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1. Mann und Frau sind grundverschieden

Wenn man auf die Geschlechterforschung der vergangenen Jahrhunderte zurückblickt, kommt man nicht umhin, festzustellen: Die Wissenschaft hat Frauen viel Unrecht angetan. Das darf kaum verwundern, wurden Frauen doch jahrhundertelang von akademischen Tätigkeiten ausgeschlossen. Da wäre zum Beispiel der lang zelebrierte Befund, wonach das Gehirn von Frauen durchschnittlich um fünf Unzen, zirka 140 Gramm (siehe 9.) leichter sei als jenes von Männern, woraus die natürliche weibliche Unterlegenheit abgeleitet wurde. Es gibt aber auch bis heute in der Öffentlichkeit weit verbreitete Mythen, wonach Frauen besser im Multitasken sind, Männer dagegen bei der Orientierung. Oder dass Männer einen stärkeren Sextrieb haben und Frauen nach Treue streben (siehe 3.). Und natürlich, dass es generelle Geschlechterunterschiede gibt in Verhalten und Kognition – denn schließlich sind Männer ja vom Mars und Frauen von der Venus, wie die psychologische Ratgeberliteratur predigt.

Auch wenn keiner dieser Mythen der wissenschaftlichen Überprüfung nach heutigen Standards standhält, haben sie sich in das kollektive Bewusstsein eingeschrieben und prägen bis heute Sicht darauf, wie sich Männer und Frauen unterscheiden.

In jüngster Vergangenheit gibt es aber auch wissenschaftliche Erkenntnisse mit stark emanzipatorischem Potenzial. Beispielsweise hat sich bei der Forschung sowohl zum prämenstruellen Syndrom (siehe 8.) wie auch zur Menopause (siehe 7.) gezeigt, dass die Frage, ob Frauen sich selbst und ihren Körper positiv oder negativ wahrnehmen, abhängig davon ist, wie sie von der Gesellschaft im Allgemeinen und der Wissenschaft im Speziellen charakterisiert werden. Die Geschlechterforschung ist daher nicht nur eine unbeteiligte Instanz, die Unterschiede zwischen Mann und Frau feststellt. In wesentlicher Hinsicht beeinflusst sie das öffentliche Bild über Mann und Frau, politische und wirtschaftliche Entscheidungen und nicht zuletzt unser jeweiliges Selbstverständnis.

Auch die heutigen Ergebnisse der Geschlechterforschung sind keine letztgültigen Wahrheiten. Ein Trend, der sich aber durch viele wissenschaftliche Erkenntnisse der vergangenen Jahre zieht, ist, dass die vermeintlich großen biologischen Differenzen zwischen den Vertretern verschiedener Planeten gar nicht so groß sind, wie man dachte.

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2. Jagen ist Männersache

Kaum eine andere wissenschaftliche Erkenntnis hat sich so sehr in das kollektive Gedächtnis eingeprägt wie jene, dass Frauen in archaischen Gesellschaften für das Sammeln zuständig waren und die Männer für das Jagen. Um Jagderfolge zu erzielen, bedurfte es der Kooperation und Organisation unter den Männern. Eben dadurch entwickelten sich Werkzeuge, Sprache und Politik, was Männer zu den Begründern der menschlichen Kultur machte. Der Frauen-an-den-Herd-Politik hat die Wissenschaft von Jägern und Sammlerinnen nur zu gut ins Argumentationsschema gepasst. Doch die Theorie hat einen Haken: Sie ist, wie Wissenschafter inzwischen herausgefunden haben, so nicht richtig.

Zunächst hat sich entgegen früherer Annahmen mittlerweile herausgestellt, dass die Aufgabenaufteilung in frühen Jäger-Sammler-Gesellschaften weniger ausgeprägt war, als man ursprünglich dachte. Die Menschen waren damals in weit größerem Ausmaß Alleskönner, als wir es in unseren heutigen stark spezialisierten Gesellschaften sind. Jeder lernte alles, und auch Frauen erledigten harte Arbeiten, wenn es ums Überleben ging. So wurden in vielen Kulturen Hinweise auf Jägerinnen gefunden.

