Vor dem Haus des mutmaßlichen Mörders in Caracal stehen Kerzen und Blumen für die getöteten Mädchen.

Foto: APA/AFP/DANIEL MIHAILESCU

Die kleine rumänische Stadt Caracal mit dem Nationaltheater im Zuckerbäckerstil, dem Fußballstadion und den Ruinen des Turms, der im Jahr 217 vom römischen Kaiser Caracalla gebaut wurde, ist von trauriger Berühmtheit. Die Bilder von jenem Haus, in dem der 65-jährige Gheorghe D. zwei junge Frauen ermordet hat, gingen um die Welt. Doch längst steht nicht mehr nur der Täter im Vordergrund.

Nun wird auch über das gesellschaftliche Umfeld nachgedacht, in dem die Mädchenmorde stattfanden. Dabei geht es nicht nur um Behörden, die sich über Opfer lustig machen, sondern auch um soziale Realitäten in der armen Walachei. In den vergangenen Jahren wurden viele Mädchen von hier nach Mittel- oder Westeuropa gebracht, wo sie oft zur Prostitution gezwungen werden. Aber auch in Caracal selbst wurde vor ein paar Jahren ein Mädchenhändlerring hochgenommen.

Die damals 16 minderjährigen Mädchen – zwischen 14 und 16 Jahre alt – wurden ab 2012 von einem Zuhälter zur Prostitution gezwungen. Der Mann hatte sie vergewaltigt und Videos davon gedreht, damit erpresste er sie. Sie stammten meist aus benachteiligten Familien, oft waren es Kinder, deren Eltern im EU-Ausland arbeiteten. Die "Kunden" der Mädchen waren unter anderem amerikanische Staatsbürger, die auf dem Nato-Luftwaffenstützpunkt arbeiteten, der sich unweit von Caracal in dem Dorf Devesulu befindet, aus dem auch eines der aktuellen Mordopfer stammt.

Österreichische Freier

Als am 25. Juli die 15-jährige Alexandra M. verschwand und Gheorge D. danach den Mord an ihr gestand, meldeten sich auch die ehemaligen minderjährigen Zwangsprostituierten zu Wort. Die rumänische Zeitung Libertatea hat eine von ihnen interviewt. Oana (ihr Name wurde von der Zeitung geändert) erzählt, dass Polizisten zu ihren "Kunden" gehörten und sie diesen erzählte, dass sie gewaltsam festgehalten wurde und minderjährig sei. Doch die Polizei half Oana und den anderen Mädchen nicht. Auch drei Österreicher wurden von den Mädchen als Kunden genannt. Sie waren zu dem Zeitpunkt in Caracal wohnhaft und arbeiteten dort an einem Projekt. Die drei Männer wurden in dem Verfahren später als Zeugen geführt.

Auch in Österreich werden Freier von minderjährigen Prostituierten als Zeugen geführt. Diese Freier können sich aber strafbar gemacht haben, wenn sie gewusst haben, dass die Mädchen minderjährig waren. Ab dem 14. Lebensjahr sind dabei die Straftatbestände "sexuelle Nötigung" oder "Vergewaltigung" relevant. Wenn die Mädchen um Hilfe gebeten haben und ihnen nicht geholfen wurde, kommt auch "unterlassene Hilfeleistung" dazu. Es ist allerdings schwer nachzuweisen, dass die Freier um das Alter der Mädchen wussten. Die Österreicher in Caracal sagten jedenfalls, sie hätten gedacht, dass die Mädchen volljährig seien. Offenbar haben sie sich aber keine Ausweise zeigen lassen. Eine Änderung des Strafrechts im Sinne einer Beweislastumkehr wäre durchaus möglich.

Mitwirkung eines Dorfes

Der Anführer des Mädchenhändlerrings wurde schließlich zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die Opfer bekamen keine psychologische Hilfe und wurden weitgehend alleingelassen. Die Zeitung Libertatea schreibt über das stillschweigende Dulden der sexuellen Ausbeutung von Mädchen: "Man braucht die Mitwirkung eines Dorfes, um ein Kind zu erziehen, man braucht aber auch die Mitschuld eines Dorfes, um ein Kind zu missbrauchen."

Wenn Mädchenhändlerringe auffliegen, wird immer wieder offensichtlich, dass die jungen Frauen nicht geschützt werden. 2016 wurde der Polizeichef der Stadt Mizil verhaftet, weil er einen Verbrecherring, der Minderjährige sexuell ausbeutete, deckte.

In einem Bericht der US-Regierung zum Menschenhandel in Rumänien aus dem Jahr 2018 wird vor allem der "Mangel an ausreichenden staatlichen Finanzmitteln" für Hilfsorganisationen für die Mädchen und Frauen kritisiert. "Die meisten Opfer blieben ungeschützt, waren anfällig, neuerlich traumatisiert zu werden, bekamen keine Hilfe und liefen deshalb Gefahr, dass wieder mit ihnen gehandelt wird", heißt es da.

Die Richter hätten zudem keine spezielle Ausbildung zu dem Thema, was sich negativ auf den Zeugenschutz auswirken würde. Im Jahr 2017 wurden in Rumänien 222 Menschenhändler verurteilt, im Jahr davor waren es noch 472. (Adelheid Wölfl, 17.8.2019)