Sebastian Kurz war es, der die Republik in Türkis und Blau aufgeteilt hat, kommentiert STANDARD-Innenpolitik-Chef Michael Völker.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Sebastian Kurz sagt nichts dazu. Er will nicht anstreifen, sich nicht anpatzen. Das wird so nicht gelingen. Denn angepatzt ist Kurz schon längst: Er war es, der Heinz-Christian Strache und seine politischen Freibeuter in die Regierung geholt hat, Strache zum Vizekanzler, Herbert Kickl zum Innenminister gemacht hat, die Republik in Türkis und Blau aufgeteilt hat, bis hin zu den Casinos Austria, wo ein freiheitlicher Bezirksrat Finanzvorstand wurde und dort Miteigentümer Novomatic zu Diensten sein sollte. Dem Glücksspielkonzern, der sich gerne Politiker einkauft, wurden offenbar Gefälligkeiten zugesagt. Nicht zu vergessen: Auch die ÖVP wahrte ihre Interessen im Glücksspielbereich. Bettina Glatz-Kremsner, bis Mai 2019 noch Bundesparteiobmann-Stellvertreterin von Sebastian Kurz, wurde Generaldirektorin der Casinos Austria und Vorstandsvorsitzende der Lotterien – die türkise Glücksfee.

Umfangreiche Vorwürfe

Jetzt wird diese türkis-blaue Koalition von ihrer gemeinsamen Vergangenheit eingeholt. Es geht nicht nur um Postenschacher, der zwar verwerflich, aber nicht strafrechtlich relevant ist, jetzt geht es um Handfestes: Korruption, Bestechung, Untreue, Betrug und nicht zuletzt Suchtgifthandel, im Umfeld auch versuchte Erpressung. Ermittelt wird auch wegen eines möglichen Zusammenhangs zwischen dem Ibiza-Video und dem Schreddern von Festplatten durch einen Mitarbeiter von Sebastian Kurz.

Die ÖVP ist empört über diesen "unglaublichen Schmutzkübelwahlkampf". Was geschieht da gerade? Die ÖVP stellt die Arbeit der Justiz infrage, greift Ermittlungsergebnissen vor, unterstellt der Staatsanwaltschaft Parteilichkeit und Willkür. Ein infamer Vorwurf. Offenbar will man dieser Justiz nicht mehr vertrauen. Damit wird dieser Skandal zu einer Krise – fast könnte man schon wieder von einer Staatskrise sprechen. Nachdem Kurz schon das Parlament nicht allzu ernst nimmt und sich nur dem von ihm herbeigeschworenen Wählerwillen fügen will, sollen die Wähler jetzt offenbar auch über Arbeit und Entscheidungsbefugnisse der Justiz abstimmen. Was kommt dann?

Gewünschter Koalitionspartner

Es stimmt schon: Aus der Sicht von Kurz und der ÖVP kommen die Ermittlungsschritte der Justiz zu Ibiza-Video und Casinos/Novomatic zur Unzeit – nämlich kurz vor der Intensivphase des Wahlkampfes, der dadurch empfindlich gestört werden könnte. Nicht nur, dass Kurz selbst in der Erzählung seiner Geschichte massiv vom Handlungsstrang abgedrängt wird, kommt ihm zusehends auch der gewünschte Koalitionspartner abhanden. Mag sein, dass sich der innerste Kern der freiheitlichen Wählerschicht auch von den jüngsten Enthüllungen und Ermittlungen nicht aus der Ruhe bringen lässt und weiterhin die FPÖ wählt, für die breitere Schicht an potenziellen ÖVP-Wählern stellt das ausgebreitete Sittenbild schon eine gewaltige Irritation da. Ist diese FPÖ tatsächlich ein ernstgemeinter Partner, mit dem Kurz das Land regieren will? Kommt nicht irgendwann der Punkt, wo man den Anstand vor Machterhalt und Selbstbefestigung stellen muss? Wenn Kurz nicht so sehr von Taktik getrieben wäre, würde er sich jetzt von der FPÖ als möglichem Koalitionspartner verabschieden. Das wäre vielleicht ein bisschen unbequem, sollte aber eine Befreiung sein – für Kurz und das Land: raus aus diesem politischen Schmuddeleck. Wer sich dort niederlässt, läuft Gefahr, selbst vor dem Richter zu landen. (Michael Völker, 15.8.2019)