Mitte der 1870er-Jahre wurden west- und zentraleuropäische Märkte von billigem überseeischem und osteuropäischem Getreide "überschwemmt". Erzeuger- und Marktpreise fielen rapide, sowohl absolut als auch im Vergleich zu den Preisen in den Herkunftsregionen, etwa dem amerikanischen Mittleren Westen. Dafür werden in erster Linie Transportinnovationen wie die Eisenbahn und Dampfschiffe verantwortlich gemacht, die die Erschließung des nordamerikanischen, argentinischen und russischen Hinterlands durch marktorientierte Siedler und den kostengünstigen Transport derer Produkte erlaubten. Dies war gut für Industriearbeiter, aber schlecht für die landwirtschaftliche Bevölkerung und die politisch dominierende Elite von Großgrundbesitzern in vielen kontinentaleuropäischen Ländern.

Die Folge war forcierte De-Agrarisierung in führenden Industrieländern wie Großbritannien und Belgien, und im Rest Europas eine Welle protektionistischer Reformen: In Deutschland wurden 1879 hohe Getreidezölle eingeführt, in Italien über die 1880er-Jahre, in Österreich-Ungarn 1887, in Frankreich und Spanien 1892. Diese Zollerhöhungen wurden oft mit Industrieprotektionismus verknüpft, für den mit den Industrieländern konkurrierende Produzenten schon länger geworben hatten. Es formierten sich also politische Koalitionen, die die Welle von Freihandel, der sich in den Fußstapfen des Nationalökonomen Adam Smith und durch die politische Propaganda des Liberalisten Richard Cobden gerade erst entfaltete, bremsten oder gar rückgängig machten.

"Historisches Experiment"

Man kann das als "historisches Experiment" darüber interpretieren, wie sich technologische Innovationen und Globalisierungsschübe auf politische Gleichgewichte auswirken, also wann und inwiefern Globalisierung ihrer eigenen Abschaffung zuarbeitet. Kilian Rieder hat im Beitrag "Warum Wirtschaftsgeschichte sexy ist" die Bedeutung solcher "Experimente" für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung dargestellt. Die beschriebene historische Episode eignet sich aber noch besser, um einen zweiten Vorzug der Wirtschaftsgeschichte zu illustrieren, nämlich das Verständnis für historische Pfadabhängigkeiten und deren Bedeutung für kurzfristige Handlungsspielräume. Dazu greife ich ein einzelnes Land und dessen erstaunliche Reaktion heraus: Dänemark. 1870 arbeitete dort gut die Hälfte der Bevölkerung in der Landwirtschaft. Wichtigstes Exportprodukt war mit großem Abstand Gerste. Im Gegensatz zu seinen Nachbarländern Deutschland und Schweden erhöhte Dänemark seine Getreidezölle nicht.

Dänische Landwirte bewältigten die Krise, indem sie von exportorientiertem Getreidebau auf Milchwirtschaft umstiegen und ihre Gerste als Futtermittel für Kühe verwendeten. Butter und andere Milchprodukte waren weniger haltbar als Getreide und litten daher weniger unter überseeischer Konkurrenz. In der dänischen historischen Literatur wird für die erfolgreiche Umorientierung oft eine radikale Neubesinnung nach dem verlorenen Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 verantwortlich gemacht. Dieser führte zu einem Aufschwung liberal-nationaler Ideen und einer Trotzreaktion ihrer Anhänger aus der landwirtschaftlichen Mittelschicht. Diese verließ sich nach 1870 nicht auf staatliche Maßnahmen, sondern gründete Molkereigenossenschaften – 1.163 bis 1914, die meisten davon in den ersten zehn Jahren nach Gründung der ersten Genossenschaft im Westen Jütlands.

Molkereigenossenschaften in Dänemark im Jahr 1890.
Foto: Jensen/Lampe/Sharp/Skovsgaard

Erbe der Gutsmolkereien

Als wir uns 2010 an der Universität Kopenhagen trafen, fanden Paul Sharp und ich, beide gerade promoviert, diese Geschichte spannend und überzeugend. Wir schrieben gemeinsam mit Ingrid Henriksen einen Artikel, der quantifizierte, um wie viel effizienter Genossenschaften im Vergleich zu ihren privaten Konkurrenten, Guts- und Privatmolkereien, waren. Dabei fanden wir allerdings auch heraus, dass im Vergleich dazu eine neue Milchverarbeitungstechnologie, die Milchzentrifuge, bedeutender war, die allerdings erforderte, dass sich kleine und mittlere Landwirte zusammentaten, da der Betrieb der notwendigen Dampfmaschine nur bei Verarbeitung der Milch von mindestens 200 Kühen rentabel war.