Auch die Theorien zum Beitrag, den die Geschlechter zur Versorgung eines Stammes leisteten, mussten nach und nach revidiert werden. Lange ging man davon aus, dass die jagenden Männer den überwiegenden Teil der Versorgung mit Nahrung bereitstellten. Wie man heute weiß, variiert der Anteil, den Männer in Jäger-Sammler-Gesellschaften an der Versorgung hatten und haben, jedoch abhängig von sozialen Faktoren und Umgebung sehr stark.

Was die Entstehung von Sprache angeht, gibt es inzwischen Hinweise, dass es nicht die Jagd gewesen ist, die die menschliche Kommunikation vorangebracht hat, sondern die komplexen Interaktionen zwischen Kindern und den Menschen, die sie aufzogen. Frauen stünden somit eher im Zentrum der Sprachentwicklung als Männer.

Während frühere Generationen von Wissenschaftern unsere weiblichen Vorfahren als hilflose Wesen charakterisierten, deren Überleben von Jagderfolg, Werkzeugen und Kommunikationsfähigkeiten der Männer abhing, zeichnet die Wissenschaft mittlerweile ein viel differenzierteres Bild unserer Vorfahren.

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3. Frauen wollen Treue, Männer wollen Sex

Bereits der Begründer der Evolutionslehre, Charles Darwin, stellte Thesen zum unterschiedlichen Sexualverhalten von Frauen und Männern auf. Männer haben einen stärkeren sexuellen Trieb, Frauen sind von Natur aus monogam veranlagt, lautete das Narrativ, dem Generationen von Forschern anheimfielen.

Wenn es um das Sexualverhalten von Männern und Frauen geht, dient als wesentliche wissenschaftliche Referenz eine Studie, die in den 1970ern von den Psychologen Russell Clark und Elaine Hatfield auf dem Campus der Florida State University durchgeführt worden ist und 1989 publiziert wurde. Das Setting der Felduntersuchung war einfach: Studentinnen und Studenten bekamen die Aufgabe, Personen auf dem Campus anzusprechen und ihnen einen von drei Vorschlägen anzubieten: auf ein Date zu gehen, in ihr Apartment mitzukommen oder Sex mit ihnen zu haben. Das Resultat: Frauen und Männer waren in gleichem Ausmaß gewillt, auf ein Date zu gehen. Keine einzige Frau willigte dagegen ein, Sex mit einem Fremden zu haben, allerdings drei Viertel der Männer. So schien wissenschaftlich bewiesen, was ohnehin jeder zu wissen glaubte: Männer haben ein stärkeres sexuelles Verlangen.

2013 wiederholten Andreas Baranowski und Heiko Hecht das Experiment auf einem Campus in Deutschland. Sie wollten herausfinden, wie die Reaktion der Frauen in einer natürlicheren Umgebung wie in einer Cocktailbar oder einem sicheren Ort ausfallen würde. Das Ergebnis: Auch in ihrer Studie waren mehr Männer zu Sex bereit, die Geschlechterdifferenz war aber viel geringer als im Florida-Experiment. Zudem zeigte sich, dass die Differenzen beinahe verschwanden, wenn das Angebot an einem sicheren Ort ausgesprochen wurde. Baranowski und Hecht lag es nicht daran, zu demonstrieren, dass die frühere Studie falsch gewesen sei. Ziel war es, offenzulegen, dass das Verhalten von Männern und Frauen bei sexuellen Angeboten nicht prädeterminiert ist, sondern stark von Umgebung und Kultur abhängt.

Im Laufe der Geschichte und bis heute werden in vielen Gesellschaften enorme Anstrengungen unternommen, um das sexuelle Begehren von Frauen zu unterbinden – das reicht von der Verstümmelung der Genitalien bei der Beschneidung über das Abbinden von Körperteilen bis hin zu Morden an sexuell aktiven Frauen. Bezug nehmend auf diese Praktiken wirft die Autorin Angela Saini in ihrem Buch "Inferior" die Frage auf: "Könnte es sein, dass die Frauen und ihre evolutionären Vorfahren nicht natürlicherweise die passiven und monogamen Wesen mit geringem Sextrieb waren, wie Charles Darwin und andere angenommen haben? Könnte es nicht stattdessen sein, dass Frauen seit Jahrtausenden von Männern gezwungen worden sind, sich bescheidener zu verhalten?"

