Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz

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Die Gesundheitsgespräche in Alpbach wurden von einem Wirtschaftswissenschafter eröffnet. Der US-amerikanische Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz prangerte das Wirtschafts- und Wertesystem des amerikanischen Wildwestkapitalismus an. Wer den Kräften des freien Marktes unkontrolliert freien Lauf lässt, erntet Monopole, soziale Ungerechtigkeit und vor allem Hoffnungslosigkeit in der Bevölkerung, sagte er. Als Beweis seiner These analysierte er den gesundheitlichen Zustand der US-Bevölkerung. Die Lebenserwartung der Amerikaner sinkt als Folge der schlechten Einkommenssituation der Durchschnittsbevölkerung. Sie sinkt auch, weil die Nahrungsmittelindustrie mit billigen Lebensmitteln die Menschen dickleibig und krank macht. Und sie sinkt auch wegen der massiven Opioid-Krise, die mitunter auch eine Folge eines aggressiven Pharma-Marketings war. Schmerzpatienten, die Oxycontin zur Linderung ihrer Kreuzschmerzen einnahmen, wurden plötzlich Junkies. Insofern hat auch die Firma Purdue Pharma ihren Anteil an der Gesundheitskrise im Land.

Solidarisch finanzierte Gesundheitssysteme

Dann lobte Stiglitz Europa und seine solidarisch finanzierten Gesundheitssysteme, die gerade solche Entwicklungen abfedern können. Da freuten sich viele im Saal des Europäischen Forums in Alpbach, weil Stiglitz jenen recht gab, die Gesundheit niemals als Leistung eines Einzelnen, sondern als Ergebnis der sozialen Verhältnisse betrachten. Krankheit oder Gesundheit ist keine individuelle Entscheidung, sondern hängt von den Werten einer Gesellschaft ab.

Genau darüber wird Jahr für Jahr in Alpbach diskutiert. Ja, es ist anstrengend, und viele wünschen sich, dass endlich mehr weitergeht. Im Angesicht der amerikanischen Verhältnisse ist es aber doch wohl so, dass die Verteidigung der sozialen Werte dazu beigetragen hat, dass Europa viele Auswüchse des amerikanischen Kapitalismus bisher erspart geblieben sind.

Bekenntnis zur Solidargemeinschaft

Das Bekenntnis zu einer Solidargemeinschaft, die Mindestsicherung, die Inklusion von Randgruppen oder die Förderung der Kindergesundheit sind mehr als nur eine Weltanschauung, sondern Gesundheitsfaktoren. In Alpbach treffen sich die Stakeholder und diskutieren über diese Werte. In den USA sind es vielleicht bald Google, Facebook und Amazon, die bestimmen, wohin die Reise geht und was gesunden Profit bringt. Es kommt darauf an, ob wir sie das auch in Europa tun lassen. (Karin Pollack, 19.8.2019)