Letzteres warf eine weitere Frage auf: Warum gab es so viele Kühe, ohne die die Welle von Genossenschaftsgründungen kaum möglich gewesen wäre? Die Antwort führte uns weitere 120 Jahre zurück, in die 1760er, und zum eigentlichen Punkt: der Einführung eines neuen Agrarsystems auf den Gütern eines der mächtigsten Männer Dänemarks, Adam Gottlob Moltke, geboren 1710 in Walkendorf bei Rostock und de facto Regierungschef Dänemarks von 1746 bis 1766. Moltke war Kammerpage des Kronprinzen und stieg nach dessen Krönung 1746 zum Hofmarschall auf und bekam ein Krongut überschrieben. Er expandierte seinen Besitz in den Folgejahren, wurde zu einem der größten Grundbesitzer Dänemarks und übernahm auch Güter im benachbarten Holstein. Dort hatten Gutsbesitzer im 17. Jahrhundert die Koppelwirtschaft, eine intensivere Fruchtfolge mit wenig Brache und großer, auf Hamburg ausgerichteter Milchwirtschaft, entwickelt, wobei die Kühe wichtigen Dünger für die Felder produzierten.

Diese Milchwirtschaften, sogenannte "Holländereien", umfassten teilweise Hunderte von Kühen und wurden von spezialisierten Pächtern und deren Frauen betrieben, die Butter und Käse produzierten. 1759 nahm Moltke den Verwalter eines seiner Güter in Holstein mit nach Dänemark und beauftragte ihn mit der Neuanlage eines Hofes, Sofiendal, inklusive Koppelwirtschaftsrotationssystem mit Holländerei. Das System wurde bald auch auf anderen Gütern Moltkes eingeführt und von seinen Nachbarn auf Seeland und im Rest des Landes kopiert. 50 Jahre später dominierte das Koppelwirtschaftssystem die dänischen Gutswirtschaften. Es führte zu einer Zunahme der Anzahl von Kühen und hatte auch Vorbildfunktion für die Bauern, die 90 Prozent der Anbauflächen bewirtschafteten und durch die Agrarreformen zwischen den 1780er- und den 1810er-Jahren zu freien Landwirten geworden waren. Die Milchwirtschaft war arbeitsintensiv und verschaffte so auch der rasch wachsenden ländlichen Unterschicht aus Kleinbauern und Häuslern Beschäftigung und Nebenerwerb.

Strukturen aufgebaut

Gemeinsam mit Peter Sandholt Jensen und Christian Volmar Skovsgaard von der University of Southern Denmark haben wir zeigen können, dass es tatsächlich einen (statistisch) kausalen Zusammenhang zwischen dem örtlichen Vorhandensein von Gutsmolkereien Ende des 18. Jahrhunderts und der Gründung von Molkereigenossenschaften zwischen 1882 und 1890 (und auch 1910) gab, selbst wenn man andere Erklärungen in die Modelle aufnimmt. In den Gegenden, die dichter an historischen Gutsmolkereien lagen, gab es im ersten überlieferten Viehzensus von 1837 auch deutlich mehr Kühe pro Quadratkilometer.

Güter mit Holländerei (dunkle Dreiecke) und ohne (helle Dreiecke).
Foto: Jensen/Lampe/Sharp/Skovsgaard