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4. Männer sind genialer

Lehnen Sie sich doch einmal einen Augenblick zurück, schließen Sie die Augen und denken Sie an ein Genie.

Geschafft?

Vor diese Aufgabe gestellt, würden die meisten von uns eher an einen Mann denken, weniger hingegen an eine Frau. Das darf nicht weiter verwundern – jahrhundertelang waren wissenschaftliche und künstlerische Berufe Männern vorbehalten, in vielen Bereichen gibt es bis heute keine Chancengleichheit.

2005 sorgte der damalige Präsident der Harvard-Universität, Lawrence Summers, für Aufsehen, als er auf der Suche nach einer Erklärung, warum es weniger Professorinnen gibt als Professoren, behauptete, dass Männer Frauen in Mathematik und den Wissenschaften eben überlegen seien und dass es dafür biologische Gründe gebe. Anders gesagt: Frauen sind einfach von Natur aus zu dumm für akademische Top-Jobs.

Empirische Evidenzen für Summers’ Behauptungen gibt es freilich nicht. Im Gegenteil: Zahlreiche psychologische Tests mit Mädchen und Buben haben gezeigt, dass es kaum kognitive Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt und dass die wenigen feststellbaren hauptsächlich kulturell, nicht aber biologisch bedingt sind.

Es gilt mittlerweile als gesichert, dass es durchschnittlich bei der generellen Intelligenz keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Es wird aber nach wie vor oft behauptet, dass es bei Männern größere Variabilitäten bei der Intelligenz gibt als bei Frauen. Anders gesagt: Es gibt sowohl mehr männliche Genies wie auch mehr männliche Idioten. Könnte Summers Aussage also doch ein Fünkchen Wahrheit enthalten haben? Nicht wirklich, denn diese These konnte nur teilweise durch wissenschaftliche Studien belegt werden.

2008 haben Forscher der Universität Edinburgh eine auf Daten eines schottlandweiten Intelligenztests unter Elfjährigen basierende Studie durchgeführt. Darin konnten sie tatsächlich bei den Buben eine größere Variabilität bei der Intelligenz feststellen als bei Mädchen. Die Unterschiede waren zwar kleiner als in früheren Studien, aber dennoch signifikant.

Gleichzeitig wiesen die Forscher darauf hin, dass bei Männern die größeren Abweichungen vom Mittelwert vor allem im unteren Bereich auffallend seien. "Extreme sind besonders unten zu sehen, weil es bei Buben mehr Entwicklungsstörungen gibt", sagt die Neurowissenschafterin Melissa Hines. "Im oberen Spektrum gibt es keinen großen Unterschied zwischen den Geschlechtern." Die Forscher konnten jedenfalls zeigen, dass die Geschlechterdifferenzen bei den Intelligenztests nicht ausreichend genug ausgeprägt sind, um damit die massive Unterrepräsentation von Frauen in mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern zu erklären. Ein Grund dafür könnte sein, dass ein Mann mit besonderer Intelligenz eher gefördert wird als eine Frau, so Hines – bedingt durch unsere kulturelle Prägung, dass wir Genies eher mit Männern assoziieren.

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5. Frauen sind sozialer

Die Unterschiede zwischen Mann und Frau sind ganz einfach zu charakterisieren, wenn man die Welt durch die Brille der Theorien des britischen Psychologen Simon Baron-Cohen betrachtet.

Laut Baron-Cohen gibt es empathische Menschen und systematische Menschen. Die Empathischen haben das Bedürfnis und die Fähigkeit, die Gedanken und Gefühle anderer zu erkennen und darauf zu reagieren. Die Systematischen wiederum tendieren zu Analyse, Erkundung und der Konstruktion von Systemen. Und was hat das mit den Geschlechtern zu tun? In Baron-Cohens Darstellung ist das weibliche Gehirn die biologische Hardware für die Empathischen, das männliche Gehirn ist hingegen auf die Systematischen ausgerichtet.

