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Unerwartete Härte: Wie einen Lausbuben behandelte Giuseppe Conte im Senat seinen Innenminister.

Foto: AP/Gregorio Borgia

In seiner Antrittsrede als Regierungschef vor 446 Tagen hatte sich der Jurist Giuseppe Conte noch als "avvocato del popolo", als Anwalt des Volkes bezeichnet. Im Senat zu Rom schlüpfte der italienische Ministerpräsident am Dienstagnachmittag dann in die Rolle des Staatsanwalts: Seine mit Spannung erwartete Berichterstattung zur aktuellen Regierungskrise wurde über weite Strecken zu einer gnadenlosen Anklagerede gegen seinen Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini. Der Chef der rechten Lega hatte ihm am 8. August, am Tag seines 55. Geburtstags, das Vertrauen entzogen und das Land damit in eine politische Krise gestürzt.

Conte warf Salvini vor, mit seinem Misstrauensantrag nur persönliche und Parteiinteressen verfolgt und dabei die nationalen Interessen aus dem Blick verloren zu haben. "Die Entscheidungen und das Verhalten des Innenministers verraten einen großen Mangel an institutioneller Kultur", betonte Conte.

Der Ministerpräsident unterstellte seinem Vize außerdem, autoritäre Attitüden zu haben: Wenn Salvini bei Neuwahlen die "volle Macht" von den Wählern fordere und mit Volksaufmärschen auf den Plätzen drohe, "dann erfüllt mich das mit Sorge", sagte Conte. Weiter bezichtigte der Premier den Lega-Chef des Opportunismus, weil er zwar der Regierung das Vertrauen entzogen, aber nicht gleichzeitig seine Minister aus der Regierung abgezogen habe, wie dies konsequent gewesen wäre.

"Regierung am Ende"

"Mit dem heutigen Tag ist diese Regierung am Ende angekommen", betonte Conte am Schluss seiner Rede. Anschließend kündigte der Regierungschef an, dass er nach der Debatte im Senat zum Quirinalspalast fahren werde, um Staatspräsident Sergio Mattarella in dessen Amtssitz sein Rücktrittsschreiben zu übergeben. Dieser akzeptierte Contes Rücktritt am späten Dienstagabend und rief für Mittwoch zu Gesprächen mit den Vertretern der Parteien auf.

Ab Mittwoch, 16 Uhr will Mattarella einen Tag lang sondieren, ob es die Möglichkeit einer Parlamentsmehrheit für eine neue Regierung gebe. Sei das nicht der Fall, will er Neuwahlen ausrufen. Zehn Minuten habe die Unterredung zwischen Premier und Präsident gedauert. Mattarella bat den parteilosen Conte, die Amtsgeschäfte vorläufig weiterzuführen, bis ein neuer Regierungschef eingesetzt wird. Die Lega zog den damit hinfällig gewordenen Misstrauensantrag gegen Conte am Dienstagabend zurück.

Salvini würde alles noch mal so machen

Salvini sagte noch im Senat, dass er nichts bereue und alles noch einmal genauso machen würde. In Umkehrung der Tatsachen warf der Innenminister dem abtretenden Premier vor, das Ende der Regierung selbst verschuldet zu haben: Gewisse Leute in der Regierung hätten seit Monaten daran gearbeitet, die Lega durch den sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) abzulösen. Aus Angst vor dem Gang in die Opposition erklärte sich Salvini aber bereit, die Zusammenarbeit mit der der Fünf-Sterne-Bewegung weiterzuführen, sofern diese das wünsche.

Contes Auftritt im Senat war ein weiterer Beleg dafür, dass der bei seiner Vereidigung völlig unbekannte Süditaliener in den 14 Monaten als Premier seinem Amt durchaus gewachsen war. Anfangs war der als eitel geltende Conte nicht viel mehr als ein willfähriger Befehlsempfänger seiner beiden Vizes Salvini und Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung gewesen. Je mehr sich der Führer der rechtsradikalen Lega und der Politikchef der Grillini aber politisch und auch persönlich zerstritten, desto selbstständiger begann Conte seine Entscheidungen zu fällen.

Bescheidene Bilanz

Zusammen mit seinem ebenfalls parteilosen Finanzminister Giovanni Tria stutzte der Premier beispielsweise die teuren Wahlversprechen der Regierungsparteien (ein allgemeines Grundeinkommen sowie eine Senkung des Pensionsantrittsalters) so massiv zurück, dass er gleich zweimal ein drohendes Defizitverfahren der EU-Kommission gegen Italien abwenden konnte. Weiteres Profil gewann Conte – auch außerhalb Italiens –, indem er sich von Salvinis rassistisch gefärbter Hasspropaganda gegen Flüchtlinge abgrenzte. Um ein paar Stimmen zu gewinnen, habe sich der Lega-Chef einseitig auf das Thema Migration eingeschossen, kritisierte der Premier seinen Innenminister unlängst auf Facebook.

Obwohl sich Conte sowohl in Brüssel als auch in Rom als Vermittler profilierte, fällt die Bilanz seiner Regierung bescheiden aus. Die massive Reduktion der Zahl der Bootsflüchtlinge wird zwar von der Mehrheit der Italiener als positiv gewertet; das Verdienst wird aber nicht Conte, sondern Salvini und seiner Politik der geschlossenen Häfen zugeschrieben. Ansonsten bleibt nicht viel Zählbares übrig, weil sich beide Regierungsparteien in fast allem uneinig waren und gegenseitig blockierten. Die populistische Koalition brachte es fertig, das Land gleich wieder in die wirtschaftliche Stagnation zu führen und die bereits horrende Staatsverschuldung weiter anwachsen zu lassen.

Folgt Conte auf Conte?

Conte hat sich nun mit einer beherzten Rede vom Parlament verabschiedet. Doch sein Rücktritt muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass es auch sein letzter Auftritt gewesen ist.

Eine in den letzten Tagen am meisten diskutierte Möglichkeit wäre eine sogenannte "Ursula-Koalition", also ein Pakt derjenigen Parteien, die die Wahl der Deutschen Ursula von der Leyen zur neuen EU-Kommissionspräsidentin unterstützt hatten. Das sind die Fünf-Sterne-Bewegung, der Partito Democratico und Silvio Berlusconis Forza Italia. Die drei Parteien würden in beiden Parlamentskammern über eine komfortable Mehrheit verfügen. (Dominik Straub aus Rom, red, 20.8.2019)