Spröde und beliebig war die Wiedergabe von Strawinskis Psalmensymphonie, auch aufgrund der lauen, wenig inspirierten Leitung von Chefdirigent Yutaka Sado.

Foto: Werner Kmetitsch

Grafenegg – Das Präludium der Natur spielte alle Stückln: Zur Begrüßung gab es am frühen Abend einen satten Regenguss, kurz darauf wölbte sich ostwärts ein Regenbogen himmelwärts, während sich im Westen die Sonne zwischen malerischen Wolkengebirgen zur Ruhe begab. Göttlich schön.

Und auch das Programm des Eröffnungskonzertes des Grafenegg Festivals versuchte mit Abwechslungsreichtum zu punkten: Auf die alljährliche Fanfaren-Uraufführung (in diesem Sommer von Residenzkomponist Peter Ruzicka) folgte ein Evergreen der Barockmusik, Vivaldis Die vier Jahreszeiten. Mit einer Hymne von Mendelssohn und Strawinskis Psalmensymphonie sollte nach der Pause der thematische Fokus von der Natur zu Gott hin transzendieren.

Ruzickas knappe Fanfare (für neun Blechbläser) war vorbei, kaum dass sie begonnen hatte. Dafür dauerte jede der vier von Antonio Vivaldi mit theatralischer Anschaulichkeit geschilderten Jahreszeiten eine kleine Ewigkeit. Denn Sarah Chang schien den Solopart in der frischen Abendluft mit klammen Fingern zu spielen: Die Läufe machten Mühe, die Doppelgriffe waren nicht immer sauber.

Farblose Interpretation

Von der im Programm angezeigten Leitungsfunktion des einstigen Wunderkindes war nicht viel wahrzunehmen: Die 38-Jährige hatte mit dem Orchester, von energischen Einsätzen zu den Finalsätzen abgesehen, nur wenig Kontakt. Leider wurden die Defizite von Changs Führungsarbeit vonseiten des Konzertmeisters des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich kaum ausgeglichen. So kam das Orchester im letzten Zyklusteil, dem Winter, sogar leicht ins Schleudern.

Überhaupt war die farblose Interpretation des Werkes näher dran an Rondo Veneziano (ohne Schlagzeug und Perücken) denn an der Intensität und Drastik eines historisch informierten Musizierens. Die Tutti der Gewitterstürme blieben so brustschwach und zaghaft wie der Schlussapplaus nach dem Konzert.

Oft dünn und dürr

Bei der wenig bemerkenswerten Hymne Hör mein Bitten, Herr von Felix Mendelssohn Bartholdy war das Glitzerkleid der soliden Solistin Camilla Nylund das Bemerkenswerteste. Spröde und beliebig dann die Wiedergabe von Strawinskis Psalmensymphonie, auch aufgrund der lauen, wenig inspirierten Leitung von Chefdirigent Yutaka Sado. Dem Wiener Singverein wünschte man die beschönigende Ummantelung des Musikverein-Nachhalls, in der supertransparenten Akustik des Grafenegger Wolkenturms klang der engagierte Chor oft dünn und dürr.

Geht nach dem konzertanten Regenguss zu Beginn des Grafenegg Festivals bei den Auftritten des Concertgebouw-Orchesters, des City of Birmingham Orchestra, des Chamber Orchestra of Europe oder des Orchestre des Champs-Élysées bald wieder die Sonne auf? Wir wollen hoffen und glauben. (Stefan Ender, 17.8.2019)