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Boykott damals, in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem dokumentiert. "Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht bei Juden!" steht auf einem Schild, das an einem jüdischen Geschäft angebracht ist.

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Boykott heute: Die Ziele von BDS laufen darauf hinaus, Israel das Existenzrecht abzusprechen.

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Nach dem diplomatischen Debakel um die Besuchspläne der beiden demokratischen US-Abgeordneten Ilhan Omar und Rashida Tlaib im Westjordanland und in Jerusalem schießt sich die Demokratische Partei sowohl auf den Botschafter Israels in Washington als auch auf dessen US-Kollegen in Jerusalem ein: Sie will sie als Schuldige für die gescheiterte Reise ausgemacht haben. Damit werden die diplomatischen Verwerfungen zwischen Jerusalem und den Demokraten im US-Kongress weiter verschärft.

Der Botschafter der Vereinigten Staaten in Israel, David Friedman, erklärte, die USA unterstützten die Entscheidung Israels, Omar und Tlaib wegen deren Unterstützung für die antisemitische BDS-Bewegung (Boycott, Divestment, Sanctions) die Einreise zu verweigern.

Die Demokraten werfen Friedman deswegen vor, sich gegenüber dem US-Kongress illoyal verhalten zu haben – und drohen ihm mit einer Untersuchung. Friedman erinnerte daraufhin daran, dass der Kongress BDS erst Ende Juli verurteilt habe.

Israels Botschafter Ron Dermer wiederum werde niemals wieder zu Terminen mit den US-Demokraten eingeladen werden, zitieren Medien mehrere Demokraten. Steny Hoyer, der Vorsitzende der demokratischen Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus, unterstellte Dermer, die Unwahrheit gesagt zu haben. Dermer hatte ursprünglich signalisiert, dass die beiden seit Anfang Jänner amtierenden Kongressabgeordneten Omar und Tlaib – die beiden sind die ersten Musliminnen in dieser Funktion – ihre Reise antreten könnten.

Allerdings voreilig, wie Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu später erklärte: "Als Botschafter Dermer dies sagte, gab es weder eine spezifische Anfrage noch einen Reiseplan. Als sie uns diese gaben, prüften wir sie und trafen eine Entscheidung." Und diese lautete bekanntlich: Der Reise Omars und Tlaibs werde nicht zugestimmt, da diese BDS öffentlich unterstützen.

Im vorgelegten Reiseplan – Besuche in Jerusalem und im Westjordanland, Treffen mit Palästinensern, aber keine mit offiziellen israelischen Regierungsvertretern – war die Rede von einer Reise nach "Palästina" – also in die Palästinensergebiete –, nicht jedoch von Israel. Seit 2018 untersagt Israel generell allen Aktivisten und Organisationen die Einreise, die zum Boykott des jüdischen Staates aufrufen.

Kehrtwende

Die in Detroit geborene palästinensischstämmige Tlaib stellte nach der Ablehnung durch Israel ein Ansuchen auf Familienbesuch, um ihre 90-jährige Großmutter bei Ramallah treffen zu können und versprach, auf antiisraelischen Aktivismus und Boykottaufrufe in Israel zu verzichten. Als Israels Innenminister Arje Deri diesem Ansuchen aus humanitären Gründen umgehend stattgab, wenn sie tatsächlich keinerlei politische Äußerung von sich gebe, erklärte Tlaib, ihre Oma nun doch nicht mehr besuchen zu wollen.

Als sie im November 2018 in ihrem Wahlkreis gewonnen hatte, schrieb Tlaib auf Twitter, dies gebe den Palästinensern Hoffnung, jemand würde die "Wahrheit über unmenschliche Bedingungen" sprechen. Sie könne "Israel nicht erlauben, mich zu demütigen und meine Liebe für meine Oma zu benutzen, um mich der unterdrückerischen und rassistischen Politik zu beugen".

Der Umgang mit der Affäre droht für die US-Demokraten tatsächlich zu einem langfristigen Problem zu werden. Das zerschlagene diplomatische Porzellan ist eine Hypothek für den zukünftigen Umgang mit dem wichtigsten, zuverlässigsten und einzigen demokratischen Partner der USA im Nahen Osten. Der mitunter schlampige Umgang mit antisemitischen Aussagen stellt eine dauerhafte innerparteiliche Belastung dar, die spätestens dann zum Bumerang wird, wenn der Wahlkampf 2020 um das Weiße Haus voll angelaufen sein wird.