Um seine Theorie mit Daten zu untermauern, hat Baron-Cohen eigene Messmethoden für Empathie und fürs Systematisieren erstellt: Der Empathizing Quotient (EQ) und der Systemizing Quotient (SQ) werden mittels Fragebogen zur Selbsteinschätzung ermittelt. Und wie schön: Baron-Cohens Theorie der empathischen weiblichen Gehirne und der systematischen männlichen Gehirne konnte damit bestätigt werden. Allerdings versieht Baron-Cohen seine Theorie selbst mit einem wesentlichen Disclaimer: Nicht alle Frauen haben seiner Diktion nach weibliche Gehirne, nicht alle Männer männliche Gehirne.

Unterschiede bei kognitiven Fähigkeiten und im Sozialverhalten sind immer wieder getestet worden. Dabei hat sich gezeigt, dass nur minimale Unterschiede zwischen Männern und Frauen nachgewiesen werden können. Die Menge der Überschneidungen zwischen Männern und Frauen ist jedenfalls viel zu groß, als dass es möglich oder sinnvoll wäre, allein ausgehend vom Geschlecht auf die Empathiefähigkeit eines Menschen zu schließen.

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6. Männer sind das stärkere Geschlecht

Über Jahrtausende hinweg haben Männer ihren Führungsanspruch gegenüber Frauen auch damit legitimiert, dass sie schließlich größer und stärker sind und daher natürlicherweise das Sagen haben sollten.

Es stimmt auch, dass Männer im Schnitt um 15 Zentimeter größer sind als Frauen. Im Durchschnitt haben sie auch einen muskulöseren Körperbau. Die Stärke eines Menschen kann aber auf viele verschiedene Weisen definiert werden. Wenn man sich nicht ausschließlich auf die Muskelkraft kapriziert, stellen sich Frauen in vielerlei Hinsicht als das stärkere Geschlecht dar – wenn es beispielsweise um ganz rudimentäre Überlebensstrategien geht.

Diese Differenzen bestehen von dem Moment an, wenn Babys geboren werden. In der größten globalen Analyse von Kindersterblichkeit, die von der britischen Forscherin Joy Lawn erhoben wurde, zeigt sich, dass jedes Jahr eine Million Babys bereits am Tag ihrer Geburt sterben.

Im ersten Lebensmonat weisen Buben Lawns Analysen zufolge ein um zehn Prozent höheres Sterberisiko auf als Mädchen. Aufgrund dieses frühen Gender-Gap bei den Mortalitätsraten gehen Forscher davon aus, dass dieser Unterschied großteils, wenn nicht vollständig biologisch bedingt ist.

Es gibt aber auch Ausnahmen, die sich dem globalen Trend widersetzen, wie beispielsweise in Südasien. Dort haben Buben und Mädchen ein ähnlich hohes Risiko, noch im Babyalter zu sterben. "Wenn die Überlebensraten ausgewogen sind, bedeutet das, dass man sich nicht im selben Ausmaß um die Mädchen kümmert", wird Lawn im Buch "Inferior" von Angela Saini zitiert. "Buben haben ein höheres biologisches Risiko zu sterben, Mädchen ein höheres soziales Risiko", sagt Lawn.

Nicht nur im Kindesalter gibt es Geschlechterunterschiede bei der Sterblichkeit. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Frauen offenbar in jedem Alter bessere Überlebenschancen haben als ihre männlichen Altersgenossen. Die genauen Gründe dafür sind noch unklar. Da der Trend aber so eindeutig ist, gehen einige Wissenschafter davon aus, dass die Antworten auf die Frage, warum Frauen die besseren Überlebenskünstlerinnen sind, zugleich auch wertvolle Einsichten in die Forschung der Langlebigkeit liefern könnten.

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7. Die Menopause macht Frauen nutzlos

1966 war ein gutes Jahr für den US-Gynäkologen Robert Wilson und die Initialzündung einer gefährlichen Entwicklung für Frauen. Wilson veröffentlichte in diesem Jahr das Buch mit dem Titel "Feminine Forever" zum Thema Menopause. In seiner Darstellung handelt es sich dabei um eine "ernstzunehmende, schmerzhafte und lähmende Krankheit" – eine Plage für die Frauen in den Wechseljahren ebenso wie für ihre Ehemänner. Seine Botschaft lautete: Die Frauen bräuchten sich vor dem Altern nicht mehr zu fürchten, die Wissenschaft habe die Lösung für sie gefunden – die Hormontherapie.

