Der Epic Games Store bringt Spieler regelmäßig auf die Palme.

Foto: Epic Games Store

Aufregung, Kontroversen, Empörung und große Emotionen gehören offenbar einfach dazu. Ob es um die Verteidigung des eigenen Spielgeräts in den "Konsolenkriegen", die Empörung über reale oder imaginäre Zensurversuche, die Änderung kosmetischer Details an Spielfiguren, als unzulänglich empfundene Spiel-Enden oder Ethik im Spielejournalismus geht: Immer finden sich überraschend viele Spieler, die sich jederzeit dazu in höchste Rage manövrieren können – bis hin zu den traurigerweise schon fast traditionellen Morddrohungen an Entwickler, Industrievertreter, Journalisten oder andere exponierte Figuren.

In den letzten Monaten sorgte vor allem ein Thema für rechtschaffene Empörung in der Gamerschaft: Der Epic Games Store, angetreten als Steam-Rivale und finanziert durch die Milliarden aus dem Erfolg von Fortnite, bringt das Blut in Wallung. Vor allem das Abwerben großer und kleiner Titel in plattformexklusive Verträge regt auf: Begonnen bei Metro Exodus über Anno 1800 bis hin zu Shenmue 3, Ghost Recon: Breakpoint und natürlich Borderlands 3 sorgen die Exklusivdeals für Zorn.

Berechtigte Kritik ...

Die Kritik an dieser Geschäftspraxis und an Epic Games generell ist nachvollziehbar. Der Epic Games Launcher steckt im Vergleich zum Quasi-Monopolisten Steam technisch noch in den Kinderschuhen und lässt viele Features vermissen, an die man sich gewöhnt hat, von Nutzerrezensionen über Cloudsaves bis hin zu kundenfreundlichen Rückgaberegeln. Auch die Beteiligung des chinesischen Games-Riesen Tencent darf man skeptisch betrachten, ebenso wie die völlig fehlende Linux-Unterstützung.

Auch die Art und Weise, wie der oft abrupte Wechsel von Steam zur Epic-Exklusivität manchmal gehandhabt und kommuniziert wurde, gibt berechtigten Grund zur Kritik. Für Spiele, die sich durch Crowdfunding finanziert haben, ist die Wahl einer exklusiven Plattform abseits der gebräuchlichsten ein Schritt, der manche Unterstützer ihre Investition bereuen lässt. Wer ein kleines Indiestudio mit Geld unterstützt, reagiert gereizt, wenn sich dieses kurz darauf an einen reichen Exklusivpartner bindet – da schmerzt dann jeder damit einhergehende Nachteil, und sei er noch so klein, umso mehr, weil der vermeintliche Verrat besonders schwer wiegt. Ein flapsig formuliertes Update an die Community ist dann vielleicht genug, um das Fass zum Überlaufen zu bringen – wie vor kurzem beim nicht nur für Außenstehende völlig überzogenen Shitstorm um das Indiespiel Ooblets.

... und emotionale Überreaktion

Kurzum: Natürlich gibt es Gründe, Epic und seine Politik der Exklusivdeals zu kritisieren. Wo das Verständnis für den Backlash aber endet, ist im schlicht irrationalen Übermaß des Hasses, der inzwischen von manchen gewohnheitsmäßig über alle beteiligten Firmen, Entwickler oder auch nur jene ausgeschüttet wird, die ein gutes Haar an Epic finden. Als der Journalist Jason Schreier vor kurzem auf Twitter Epics Exklusivpolitik als willkommenen Stabilitätsfaktor für strauchelnde Indie-Entwickler positiv erwähnte, brach ein Sturm der Entrüstung los, der kaum rational zu begründen ist.

Der Befund scheint klar: Für manche Teile der Spielerschaft ist Epic ein Hassobjekt – und die objektiv nachvollziehbaren Kritikpunkte sind so überemotionalisiert, dass andere, ebenso objektiv für die Plattform sprechenden Argumente schlicht ignoriert oder rüde vom Tisch gewischt werden.

Denn tatsächlich hat sich an meinem bereits Anfang des Jahres geänderten Befund wenig geändert: Die Konkurrenz für den Quasi-Monopolisten Steam bedeutet längst fälligen frischen Wind im Markt und bringt letztendlich natürlich auch Spieler*innen mehr Vor- als Nachteile. Denn Steam, das von den allermeisten der besonders aggressiven Gegner des Epic Game Stores fast religiös verteidigt wird, hat Konkurrenz bitter nötig, um seine eigenen Baustellen endlich mit dem nötigen Druck von außen zumindest einmal anzuerkennen.