Trump sieht "Illoyalität"

Aber auch US-Präsident Donald Trump gerät in dieser Affäre unter Druck. Er erklärte am Dienstag, Juden, die noch für die Demokraten stimmen würden, zeigten entweder einen Mangel an Wissen oder große Illoyalität.

Diese Aussage brachte ihm heftige Rügen von Vertretern der jüdischen Gemeinden in den USA ein. Diese wählen traditionell zum überwiegenden Teil die Demokraten. Illoyalität ist ein häufiger von Antisemiten geäußerter Vorwurf gegen Juden. Auch wenn Trump sich mit seinen Aussagen laufend vergreift, gibt sich die Demokratische Partei mit dem Schulterschluss mit Tlaib, Omar und Co eine Blöße.

Trump nutzt die Angelegenheit, um gegen seine neuen Lieblingsfeinde in den Reihen der Demokraten ätzen zu können: Tlaib bildet mit Omar, Alexandria Ocasio-Cortez und Ayanna Pressley die "squad" – eine Seilschaft neu in den Kongress gewählter nichtweißer, linksorientierter Demokratinnen. Diese vier stellen eine praktische Zielscheibe für Trump dar. "Sie hasst Israel und alle Juden", schrieb der Präsident über Tlaib: "Sie ist eine Antisemitin. Sie und ihre drei Freundinnen sind das neue Gesicht der Demokratischen Partei. Lebt damit!"

Tatsächlich scheint sich die demokratische Parteielite schwer damit zu tun, immer wieder auftauchende antisemitische Aussagen aus ihren Reihen klar als solche zu brandmarken und Konsequenzen zu ziehen. Besonders einige Kandidaten für den Vorwahlkampf der Präsidentschaftswahl 2020 – darunter Elizabeth Warren, Kamala Harris und Bernie Sanders – machen ihren Parteikollegen nach antisemitischen Entgleisungen die Mauer. Zu wichtig sind die Stimmen einiger Minderheiten, und in Teilen der demokratischen Parteibasis ist die als "Israel-Kritik" maskierte Geisteshaltung stark verwurzelt.

Vergleich zwischen Israel-Boykott und Nazi-Boykott

Kürzlich hatte Tlaib in einer Rede ihre Unterstützung für die BDS-Bewegung mit ihrer "Liebe zur Redefreiheit" gerechtfertigt und verglich BDS gar mit dem Boykott Nazideutschlands durch die USA. Sie war eine von nur 17 Abgeordneten, die im Juli gegen jene Resolution stimmten, mit der BDS verurteilt wurde.

BDS wurde 2005 gegründet und zielt auf eine wirtschaftliche und kulturelle Isolierung Israels. Israel wird als "Apartheidstaat" attackiert. Immer wieder werden auch nichtisraelische Juden von Aktivisten der Bewegung drangsaliert. Die Forderungen von BDS laufen darauf hinaus, Israel das Existenzrecht abzusprechen, was zumindest die Gründer der Boykottbewegung auch klar aussprechen. Allerdings finden die von BDS geforderten Wirtschaftssanktionen auch unter jüdischen Israel-Kritikern an US-Universitäten zahlreiche Anhänger.

Der Talkshowmoderator Bill Maher bezeichnete BDS am Wochenende in seiner Show "Real Time with Bill Maher" als "Bullshit-Reinheitstest für Leute, die wach wirken wollen, aber im Geschichtsunterricht geschlafen haben". Tlaib forderte daraufhin einen Boykott von Mahers Show. Maher konterte via Twitter, dass Tlaib konsequenterweise auch die 93 Prozent der demokratischen Abgeordneten boykottieren müsste, die für eine Verurteilung von BDS gestimmt hatten.

Ilhan Omar wurde im Februar für eine antisemitisch interpretierte Äußerung ("It's all about the Benjamins, baby") zwar von Parteigranden wie Hoyer und der Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi gerügt; in einer dadurch erzwungenen halbgaren Entschuldigung wiederholte sie den Vorwurf de facto jedoch.

