Eine Studie hat gezeigt, dass traumatisierte Menschen Berührungen weniger beruhigend empfinden als Menschen ohne Traumata. Außerdem halten sie zu unbekannten Personen eine größere Distanz.

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Wer in der Kindheit gedemütigt, geschlagen oder sexuell missbraucht wurde, hat im Erwachsenenalter häufiger mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen zu kämpfen als Menschen ohne traumatische Erfahrungen. Das zeigen zahlreiche Studien. Doch was sind die Gründe für dieses deutliche höhere psychische Erkrankungsrisiko? Führen Gewalterfahrungen als Kind möglicherweise zu einer dauerhaft veränderten Wahrnehmung von sozialen Reizen? Diese Fragen haben nun Wissenschafter der Abteilung für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Bonn (UKB) mit Kollegen der Ruhr-Universität Bochum untersucht.

Die Forscher befragten insgesamt 120 Personen zu ihren Gewalterfahrungen und Begleiterkrankungen. Davon wurden insgesamt 92 Erwachsene – konkret 28 Männer und 64 Frauen – in die Studie einbezogen. Voraussetzung war, dass die Probanden weder unter neurologischen Erkrankungen litten noch Medikamente einnahmen. Die sensorische Wahrnehmung testeten die Wissenschafter, indem sie mit einer Hand entweder in einer schnellen oder einer langsameren Bewegung über die nackte Haut der Schienbeine strichen.

"Berührungen sind von zentraler Bedeutung, weil sie die Gehirnentwicklung beeinflussen, ein Gefühl für den eigenen Körper vermitteln und als Stressregulator dienen", sagt Studienleiter Dirk Scheele von der Abteilung für Medizinische Psychologie des UKB. Zwischenmenschliche Berührungen werden über zwei unterschiedliche Nervenfasern in der Haut vermittelt: "Aß-Fasern übertragen den sensorischen Reiz und sprechen primär auf schnellere Berührungen an, C-taktile Fasern hingegen übertragen das emotionale Wohlgefühl und werden primär durch langsame Berührungen aktiviert", erklärt Erstautorin Ayline Maier.

Emotionale Berührungen

Die Testpersonen lagen während der Experimente im Hirnscanner und konnten den Versuchsleiter nicht sehen. Seine Hände steckten in Baumwollhandschuhen, um direkten Hautkontakt zu vermeiden. Der funktionelle Magnetresonanztomograph zeichnete die Aktivität der Gehirnareale auf. Nach jeder Messung wurden die Probanden befragt, wie beruhigend die Berührungen empfunden wurden.

Das Ergebnis der Untersuchung: Je ausgeprägter die Misshandlungserfahrungen während der Kindheit waren, umso stärker reagierten zwei Gehirnregionen auf schnelle Berührungen. Der somatosensorische Kortex im Gehirn ist in etwa über dem Ohr lokalisiert und registriert, wo eine Berührung stattfindet. "Dieses Areal kodiert haptische Empfindungen und ist an der Vorbereitung und Initiierung von Körperbewegung beteiligt – zum Beispiel daran, das berührte Bein wegzuziehen", sagt Maier.

Die posteriore Inselrinde ist ein tief im Gehirn hinter der Schläfe liegendes Areal, das für jegliche Körperwahrnehmung wie Berührung, Hunger, Durst und Schmerz zuständig ist. "Bei traumatisierten Menschen ist die Aktivität bei schnellen Berührungen in diesen beiden Arealen deutlich erhöht", ergänzt Scheele. Was die Forscher noch herausfanden: Der Hippocampus war bei langsamen Berührungen deutlich schwächer aktiviert, wenn der Proband in seiner Kindheit traumatisiert worden war. "Konkret könnte die Aktivität des Hippocampus widerspiegeln, wie belohnend eine Berührung im Experiment empfunden wurde", erläutert Maier. Demnach können stärker traumatisierte Menschen insbesondere eine langsame und damit emotionaler aufgeladene Berührung als weniger belohnend empfinden.

Hoffnung auf neue Therapieansätze

Darüber hinaus untersuchten die Wissenschaftler die soziale Distanz. Die Teilnehmer wurden gebeten, auf einen ihnen unbekannten Menschen zuzugehen und stehen zu bleiben, wenn die Distanz gerade noch als angenehm empfunden wurde. Es zeigte sich, dass die stärker traumatisierten Personen mehr Abstand hielten – im Schnitt waren es um zwölf Zentimeter mehr.

"Die Resultate zeigen, dass bei Menschen mit traumatischen Erlebnissen in der Kindheit die Wahrnehmung und die sensorische Verarbeitung verändert sind", fasst Scheele die Ergebnisse zusammen. Berührungen wirken weniger beruhigend als bei Personen ohne Misshandlungserfahrung. Wie Kontrolluntersuchungen zeigen, seien dafür nicht die Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angstattacken verantwortlich, sondern die Traumatisierung selbst.

"Dieses Ergebnis eröffnet möglicherweise auch Chancen für neue Therapien." So könnten den Forschern zufolge ergänzende körperbasierte Therapien in einem sicheren Umfeld ein Umlernen dieser Reizverarbeitung ermöglichen. Ob dieser Ansatz wirksam ist, muss erst in weiteren Studien untersucht werden. (red, 20.8.2019)