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Die AfD spielt auf ihren Wahlplakaten im Osten auf die friedliche Revolution von 1989 an und kommt damit gut an.

Foto: Reuters / Hannibal Hanschke

Der alternative Weihnachtsmarkt im Werk 2, einer Leipziger Kulturfabrik, ist über die Stadt hinaus bekannt und sehr beliebt. Nur einer war noch nie da: der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). "Dieses Jahr will ich es unbedingt schaffen", sagt er, als er am Donnerstag zu Besuch in der Stadt ist.

Es kann gut sein, dass der 44-Jährige im kommenden Advent viel Zeit für das Werk 2 und auch andere Märkte hat. Vielleicht nämlich ist er demnächst schon nicht mehr Regierungschef in Sachsen. Dort – wie auch in Brandenburg – wird am 1. September ein neuer Landtag gewählt.

Zwar sind die beiden Ministerpräsidenten – Kretschmer in Sachsen und Dieter Woidke (SPD) in Brandenburg – oft unterschiedlicher Meinung. Aber derzeit haben sie eine unfreiwillige Gemeinsamkeit: Beiden droht eine verheerende Niederlage – zugefügt hauptsächlich durch die AfD.

Drohender Totalabsturz

In Brandenburg, wo SPD-Mann Woidke mit der Linken regiert, sehen Umfragen die AfD mit 20,5 Prozent auf Platz eins, die SPD mit 17,6 Prozent nur auf Platz drei; davor kommt noch die CDU (18 Prozent). Und Kretschmers CDU, die in Sachsen mit der SPD koaliert, droht ebenfalls der Totalabsturz.

Umfragen prophezeien Verluste von mehr als zehn Punkten. In einer aktuellen Befragung von Insa für die Bild-Zeitung liegt die CDU zwar jetzt wieder auf Platz eins (28 Prozent), aber die AfD ist dicht dahinter (25 Prozent). Vor einigen Wochen war sie noch die Nummer eins; dass sie bis zum Wahltag wieder an der CDU vorbeizieht, ist möglich.

Die Stärke der AfD in seinem Land Sachsen erklärt Kretschmer mit einem "Zerrbild" der AfD. "Ein großer Teil der Menschen liest keine Zeitung mehr, schaut kein Fernsehen und hört keinen Rundfunk. Aber er bekommt von der AfD in einer Internetblase eine Welt vorgespielt, die so nicht existiert", sagt er dem STANDARD. Da sei das Jahr 2015, als die vielen Flüchtlinge kamen, "noch wie heute präsent" – auch wenn die Zahl der Neuankommenden längst sehr stark gesunken sei.

Die AfD als neue NPD

Er selbst setzt in seinem Wahlkampf auf unzählige persönliche Gespräche im kleinen Kreis und versucht sich von der Bundes-CDU abzugrenzen: "Das ist eine Sachsen-Wahl." Auf keinen Fall will er sich in eine Koalition mit der AfD retten. Kretschmer: "Die AfD spaltet und entwickelt sich zur neuen NPD."

In Brandenburg ist die Lage ähnlich. Eine Zusammenarbeit mit der AfD wollen weder SPD noch CDU. "Hören Sie auf, den Menschen Angst zu machen!", hat CDU-Spitzenmann Ingo Senftleben AfD-Landeschef Andreas Kalbitz unlängst bei einem Kandidatentalk der Märkischen Allgemeinen angefahren.

Die Stärke der AfD zwingt die Parteien zu Gedankenspielen über neue Konstellationen nach dem Wahltag. Eventuell könnten in Sachsen CDU, SPD und Grüne eine Mehrheit schaffen. Oder CDU, Linke und Grüne.

In Brandenburg hofft Woidke, eventuell mit Rot-Rot-Grün weiterzumachen, aber fix ist eine Mehrheit nicht. In Bremen hingegen regiert seit Donnerstag das erste rot-rot-grüne Bündnis in einem westdeutschen Bundesland, zum neuen Bürgermeister wurde Andreas Bovenschulte (SPD) gewählt.

Sehnsucht nach Ausstieg

Es ist aber auch gut möglich, dass sich die Blicke nach den Ost-Wahlen gar nicht so sehr auf die schwierige Koalitionsbildung richten, sondern nach Berlin gehen. Dort schließt man den Bruch der großen Koalition durch die SPD nicht mehr aus.

Fällt sie in Sachsen von den ohnehin schon mageren 12,4 Prozent der Landtagswahl 2014 auf unter zehn Prozent und schafft sie in Brandenburg keine Regierungsbeteiligung mehr oder darf nur noch als Juniorpartnerin dabei sein, dann könnte der Wunsch nach einem Ausstieg aus Angela Merkels großer Koalition bei den Genossen übermächtig werden. Übrig blieben CDU und CSU, die es zunächst wohl mit einer Minderheitsregierung versuchen würden.

Doch selbst ein Abgang wäre für die SPD schwer zu organisieren, da sie praktisch führungslos ist. Derzeit läuft noch die Frist für Bewerbungen um den Parteivorsitz. Am heutigen Freitag wollen die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan und SPD-Vize Ralf Stegner ihren Hut in den Ring werfen und sich als neues Spitzenduo präsentieren. (Birgit Baumann aus Leipzig, 16.8.2019)