Steam braucht einen Schubs

Seine sattsam bekannten Probleme in den Griff zu bekommen wäre eine große Aufgabe für Steam: Nach wie vor wuchert der merklich unkuratierte Riesenhaufen an Games so metastasierend vor sich hin, dass geschätzte 90 Prozent der ohne riesiges Marketingbudget dort veröffentlichten Titel sang- und klanglos untergehen. Nach wie vor beschädigen von Valve fast gedankenlos eingesetzte Algorithmen das ohnedies schon höchst prekäre Geschäft zahlloser vor allem kleiner Studios. Die Steam-Community ist immer noch ein Wilder Westen an teilweise schockierend rechtsextremen und toxischen, großteils völlig unregulierten Mikro-Communitys, die in Sachen Extremismus zum Teil eng mit 8chan & Co verwandt sind.

Langsam, nur langsam beginnt sich der Moloch zu bewegen: Mit den "Steam Labs" beginnt endlich das offensive Experimentieren an der eigenen Plattform, die immerhin mehr als ein Jahrzehnt lang stolze 30 Prozent des global exportierenden PC-Spielemarkts in die eigenen Taschen fließen ließ. Ein besserer Algorithmus zur Spieleempfehlung, "Micro-Trailers" und eine automatisiert erstellte "Daily Show" sollen zumindest das Sichtbarkeitsproblem für die ums Überleben kämpfenden tausenden kleineren Spieleentwickler verringern. Wie und ob das auf längere Sicht funktionieren wird, ist noch unklar.

Indies wechseln nicht grundlos zu Epic

Dass sich auch namhafte Indiestudios von Steam ab- und Epic zuwenden, ist somit kein gedankenloser "Verrat" an einer Community, die sich teils begründet, teils irrational und teils aus purer Bequemlichkeit nicht vom liebgewonnenen Quasi-Monopolisten Steam verabschieden will. Natürlich ist Geld das Hauptargument, doch Spielerinnen und Spieler, die den Indies hier schlichte Gier unterstellen, verkennen die traurigen Realitäten der Industrie: Die Entwicklung auch kleiner Indiespiele verschlingt Unsummen, dem oft bis zur absoluten Erschöpfung betriebenen Raubbau an Gesundheit und Privatleben folgt allzu oft der Ruin, weil in der Flut an (Indie-)Spielen sich auch kritisch wahrgenommene und erfolgreiche Titel nicht in ausreichender Zahl verkaufen. Es gibt keine gesicherten Zahlen über Erfolg und Misserfolg in diesem Teil der Industrie, doch eines scheint sicher: Wenn, wie zum Beispiel in den vergangenen vier Wochen, in denen noch dazu Sommerlochbedingungen herrschten, 542 neue Spiele auf Steam erscheinen, muss es Verlierer geben.

Der Epic Games Store ist für jene Indies, die sich ihre Exklusivität bezahlen lassen, mehr als nur die Aussicht auf "mehr Geld", mehr symbolisch als real auch im größeren Anteil von 88 Prozent der Verkäufe gegenüber Steams 70 Prozent. Für alle realistisch kalkulierenden Indie-Entwickler bedeuten die Exklusivdeals mit dem ungeliebten Steam-Rivalen schlicht eine finanzielle Absicherung, die es beim Platzhirschen einfach nicht gibt. Kein Wunder, dass einige diese Hand ergreifen, auch wenn es manche der bisherigen Fans beleidigen mag: Das Angebot dieser relativen Sicherheit auszuschlagen muss man sich auch erst einmal leisten können.

Emotion rausnehmen, bitte!

Spiele leben von der Emotion; dass diese oft von den digitalen Welten in die Realität überschwappt, ist in seinen extremen Ausprägungen extrem entbehrlich. Natürlich gibt es genug am Epic Games Store, seinen technischen Beschränkungen und seiner aggressiven Geschäftspolitik zu kritisieren; zugleich die ebenso existenten Fehler des Platzhirschen Steam zu leugnen verkennt aber die Realität. Im Gegenteil wird die Konkurrenz hoffentlich dazu führen, dass sich auch Steam endlich weiterentwickelt.

Und: Exklusivdeals mag man kritisieren, doch wer seine Videospielgeschichte kennt, sollte wissen, dass diese von Anbeginn Teil der Branche waren – und zwar verschärfter als im vorliegenden Fall. Wer God of War, Horizon Zero Dawn oder Super Mario spielen will, muss auch heute noch mehr tun, als auf seinem Spielgerät per Mausklick eine andere Plattform zu öffnen – nämlich eine Playstation oder eine Nintendo-Konsole kaufen, auf denen die genannten und zahllose andere Titel exklusiv erscheinen.

Es wäre an der Zeit, die Emotion aus dieser Debatte herauszunehmen. Und vor allem: seine Empörung, wie subjektiv gerechtfertigt sie auch erscheinen mag, nicht an jenen (Indie-)Studios auszulassen, die zur Sicherung ihrer Existenz ein Angebot ergreifen, das sie vernünftigerweise nicht ablehnen können. Für alle, die nicht über ihren Schatten springen wollen, gilt außerdem eine verblüffend simple Wahrheit: Man muss nicht alles spielen – die Auswahl ist ohnedies riesig. (Rainer Sigl, 25.8.2019)