Doge Simon Boccanegra (Luca Salsi) hat Schmerzen: Sie werden für ihn nie enden.

APA

Japans neuer Kaiser Naruhito hatte am Tag der Salzburger Premiere von Simon Boccanegra einen großen öffentlichen Auftritt. Ein zureichender Grund, an diesem Donnerstag von den Festspielereignissen so gar nichts mitzubekommen. Hätte seine Hoheit allerdings Verdis Oper kennengelernt, sie wäre erleichtert, in ihrem Land der aufgehenden Sonne nur noch über symbolische Macht zu verfügen.

Der pechverfolgte Doge von Genua, Boccanegra, ist in einem Netz aus Intrigen, Umsturzplänen und politisierten Privattragödien eingesponnen. Mit ihm, dessen ungemütliches Leben schließlich ein Giftcocktail beendet, möchte keiner tauschen.

In Andreas Kriegenburgs Inszenierung wird bereits die Dogenwahl zum albtraumhaften Schmerzensakt: Dutzende blutige Adorantenhände beschmieren den Auserwählten in einem Initiationsakt, der dieser Inszenierung rare Momente gestalteter Intensität verleiht. Erinnerungen an Kriegenburgs Salzburger Wurf aus 2017 wurden wach. Schostakowitschs Lady Macbeth hatte er abseits trostloser Opernkonvention ins Große Festspielhaus gebracht.

Die Smartphone-Intrige

Ebendort schwindet allerdings bald die Hoffnung auf ein Dacapo. Eine per Smartphones massenhaft inszenierte Intrige (auf eine Leinwand werden Tweets projiziert) belebt zunächst. Besonders die Behandlung der Masse (vokal gut die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor) lässt dann aber zusehends Trostlosigkeit aufkommen: Gruppen werden gerne in starrer Position gehalten, als gelte es für sie, sich bereits während der Tragödie dem Publikum zum Schlussapplaus zu präsentieren.

Dabei wäre reichlich Platz, um in diesem konfliktreichen Werk für sinnstiftende Aktion zu sorgen. Fällt der Schleiervorhang, wird rechts ein kreisrunder, bunkerartiger Raum sichtbar, der als Versammlungsort der Macht fungiert. Links davon wurde eine private Sphäre mit Bar, Klavier und ein bisschen Grünbepflanzung arrangiert, wobei durch Schlitze Meeresatmosphäre hineinweht (Bühnenbild: Harald B. Thor).

Wenig stilsisiert

Parallel zum wehklagenden Vater Jacopo Fiesco, der an der Rampe leidet, wird in diesem Privatraum das Sterben seiner Tochter Maria choreografisch eindringlich umgesetzt.

Auch solch interessante Stilisierungen bleiben jedoch nur flüchtige Ausbrüche aus jener Routine, die an einem soliden Opernhaus zum Alltag gehört. Ironischerweise passt jener auf die Bühne platzierte Flügel, auf den sich – zum allgemeinen Gelächter – der gerade erst vergiftete Boccanegra legt, zum Bühnengeschehen. Es wirkt die gesamte Oper immer wieder wie ein weit vom Tasteninstrument an der Rampe abgehaltener Arienabend.

Die Geschichte vom Leben und Sterben des als gütig porträtierten Dogen von Genua wird immerhin musikalisch um jene Intensität bereichert, welche der Szene dann doch zu sehr abgeht.

Tolle Stimmen

Wie eindringlich und durchdringend Marina Rebeka als in Meeresblau gekleidete Amelia mit dramatischem Furor in Konfliktszenen hineindringt, lässt den szenischen Leerlauf vergessen. Und wie René Pape den Rachecharakter Jacopo Fiesco, der sich schließlich mit Boccanegra versöhnt, von Wut über Trauer zum Friedfertigen führt, ist von großer Eindringlichkeit. Luca Salsi (als Boccanegra) punktet zumindest mit Schönklang wie auch Charles Castronovo. Darstellerische Defizite ließen sich damit allerdings nur notdürftig kompensieren, die auch André Heyboer (als Paolo) trotz grimmiger Miene aufwies.

Tolles Orchester

Die Wiener Philharmoniker unter dem wieder einmal mit dem Zahnstocher dirigierenden Valery Gergiev beflügelten die Stimmen, indem sie dynamisch sehr rücksichtsvoll agierten. Ihr satter Klang ließ die instrumentalen Interventionen und Kommentare dennoch impulsiv und präsent ins Geschehen eingreifen. Alles blieb in Balance, hatte aber auch Prägnanz und reichlich Atmosphäre.

In den Jubel mischte sich übrigens ein lustiges, sehr langes und fast alle treffendes Buh. Es klang nach einem verzweifelten Tenor, der – gut intonierend – worüber auch immer erzürnt war. So wurde einer Tragödie schließlich auch ein heiterer Moment zuteil, über den wohl selbst Kaiser Naruhito geschmunzelt hätte. (Ljubisa Tosic, 16.8.)