Mit einer entsprechenden Dosis Östrogenen würden die "Brüste und Genitalorgane nicht schrumpeln. Es wird angenehmer sein, mit der Frau zu leben, und sie wird nicht fad und unattraktiv werden", schrieb Wilson. Wie sich nach seinem Tod herausstellte, war sein Buch von der Pharmaindustrie finanziert worden, die aus dem Boom an Hormontherapien Profit schlug.

Bereits in den 1930er-Jahren war die Hormontherapie aufgekommen, spätestens nach Erscheinen von Feminine Forever wurde dann die Einnahme von Östrogenpillen in manchen Teilen der Welt Routine, wenn Frauen ein bestimmtes Alter erreichten. Die Menopause wurde medizinisch in etwa so betrachtet wie der Mangel eines bestimmten Vitamins und wurde analog dazu mit dem Verschreiben von Pillen "behandelt".

Zahlreiche Todesfälle brachten schließlich auf drastische Weise die Einsicht, dass Hormontherapien keine adäquate Antwort auf das Altern sind. Wissenschafter konnten inzwischen einen Zusammenhang zwischen der längerfristigen Einnahme von Hormonen und einem erhöhten Risiko für Gebärmutterkrebs, Brustkrebs, Herzinfarkte oder Schlaganfälle nachweisen.

Doch gibt es biologische Gründe, dass Frauen in einem bestimmten Alter ihre Fruchtbarkeit verlieren? Die Menopause stellt Evolutionsbiologen vor ein Rätsel: Warum macht die Natur Frauen unfruchtbar, wenn sie noch voll im Leben stehen?

Der renommierte Evolutionsbiologe George Williams schlug eine Lösung vor. Seine These, die mittlerweile als "Grandmother-Hypothesis" bekannt ist, lautet, dass die Menopause entstanden ist, um ältere Frauen vor den Risiken, die mit dem Gebären verbunden sind, zu schützen. Das ermöglicht ihnen, alt genug zu werden, um auch für ihre Enkelkinder zu sorgen, wodurch deren Überlebenschancen gesteigert werden.

Im Lichte der Großmutter-Hypothese erscheint die Menopause nicht länger als Krankheit, sondern im Gegenteil als eine geniale Erfindung der Natur.

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8. Ihre Tage sind eine Plage

Freilich hat auch der weibliche Zyklus so manchen Forscher fasziniert. Ein beliebtes Forschungsthema ist beispielsweise, Verhaltensänderungen während des weiblichen Zyklus zu studieren. In der Geschichte wurden die dazu ermittelten Daten auch immer wieder zur Argumentation verwendet, warum Frauen weder Macht noch Verantwortung übertragen werden dürfte – zu groß wäre die Gefahr, wenn die Hormone wieder einmal mit ihnen durchgingen. 1970 gab Edgar Berman, Mitglied der Demokraten in den USA, beispielsweise zu Protokoll, dass Frauen für Führungspositionen ungeeignet seien wegen ihrer "tobenden hormonellen Schwankungen".

Bereits 1931 beschrieb der Gynäkologe Robert Frank Frauen als Sklavinnen ihrer Hormone. Er suggerierte, dass es einen Zusammenhang zwischen den damals erst kürzlich entdeckten Hormonen und Begleiterscheinungen des prämenstruellen Syndroms gebe, wonach seine Patientinnen vor ihrer Menstruation "dummes und unüberlegtes Verhalten" an den Tag legen würden.

Das prämenstruelle Syndrom ist bis heute ein weitgehend akzeptiertes Phänomen in westlichen Kulturen und wird mit einem Ausbruch negativer Emotionen, geringen Leistungen in Schulen oder im Job und einer Verminderung der kognitiven Fähigkeiten in Verbindung gebracht.

Die Weltgesundheitsorganisation weist darauf hin, dass das prämenstruelle Syndrom abhängig von der Kultur mit sehr unterschiedlichen Symptomen assoziiert wird. Emotionale Veränderungen werden vor allem in Westeuropa, Australien und Nordamerika bemerkt. Frauen in Asien klagen dagegen eher über physiologische Symptome wie Wasseransammlungen. Insgesamt werden dem prämenstruellen Syndrom mehr als hundert Symptome zugeschrieben. Dazu zählen Schläfrigkeit, Schmerzen, Vergesslichkeit ebenso wie Energieausbrüche und Wohlbefinden. Laut der Neurologin Gina Rippon sei das prämenstruelle Syndrom daher ein gutes Beispiel für eine Selffulfilling Prophecy, um einen Zusammenhang zwischen Biologie und Verhalten herzustellen: Es ist so vage definiert, dass quasi alles hineininterpretiert werden kann.