Woran lag das? In unserem Buch zeigen Paul Sharp und ich, dass die Gutsbesitzer und ihre Verwalter nicht nur Koppelwirtschaft und Holländereien anlegten, sondern auch Strukturen für die Vermarktung der Milchprodukte aufbauten. Sie belieferten dänische Städte, aber bald auch das traditionelle Ziel holsteinischer Butter, Hamburg, von wo aus die Butter zunehmend auch in das England der Industriellen Revolution gelangte. Über landwirtschaftliche Gesellschaften tauschten sie Know-how aus, entwickelten Buchhaltungssysteme zur Profitberechnung und stellten so zum Beispiel fest, dass es sich lohnte, Kühe auch im Winter mit Getreide gefüttert Milch produzieren zu lassen, da Butter im Winter knapper war und bei Händlern höhere Preise erzielte. Diese Händler versuchten zunehmend, auch die Produktion der übrigen ländlichen Bevölkerung zu vermarkten, scheiterten allerdings an der eher unterdurchschnittlichen und stark schwankenden Qualität der Bauernbutter, die mit der Professionalität der Güter nicht mithalten konnte. Erste Ansätze zu zentralisierter Produktion in den 1860er-Jahren in dörflichen Privatmolkereien kämpften vor allem mit der schlechten Verarbeitbarkeit transportierter Milch, die erst durch die Erfindung der Milchzentrifuge Ende der 1870er-Jahre überwunden wurde. Der Rest ist Geschichte.

Gegenwind und Entwicklung

Warum haben andere Länder angesichts der Getreidekrise nicht genauso reagiert? Das offensichtlichste Gegenbeispiel findet sich in Irland, das damals zur Gänze zum Vereinigten Königreich gehörte. Irland war von Konflikten zwischen irischen Pächtern und in England lebenden Großgrundbesitzern geprägt. Außerdem gab es, als sich die Genossenschaftsidee von Dänemark aus verbreitete, übermächtige Großmolkereien, die alles daransetzten, die Genossenschaftsbewegung aufzuhalten: Sie boten Milchproduzenten punktuell höhere Preise, um sie abzuwerben, und nutzten die starke Antikartellorientierung des britischen Rechts, um die exklusiven Lieferbindungen, auf denen die finanzielle Nachhaltigkeit der Genossenschaften basierte, vor Gericht zu bekämpfen. Das Modell scheiterte also an anderen Startbedingungen.

Andernorts wirkten Getreidezölle negativ auf die internationale Konkurrenzfähigkeit, und Bottom-up-Gründungen von Genossenschaften litten unter Kapitalmangel, schlechtem Bildungszugang und fehlender Marktexpertise der Landwirte. Dies war nach dem Zweiten Weltkrieg auch in vielen postkolonialen Ländern der Fall, in denen patriarchalisch-planwirtschaftliche Genossenschaften von oben gegründet wurden, deren Mitglieder sich eher als abhängige Lieferanten denn als Miteigentümer sahen.

In Irland haben Großmolkereien die Genossenschaftsbewegung verhindert.
Foto: APA/dpa/Mohssen Assanimoghaddam

Wir lernen daraus, dass es gerade nicht darum geht, Rezepte direkt zu kopieren, die irgendwo funktionieren: Die dänische Genossenschaftsbewegung entstand innerhalb von weniger als zehn Jahren, stand aber am Ende eines Entwicklungspfades, der mit der Einführung von Koppelwirtschaft und Holländereien begann und Bedingungen und Lernprozesse hervorbrachte, die in anderen Ländern so nicht gegeben waren – Pfadabhängigkeiten also. Diese Pfadabhängigkeiten führten zur erfolgreichen Positionierung in der Globalisierungswelle des 19. Jahrhunderts; allerdings legte Dänemark dabei durch die vielen Dampfmaschinen hinter den Milchzentrifugen eine der schnellsten Karbonisierungen der Ökonomie hin, und die effizienzorientierte Milchwirtschaft bildete den Einstieg in ein heute vielkritisiertes Agribusinessmodell.

Die eigentliche Lehre sollte also sein, dass der Erfolg auf Offenheit für neue Ideen und Arbeitsweisen und breiter Bildung basierte, die die Vorzüge von Marktspezialisierung und neuen Technologien auch kleineren Produzenten vermittelten. Die daraus resultierende Reaktionsfähigkeit trägt auch heute dazu bei, dass Dänemark zum Beispiel im Environmental Performance Index weltweit an dritter Stelle steht. (Markus Lampe, 20.8.2019)

Markus Lampe ist Professor und Vorstand des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der WU Wien. Er arbeitet derzeit zur Geschichte von internationalem Handel und Handelspolitik, zur Agrargeschichte und zum Wiener Immobilienmarkt vor 1991.
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