seit längerer Zeit hin.

Weil damit der freifinanzierte gewerbliche Wohnbau in den vergangenen Jahren einen deutlichen Überhang bekam, müssen viele Mieter nun tief in die Tasche greifen. Im boomenden freifinanzierten Mietwohnbau von bzw. für Investoren sind derzeit im Erstbezug beispielsweise knapp 700 Euro Gesamtmiete für 45 m² (2 Zimmer) noch als günstig zu bezeichnen, denn üblicherweise kosten Zwei-Zimmer-Wohnungen mit rund 50 m² schon mehr als 800 Euro. Eine Drei-Zimmer-Wohnung kommt meistens schon über 1000 Euro.

Günstiger Altbau stark gesucht

Gesucht werden aber hauptsächlich Wohnungen bis maximal 700 Euro Gesamtmiete. Immobilienprofis wissen deshalb (und betonen es bei jeder Gelegenheit), dass es die günstigen Wohnung im Altbausegment gibt. Eine 50-Quadratmeter-Altbauwohnung in einem Gründerzeitviertel darf auch bei einer aktuellen Neuvermietung im Regelfall höchstens rund 500 Euro kosten, inklusive Betriebskosten und Umsatzsteuer. Und je länger man schon in einer Altbauwohnung wohnt, desto weniger zahlt man pro Quadratmeter – das belegen auch die Zahlen der Statistik Austria in schöner Regelmäßigkeit.

Ältere Mieter zahlen also im Regelfall (viel) weniger Miete als jemand, der jetzt in eine vergleichbare Wohnung zieht. Darauf wies auch Meinl-Reisinger im "Sommergespräch" hin. Und häufig hätten diese Leute dann auch mehr Wohnraum zur Verfügung, als sie eigentlich benötigen würden – weil sie nach einem Todesfall oder einer Trennung alleine leben, oder einfach deshalb, weil die Kinder schon ausgezogen sind. In solchen Situationen müsste es dann Anreize zum Übersiedeln geben, sagte die Neos-Chefin, denn diesen Wohnraum würden Jungfamilien eher brauchen.

Fragliche Anreize

Gezwungen werden soll aber niemand; Anreize solle es geben, welche das sein sollten (Barrierefreiheit?), führte sie aber nicht aus. Warum das nicht wirklich funktionieren wird, ahnt sie wohl selbst: Denn die Frage sei, ob man etwas Vergleichbares angeboten bekomme – das dann aber billiger sein müsste als die alte Wohnung. Dazu müssten private Hausbesitzer wohl kräftig selbst in die Tasche greifen, denn ansonsten wäre die Motivation für Altmieter, in eine kleinere Wohnung umzuziehen, für die sie dann das Gleiche zahlen wie für die größere zuvor, enden wollend.

Richtig effizient ist das nur dort, wo es ohnehin schon teilweise gemacht wird, im geförderten Wohnbau. Dort gibt es immer wieder Tauschangebote, innerhalb einzelner Wohnbauten oder – wie etwa bei Wiener Wohnen, also in den Wiener Gemeindebauten – auch bezirksübergreifend. Und dort ist es auch finanziell fast immer eine Verbesserung, wenn man von einer größeren in eine kleinere Wohnung übersiedelt. Auch dort ist aber oft die Motivation, in eine kleinere Wohnung umzuziehen, wenn man sich die größere noch gut leisten kann, nicht vorhanden. (Martin Putschögl, 16.8.2019)