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9. Frauen denken anders

Die Vorstellung, dass sich am Gehirn eines Menschen das Geschlecht ablesen lässt, geht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Generationen an Hirnforschern haben sich der Aufgabe verschrieben, herauszufinden, was Männer- von Frauenhirnen unterscheidet und wie sich die Unterschiede auf die jeweiligen Fähigkeiten der Geschlechter auswirken. Je hartnäckiger sich Forscher mit den Geschlechterdifferenzen beschäftigen, umso deutlicher wird: Es gibt sie offenbar gar nicht.

Das weibliche Gehirn musste sich jahrhundertelang gefallen lassen, als kleingewachsen, unterentwickelt, mangelhaft organisiert oder generell defekt beschrieben zu werden, wie die Neurowissenschafterin Gina Rippon im Buch "The Gendered Brain" (Bodley Head, 2019) beschreibt.

Ein äußerst beliebtes Argument in der seit 200 Jahren andauernden Debatte war immer wieder jenes, dass die Unterlegenheit der Frau daher rührt, dass ihr Gehirn im Durchschnitt um fünf Unzen weniger wiegt als das durchschnittliche Männergehirn. Freilich hat dieses Argument offensichtliche Schwachstellen: Was ist etwa mit Elefanten – seit vielen Jahren ist bekannt, dass ihre Gehirne wesentlich mehr wiegen als unsere. Würden wir auch hier daraus schließen, dass wir ihnen natürlicherweise unterlegen sind?

Mit neuen Formen der bildgebenden Verfahren im Gehirn ist es seit Ende des 20. Jahrhunderts möglich, festzustellen, ob es tatsächlich Unterschiede zwischen Gehirnen von Frauen und von Männern gibt. Dabei hat sich immer wieder gezeigt, dass die Differenzen geringer sind als lange angenommen. So mancher Mythos wie jener, dass männliche Gehirne besser im Orientieren und weibliche Hirne besser im Multitasken seien, hält sich dennoch hartnäckig – trotz mangelnder wissenschaftlicher Belege.

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10. Von Mars-Männern und Venus-Frauen

Was uns die Wissenschaft über die Geschlechter lehrt, hat mitunter weitreichende soziale und politische Folgen. Es ist prägend dafür, wie andere über uns denken und wie wir uns selbst sehen.

Ziemlich egal, um welche Fähigkeit oder Veranlagung es geht: In der Wissenschaftsgeschichte hat sich immer wieder gezeigt, dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern viel geringer sind, als man ursprünglich dachte.

Auch kleine biologische Unterschiede können durch Kultur und Gesellschaft derart vergrößert werden, dass sie wie unüberwindbare Hürden erscheinen: Wenn die Unterschiede tatsächlich so groß wären, als stammten die Männer vom Mars und die Frauen von der Venus, wie sollen sie dann ohne Geschlechterkämpfe auf der Erde zusammenleben können?

Nachdem Forscher jahrhundertelang nach Unterschieden zwischen Frauen und Männern gesucht haben, beginnen Psychologen und Neurologen im 21. Jahrhundert die Frage infrage zustellen. "Haben wir all die Anstrengungen unternommen, um zwei Gruppen zu untersuchen, die gar nicht so unterschiedlich sind?", beschreibt die Neuroforscherin Gina Rippon den gegenwärtigen Diskurs.

Beim biologischen Geschlecht ist längst bekannt, dass nicht alle Individuen mit XX-Chromosomen eine Vagina haben und alle XY-Individuen einen Penis. Lange wurden Intersex-Personen als Ausnahme gesehen. Nun weiß man, dass es sie häufiger gibt, als man dachte. Auch beim sozialen Geschlecht sind die Grenzen fließend. Wenn wir alle auf die eine oder andere Weise queer sind, was interessiert uns dann noch, was es über Männer und Frauen zu wissen gibt? (Tanja Traxler, 22.8.2019)