Im Gastkommentar fordert Tierschutzvolksbegehren-Initiator Sebastian Bohrn Mena, dass der Staat bei Lebensmittelpreisen mehr mitreden müsse. Billige Lebensmittel seien kein Naturgesetz.

Ein ganzes Huhn, bratfertig um 3,99 Euro. Um nicht einmal vier Euro! Zum gleichen Preis gibt’s auch einen Schweinsbraten – gerollt und gewürzt. Wie geht sich das aus? Es geht sich nur aus, weil jemand anderer die wahren Kosten dafür trägt. Die Tiere, die Umwelt, die nachfolgenden Generationen. Wir alle. Hauptsache billig lautet das Credo. Wann immer Kritik daran laut wird, kommt das gleiche Totschlagargument: Die Konsumenten entscheiden. Sie könnten doch auch das teurere, bessere Produkt kaufen. Wir seien selber schuld, wenn weiter so eingekauft werde. Das ist nicht nur zynisch, es ist auch unwahr.

Der Staat lenkt

In der Gastronomie erfahren wir in der Regel überhaupt nichts über die Herkunft der Lebensmittel.
Foto: APA/GÜNTER R. ARTINGER

Denn dass diese Lebensmittel so beschämend billig sind, ist kein Naturgesetz, sondern das Resultat politischer Entscheidungen. Wenn der Staat zulässt, dass man mit größtmöglicher Tierquälerei, Umweltverpestung und Klimaschädigung den maximalen Profit erzielen kann, dann läuft etwas gewaltig schief. Der Preis ist nicht nur Resultat der Nachfrage, sondern auch von Subventionierung, Besteuerung und natürlich Verfügbarkeit.

All das kann und sollte der Staat beeinflussen und er macht es ja auch. Aber falsch. Er fördert die konventionelle Landwirtschaft ungleich stärker als die tier- und klimafreundliche. Ja er kauft mit Steuergeld sogar jene Produkte für Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und Altenheime ein, deren Herstellung er seinen eigenen Landwirten bereits untersagt hat. Das ist nichts anderes als unlogisch, unfair und schädlich.

Wenig Transparenz

Transparenz gibt’s bei Produktion und Verbreitung von Lebensmitteln kaum, am ehesten noch im Supermarkt. Dort sehen wir Preis und Gewicht, wissen aus welchem Land das Fleisch stammt und erfahren auch, ob es aus biologischer oder konventioneller Haltung stammt. Bei verarbeiteten Produkten ist das nicht so. Und in der Gastronomie und in öffentlichen Großküchen erfahren wir in der Regel überhaupt nichts über die Herkunft.

Dabei werden rund zwei Drittel aller tierischen Lebensmittel in Restaurants und Kantinen konsumiert. Das "Original Wiener Schnitzel" enthält meistens holländisches Kalbfleisch aus Massentierhaltung, das charakteristische weiße Fleisch ist kein Qualitätskriterium, sondern vielmehr ein Zeichen für Eisen- und Bewegungsmangel. Beim Schnitzel handelt es sich also viel zu oft um Fleisch aus Qualhaltung aus dem Ausland. Noch eindrücklicher ist das Beispiel des Kaiserschmarrns. Diese österreichische Traditionsspeise enthält fast immer Eier aus Käfighaltung, obwohl diese in Österreich seit langem verboten sind. Die Eier kommen flüssig oder in Pulverform aus Argentinien oder Aserbaidschan. Einfach weil es billiger ist.

Macht der Konsumenten

Der Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich, Josef Moosbrugger, bezeichnete die Verhältnisse bei Nahrungsmitteln jüngst ganz offen als "Betrug". Konsumenten würden bei verarbeiteten Produkten, in der Gastronomie und auch in öffentlichen Küchen getäuscht. Eine Kennzeichnung der Herkunft der Lebensmittel sei unerlässlich. Woran hakt es dann?

Wann immer Missstände aufgezeigt werden, wird die Macht der Konsumenten beschworen. Doch welche Macht besitzen wir, wenn wir nicht wissen, was auf unserem Teller landet? Wieso wehrt sich die Wirtschaftskammer mit Händen und Füßen gegen eine verpflichtende und kontrollierte Deklaration der Lebensmittel? Wenn wir nicht wissen, woher unsere Lebensmittel kommen, können wir für ihre Herstellung auch keine Verantwortung übernehmen.

Heile Welt

Viel zu lange haben wir uns auf die Werbung verlassen, die uns schöne Bilder einer heilen Welt zeigt, in der wir an der Kassa entscheiden, ob sie einfach nur schön oder gar wunderschön ist. Die Realität ist, dass die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Österreich kracht wie eine Kaisersemmel. Unsere Bauern stehen mit dem Rücken zur Wand. Täglich schließen sechs Betriebe für immer, 80 Prozent der Bauern machen sich große Sorgen, weil ihre Nachfolge nicht geklärt ist.

Der Niedergang der Landwirtschaft ist dramatisch für die Entwicklung der ländlichen Regionen, für die lokale Wirtschaft, für den wichtigen Tourismus. So viel mehr als "nur" unsere Ernährungssouveränität hängt dran, dass Täler und Almen bewirtschaftet werden, dass Häuser bewohnt sind und nicht leer stehen, wie das in immer mehr Gemeinden der Fall ist. Weil es an Infrastruktur, Nahversorgung und Zukunftsperspektiven fehlt.

Unsere Realität ist, dass die Welt brennt – das Artensterben und der Klimawandel sind nicht umsonst die drängendsten Themen unserer Zeit. Und jeder neue wissenschaftliche Bericht kommt wieder zum gleichen Schluss: Das zentrale Handlungsfeld im Kampf gegen die katastrophalen "Zwillingskrisen" ist die Landwirtschaft. Wir müssen die Art und Weise ändern, wie Nahrungsmittel derzeit produziert werden.

Bessere Lebensmittelkennzeichnung

Über unseren Teller können wir die Welt nur gestalten, wenn wir erfahren, was darauf landet. Die verpflichtende Deklaration über die Herkunft und Entstehung unserer Lebensmittel wäre dabei ein wichtiger Schritt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen zu heimischen, tier- und klimafreundlich produzierten Lebensmitteln greifen, ist viel größer, wenn sie erfahren, woher diese stammen. Selbst wenn sie ein kleines bisschen mehr kosten. Die Schweiz zeigt uns, dass das möglich ist, denn dort besteht die Lebensmittelkennzeichnung seit langem. Und sie funktioniert. Es wird Zeit, dass wir auch in Österreich mehr Verantwortung übernehmen können. Wir wollen wissen, was wir essen. (Sebastian Bohrn Mena, 15.8.2019)