In Hyderabad, Pakistan, verbrennen Menschen die indische Fahne.

Foto: AFP / Akrak Shahid

Traditionell, im orangefarbenen Turban, stand Narendra Modi am Donnerstag auf einer Tribüne im Roten Fort in Delhi und hielt, wie auch schon die vergangenen fünf Jahre zuvor, seine Rede zum indischen Unabhängigkeitstag. Innerhalb von 70 Tagen habe seine Regierung erreicht, was das Land in den vergangenen 70 Jahren nicht geschafft habe: einen Weg gefunden, um das "Kaschmir-Problem" zu lösen. Vergangene Woche hatte seine BJP-Regierung ja Artikel 370 – also die Autonomierechte von Jammu und Kaschmir – gestrichen und damit nicht nur in Kaschmir selbst, sondern auch im Rest Indiens, in Pakistan und weltweit heftige Kritik ausgelöst.

Der indische Premer selbst lobte den Schritt. Die bisherige Regelung habe Korruption, Vetternwirtschaft und Ungerechtigkeiten für Frauen, Kinder und Minderheiten befördert. Jetzt, wo endlich "eine Nation, eine Verfassung" erreicht sei, könne die "glanzvolle Vergangenheit" von Kaschmir wiederhergestellt werden.

Modis pakistanischer Amtskollege Imran Khan sah das freilich anders. In seiner eigenen Rede zum pakistanischen Unabhängigkeitstag, der einen Tag vor Indien begangenen wird, sprach der ehemalige Cricket-Spieler von einem "Kampf bis zum Ende". Es sei Zeit, Indien endlich eine Lektion zu erteilen.

Vergleich mit Hitler

Schon am Sonntag hatte er rhetorisch vorgelegt: Indiens Kaschmir-Politik sei eine "Version von Hitlers Lebensraum-Politik". Für seine Rede am Mittwoch war Khan symbolträchtig nach Muzaffarabad, Hauptstadt des pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs, gereist. Den indischen Unabhängigkeitstag erklärte er zum "schwarzen Tag". Seinen Geheimdiensten lägen Informationen über Pläne vor, pakistanisches Territorium anzugreifen. Die Armee sei bereit, "unserer nationalen Verpflichtung für die Sache Kaschmirs nachzukommen".

Am Donnerstag warf Pakistan der indischen Armee vor, erstmals seit der Streichung des Artikels 370 Artillerie über die Grenze abgefeuert zu haben. Dabei seien drei Soldaten getötet worden, beim darauffolgenden Gegenangriff fünf Inder, Indien bestreitet dies. Am Freitag wurde pakistanischen Angaben zufolge ein weiterer pakistanischer Soldat getötet.

Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan reicht bis zur Gründung der zwei Staaten im Jahr 1947 zurück, als aus dem ehemaligen britischen Kolonialreich jeweils eine Nation geschnitzt wurde. Knapp zusammengefasst sollte Pakistan für Muslime eine Heimat bieten, Indien für Hindus. Das mehrheitlich muslimische Kaschmir-Tal im Himalaja liegt dazwischen und ist gespalten. Immer wieder führten Indien und Pakistan über die Region Kriege.

"Kaschmir brennt"

"Seit 30 Jahren brennt Kaschmir", sagte der kaschmirische Autor Mirza Waheed vor wenigen Tagen in einem Podcast des "Guardian". Er ist in den 1980ern und 1990ern in Kaschmir aufgewachsen und hat die zunehmende Radikalisierung von jungen Kaschmiris Anfang der 1990er miterlebt. Delhi habe Kaschmirs Sonderrechte immer mehr erodieren lassen. Viele junge Leute gingen aus Frust nach Pakistan, ließen sich dort ausbilden und bewaffnen, erzählt Waheed. Zurück auf der indischen Seite würden sie Armeeeinheiten angreifen, die wiederum mit Härte zurückschlagen. Nicht nur die Kämpfer waren betroffen, auch die Zivilbevölkerung "Die ganzen 1990er gab es wohl keinen Tag, an dem wir nicht unsere Toten zählten", sagt Waheed.

Bis heute ist die Kaschmir-Frage ungelöst, es habe eben "neue Wege" gebraucht, rechtfertigte sich Modi in seiner Rede. Auf die Totalsperre, die seit 4. August aufrecht ist, ging der Premier aber nicht ein. Immer wieder soll es laut verschiedenen Medienberichten in Srinagar und anderen Städten in den vergangenen Tagen zu Protesten gekommen sein. Weil das Internet und das Telefonnetz blockiert sind, gibt es aber wenig Informationen aus der Region.

Polizei bestätigt Proteste

Am Mittwoch bestätigte die indische Polizei, dass es Proteste gegeben hat: "Es gab ein paar wenige Verletzungen durch Schrotkugeln, die Leute wurden behandelt und dann zurückgeschickt." Berichte, wonach die Polizei in den Tagen zuvor Tränengas und Schlagstöcke eingesetzt haben soll, streitet diese weiterhin ab. Während in der mehrheitlich hinduistischen Region Jammu seit Mittwoch die Sperren teilweise wieder aufgehoben waren, sollten sie im Kaschmir-Tal erst wieder ab Donnerstagabend langsam gelockert werden, sagte der Gouverneur der indischen Kaschmir-Region, Satya Pal Malik, zur Times of India. Am Freitag zeichnete sich allerdings das Gegenteil ab: Aufgrund der Freitagsgebete wurden die Regelungen der Ausgangssperre noch verschärft.

"Was auch immer während der Ausgangssperren passiert ist", sagte Pakistans Premier Imran Khan in seiner Rede, "wir werden der internationalen Gemeinschaft sagen, dass Indien verantwortlich ist." Dabei steht Pakistan aber recht isoliert da. Die USA haben unter Präsident Donald Trump die Unterstützung für Pakistan sukzessive zurückgefahren. Bloß China, das enge wirtschaftliche Verbindungen mit Pakistan hat, unterstützt dessen Forderung nach einer Sondersitzung im Uno-Sicherheitsrat. Diplomaten gaben an, dass China eine Sitzung bereits beantragt hat.

In London demonstrierten am Donnerstag Tausende vor dem indischen Hochkommissariat. Sie hielten Schilder hoch wie "Modi, mache Tee, nicht Krieg" und "Kaschmir brennt". (Anna Sawerthal, 16.8.2019)