Wien – Eine Donauwelle zum Surfen für Wien: Das forderte vor kurzem – im beginnenden Nationalratswahlkampf – Gernot Blümel. Er führt die Wiener Landesliste der ÖVP für die Nationalratswahl am 29. September an. Die eigentlich an die rot-grüne Stadtregierung gerichtete Forderung hat wenig mit der Parlamentswahl zu tun. Doch Blümel wird kommendes Jahr für die Türkisen um das Amt des Wiener Bürgermeisters werben. Die Surfwelle baut der Auseinandersetzung offenbar schon einmal vor. Ist Wien durch die Vorverlegung der Bundeswahl nun im Dauerwahlkampf?

Nein, sagt Meinungsforscherin Eva Zeglovits (Ifes). Zwar könnten Ideen wie jene der ÖVP den Eindruck erwecken, dass bis 2020 durchgehend um Stimmen geworben wird. Doch sei die Wien-spezifische Forderung "eher ein Ausreißer". Keiner habe Interesse an einem einjährigen Wahlkampf.

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Jetzt geht es um den Bund. Der Einfluss, den dieser Wahlkampf auf den Urnengang zum Gemeinderat 2020 hat, ist überschaubar. "Ob eine Partei bei der Wahl zwei oder drei Prozent dazugewinnt, spielt für die Wien-Wahl eher keine Rolle", sagt Zeglovits. Allerdings gebe es gewisse Muster. In Wien schnitt die FPÖ bei der Gemeinderatswahl 2015 sehr gut ab, die ÖVP hingegen blieb einstellig. Zusammen erreichten die beiden Parteien rund 40 Prozent.

Bei der Nationalratswahl 2017 kamen sie in Wien auf eine ähnliche Summe: Rund 43 Prozent wählten Türkis-Blau. Jedoch haben sich die Stimmen anders verteilt. "Beobachtet man mehrere Wahlen, kommt man auf ähnliche Werte", sagt Zeglovits.

Der rote Wiener Bürgermeister Michael Ludwig schlägt 2020 erstmals als Stadtchef eine Wahl.
Foto: APA/Herbert Neubauer

Kein Rot gegen Blau

Aktuelle Umfragen zeigen, warum das so ist. Starke Wählerwanderungen direkt zwischen SPÖ und FPÖ sind im Moment nicht das große Thema. "Man erkennt vielmehr eine starke Wanderung von Blau zu Türkis", analysiert Zeglovits. Ebenso wird innerhalb der Wiener Koalition zwischen Grün und Rot gewechselt.

Türkis kämpft mit Spitzenkandidat Gernot Blümel bei den blauen Wählern um Stimmen.
Foto: Christian Fischer

Aber ergibt der Fokus der SPÖ rund um Bürgermeister und Spitzenkandidat Michael Ludwig auf traditionelle Arbeiterbezirke, die einst rot und jetzt vermehrt blau wählen, noch Sinn, wenn dieses Duell entschieden scheint? "Für den Wahlgewinner sind zwei Wählergruppen besonders spannend. Diejenigen, die nicht zur Wahl gegangen sind, und diejenigen, die die zweitstärkste Partei gewählt haben", so Zeglovits. Die FPÖ landete bei der Gemeinderatswahl auf Platz zwei.

Blaue Fragezeichen

Eine große Unbekannte ist der FPÖ-Spitzenkandidat. Neben SPÖ und ÖVP haben die Grünen mit Vizebürgermeisterin Birgit Hebein und die Neos mit Christoph Wiederkehr bereits eine Nummer eins. Um die FPÖ wird spekuliert.

Spitzenkandidat der Neos ist Christoph Wiederkehr.
Foto: : APA/Hans Klaus Techt

Tritt der ehemalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache in den Ring, werden seine Gegner die Kritik auf ihn fokussieren. Seit Freitagabend zweifelt kaum einer mehr an seiner Kandidatur. Da erklärte Strache in einem Interview in der "ZiB 2", ein Antritt bei der Wien-Wahl 2020 sei "eine Möglichkeit", auch wenn die Ermittlungen zu Ibiza nicht abgeschlossen sind. Angriffe auf seine Person motivierten ihn gerade dazu, "so rasch wie möglich politisch zurückzukommen und vielleicht in Wien ein Comeback zu starten".

Heinz-Christian Strache will bei der Wien-Wahl offenbar wieder kandidieren.
Foto: : APA/Herbert Pfarrhofer

Bei der EU-Wahl im Mai zeigte sich, dass die FPÖ fast unbeschadet aus der Affäre kam, sie fuhr keine großen Verluste durch den Ibiza-Skandal ein.

Diejenigen Bürgermeisterkandidaten und die Kandidatin, die bereits fix sind, mischen schon jetzt heftig im Wahlkampf mit und geben sich loyal ihren Bundesparteien gegenüber. Die Stadtspitze schafft es trotzdem, sich nicht in den Haaren zu liegen – trotz Wahlkampf zeigen auch Ludwig und Hebein Einigkeit.

Glaubensfrage Autoverkehr

Auf persönlicher Ebene kommen sie sehr gut miteinander aus. Anhand der Debatte um das Parkpickerl werden auch Bruchlinien deutlich. Während die Grünen die Senkung des motorisierten Individualverkehrs von derzeit 28 auf 15 Prozent bis 2030 im Auge haben, preschte Ludwig mit dem Vorschlag eines "individualisierten Parkpickerls" vor.

Bewohner sollen sich die Zonen, in denen sie parken wollen, selbst zusammenstellen können. Das, so warnen Experten, könnte zu mehr Verkehrsaufkommen führen.

Die grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein hat beim Thema Parkplätze in der Stadt andere Ansichten als der Koalitionspartner.
Foto: APA/Georg Hochmuth

Ob die rot-grüne Zweckgemeinschaft auch nach der kommenden Wahl bleibt, darüber wird seit Ludwigs Wahl zum SPÖ-Chef diskutiert. Liebäugelt er mit der ÖVP, und will er die Grünen abservieren? Oder verlängert er die seit 2010 laufende Partnerschaft? Diese Fragen wird aber weniger Ludwigs Präferenz entscheiden als die Mathematik. Geht es sich mit den Grünen nicht mehr aus, droht aber eine Zusammenarbeit der Opposition. Neos-Chef Wiederkehr führte bereits die Idee eines parteilosen Stadtchefs ins Rennen. Als derzeit kleinste Oppositionspartei ist der Einfluss jedoch fraglich.

Zufriedene Wiener

Entscheidend für die Wahl 2020 in Wien wird sein, welche Koalition sich auf Bundesebene formiert. Dass die türkis-blaue Bundesregierung Wien als Negativbeispiel für gesellschaftliche Entwicklungen verwendet und einen Konflikt zwischen Wien und Bund heraufbeschworen hat, hätten die Wiener nicht so gerne, meint Zeglovits. In Umfragen sind die Hauptstädter grundsätzlich zufrieden. "Und wenn sie über Wien schimpfen, dann wollen sie das selber machen und nicht von außen gedrängt werden." (Oona Kroisleitner, Rosa Winkler-Hermaden, 19.8.2019)