Der 78-jährige George Pell vor dem Höchstgericht von Victoria.

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"Pell ist in seinem Sessel versunken, mit gebeugtem Kopf, während Richterin Anne Ferguson eine Zusammenfassung des Falles gegen ihn liest. Der 78-jährige Gefangene sieht gebrechlich und niedergeschlagen aus. Zum ersten Mal seit dem Urteil ist sein Pokergesicht weg ist. Pell sieht zerstört aus." So berichtete die Journalistin Eliza Rugg am Mittwoch aus dem Gerichtssaal in Melbourne.

Das australische Gericht lehnte dabei eine Berufung des Kurienkardinals George Pell ab, der einst als dritthöchster Geistlicher im Vatikan bezeichnet worden war. Allerdings bestätigten nur zwei der drei Richter das Urteil vom März, als Pell wegen sexuellen Missbrauchs von zwei Chorknaben zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war. Der Kardinal dürfte den Entscheid an das höchste australische Gericht weiterziehen.

Sechs Jahre Haft

Pell war bereits im Dezember des Vorwurfs schuldig gesprochen worden, 1996 als Erzbischof in der Kathedrale von Melbourne zwei Chorknaben oral vergewaltigt und unsittlich berührt zu haben. Drei Monate später wurde er zu sechs Jahren Haft verurteilt. Gemäß dem Urteil muss er mindestens drei Jahre und acht Monate im Gefängnis bleiben, bevor er einen Antrag auf Bewährung stellen kann.

Der Vater des einen Opfers war am Mittwoch in Melbourne anwesend. Er hat eine Zivilklage gegen Pell und die katholische Kirche eingebracht. Sein Sohn war 2014 an einer Drogenüberdosis gestorben, der Vater meint, der Drogenkonsum sei eine Folge des Missbrauchs gewesen.

"Eindeutig kein Lügner"

Die beiden Richter, die Pells Berufungsantrag ablehnten, bezeichneten die Aussagen des überlebenden Opfers als glaubwürdig. Sie seien der Meinung, "dass der Kläger ein sehr stringenter Zeuge war, eindeutig kein Lügner, kein Fantast und ein Zeuge der Wahrheit". Er habe die Vorfälle nicht in übertriebenem Ausmaß beschrieben. Der dritte Richter gab vor der Bekanntgabe eine Erklärung ab, er sei mit dem Entscheid nicht einverstanden, da er nicht ausschließen könne, dass einige Aussagen des Klägers "zusammengebraut" gewesen seien.

Schon vor seiner Verurteilung im Dezember war George Pell in Australien eine umstrittene Persönlichkeit gewesen. Die Opfer anderer Priester, die vom damals ranghöchsten Katholiken des Landes Hilfe erwartet hatten, werfen ihm vor, er habe sie abweisend und emotionslos behandelt. Pell soll pädophile Kirchenoffizielle von einer Diözese in die andere geschickt haben, statt sie den Behörden zu melden. Diese Vorwürfe waren aber nicht Teil der Beweisführung im Prozess gegen Pell.

Vor seiner Verhaftung galt Pell als enger Vertrauter von Papst Franziskus. Er hielt im Vatikan die Position des "Präfekten des Wirtschaftssekretariats der Römischen Kurie" – was dem Titel eines Finanzministers gleichkommt. Der Vatikan hatte im März verlautet, mit möglichen Konsequenzen gegen Pell zu warten, bis alle Berufungsmöglichkeiten erschöpft seien. (Urs Wälterlin aus Canberra, 21.8.2019)