"It's All About the Benjamins" ist ein Song des US-Rappers Puff Daddy von 1997, eine Anspielung an die Hundert-Dollar-Scheine mit dem Porträt Benjamin Franklins. Omar habe damit das klassische Stereotyp des "geldgierigen Juden" bedient und proisraelischen Politikern unterstellt, von der Israel-Lobbygruppe AIPAC bezahlt zu werden.

Omar hält ihre Agenda seither durch ähnliche Aussagen weiterhin am Köcheln und rechtfertigt diese stets als "Israel-Kritik". Überraschend kann dies für die US-Demokraten jedenfalls nicht sein. Schon 2012 postete Omar: "Israel hat die Welt hypnotisiert, möge Allah die Leute wecken und ihnen helfen, die bösen Taten Israels zu sehen."

Antitermitischer Black Supremacist

Die antisemitischen Flecken in der Demokratischen Partei sind als Problem jedenfalls nicht erst durch den Kongresseinzug Tlaibs und Omars aufgetaucht. So unterhalten seit langem einige Vertreter der Demokraten beste Beziehungen zu Louis Farrakhan, einem rabiaten Antisemiten und Chef von "Nation of Islam" – darunter die Langzeitabgeordnete Maxine Waters. Nation of Islam ist die älteste Organisation afroamerikanischer Nationalisten. Die Gruppe hat sektenhafte Züge mit einer Nähe zu Scientology und tritt für die "Black Supremacy", eine Vorherrschaft der Schwarzen, ein. Farrakhan selbst sieht sich natürlich nicht als antisemitisch: vielmehr bezeichnet er sich als "antitermitisch".

Ziemlich beste Freunde: Maxine Waters, Barbara Lee und Louis Farrakhan.
Ahmad770

Tlaib selbst schrieb bereits 2006 eine Kolumne für Farrakhans Blog "The Final Call". Ein langjähriger Unterstützer Farrakhans ist auch der Majority Whip im Repräsentantenhaus, der Fraktionsführer der Demokraten Jim Clyburn. Er erklärte auf "The Final Call", Kritik an seiner Verbindung zu Farrakhan kümmere ihn kein kleines bisschen.

Gut vernetzt ist Farrakhan auch mit den Organisatoren des sogenannten Women's March, unter anderem mit der Scharia-Anhängerin Linda Sarsour.

Diese ist selbst Mitglied bei den Demokraten und hat beste Beziehungen zu unter anderem Tlaib und Sanders. Konsequenterweise solidarisierte sich Sarsour auch mit Ilhan Omar und ihrer Unterstützung von BDS. Eine ebenso große ideologische Schnittmenge findet sich auch zwischen Vertretern der Bewegung Black Lives Matter, BDS und den Demokraten.

Distanzierung von "meiner Schwester"

Die demokratische Abgeordnete Barbara Lee distanzierte sich erst im März 2018 von Farrakhans "antisemitischen und hasserfüllten Kommentaren". Bei einem Treffen mit Waters und Farrakhan in New Orleans im Jahr 2006 nannte dieser Lee noch "meine Schwester".

Lees Distanzierung folgte erst auf eine Rücktrittsaufforderung durch eine Gruppe jüdischer Republikaner, die Republican Jewish Coalition, an sie, Waters und fünf weitere Abgeordnete der Demokraten. Antisemitismus sei inakzeptabel, erklärte die RJC. Farrakhan sei das moralische Äquivalent eines Ku-Klux-Klan-Anführers. "Wenn entdeckt würde, dass Kongressmitglieder den Chef des KKK getroffen haben, müssten sie zurücktreten."

Die Einschätzung über Farrakhan teilt auch CNN-Anchor Jake Tapper. "Der Unterschied zwischen Farrakhan und einigen Alt-Reich-Mitgliedern, deren abscheuliche Bigotterie im vergangenen Jahr viel Beachtung gefunden hat: Farrakhan hat eine viel größere Anhängerschaft, und gewählte Vertreter treffen sich offen mit ihm", schrieb der Journalist im Vorjahr auf Twitter zum Abschluss einer Serie von Posts, in denen er Farrakhans Verbindungen zu den Demokraten darlegte.

(Michael Vosatka, 22.8.2019)