Im Urlaub geht es vom Westen zurück in die südeuropäische Heimat. Die oft protzigen Autos der Heimkehrer sorgen innerhalb der Familie aber oft für Neid und Eifersucht. Vor allem im Kosovo könnten viele ohne die Hilfe der Auslandskosovaren, die vor allem in der Schweiz leben, schwer das wirtschaftliche Auskommen finden.

Adelheid Wölfl

Sie bringen Geld, Hochzeitsgeschenke, Bajramgeschenke, Weihnachtsgeschenke und Geburtstagsgeschenke. Manche zahlen für die Altersheime ihrer Eltern oder die Spitalsaufenthalte von Verwandten. Südosteuropäer, die in Mittel- oder Westeuropa leben, sorgen oft für ganze Clans in der ehemaligen Heimat. Das hat auch mit den Werten zu tun, die für sie gelten. Die Familie – und damit ist nicht die Kernfamilie gemeint, sondern alle Tanten, Onkels, Cousinen und Cousins über drei Generationen – steht in Südosteuropa an erster Stelle. Auch wegen des fehlenden Sozialsystems müssen innerhalb der Familie Geld, Besitz und Zugang zur Arbeit aufgeteilt werden.

In Bosnien-Herzegowina beliefen sich die Überweisungen der Diaspora – der Begriff bezeichnet die Existenz religiöser, nationaler, kultureller oder ethnischer Gemeinschaften in der Fremde – laut der Weltbank im Jahr 2018 auf elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In Albanien waren es 10,4 Prozent, in Montenegro elf und in Serbien 9,4 Prozent. Mit 15,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts am höchsten sind Überweisungen in den Kosovo, am niedrigsten jene nach Nordmazedonien mit nur 2,7 Prozent. Der Kosovo könnte ohne die Hilfe der Auslands-Kosovaren, die vor allem in der Schweiz leben, schwer das wirtschaftliche Auskommen finden. Doch die Abhängigkeit vom Geld der Verwandten ist nicht immer gut für die Beziehungen.

Neid und Eifersucht

Das Verhältnis zwischen der Diaspora, die in den Winter- und Sommerferien meistens nach Südosteuropa reist, ist auch von Neid, Eifersucht, jedenfalls aber vom ständigen Vergleich zwischen denen dort und denen da geprägt. Die Daheimgebliebenen haben oft das Gefühl, dass die "reichen Verwandten" im Norden ein viel besseres Leben hätten, die Diaspora selbst findet es oft ungerecht, wenn sie einfach nur aus Loyalität so viel Geld für die armen Verwandten ausgeben muss.

Es gibt zahlreiche Witze über die einen wie über die anderen. So meint man oft auf dem Balkan, dass die großen Schlitten, mit denen die Verwandten anreisen, nur gemietet seien und der Onkel eigentlich auf der Baustelle in Deutschland arbeitet, aber in der alten Heimat mit seinem angeblichen Erfolg prahlen will. Die Familienangehörigen aus der Schweiz oder Schweden wiederum scherzen über die Rückständigkeit ihrer Verwandten in der alten Heimat. Trotz allem können weder die einen noch die anderen voneinander lassen.

Ministerium, Agentur und eigener Rat

In Albanien gibt es sogar ein Ministerium für die Diaspora, das vom Ex-Premier des Landes, Pandeli Majko, geführt wird. Mittlerweile wurden auch eine Agentur für die Diaspora und ein Diaspora-Rat gegründet, in dem sich prominente Albaner im Ausland zusammenfinden. Einige von ihnen sollen auch als eine Art "Botschafter der Nation" das Image von Albanien im Ausland positiv gestalten. Vorgesehen ist, dass sich der Rat einmal im Jahr trifft.

Zum Stierkamp in Čevljanovići in Bosnien-Herzegowina kommen jedes Jahr im Sommer viele Angehörige der Diaspora. Im Rahmen der Veranstaltung wird Geld für Menschen gesammelt, die erkrankt sind und sich den Krankenhausaufenthalt nicht leisten können.
Foto: Adelheid Wölfl

Majko will auch die Zusammenarbeit mit den ausländischen Banken verbessern, um die Überweisungen unkomplizierter und billiger zu machen. Er hat aber vor allem vor, dass jene Albaner in der Diaspora, die für Investitionen und die wirtschaftliche Entwicklung in der Heimat sorgen können, die entsprechenden Strukturen und Möglichkeiten bekommen. Deshalb ist auch eine eigene Wirtschaftskammer geplant. Der albanischen Regierung geht es darum, Know-how aus dem Ausland hereinzuholen. Mithilfe eines Entwicklungsfonds werden die albanischen Verbände im Ausland vernetzt.

Mut für Engagement in der alten Heimat

Wegen des enormen Brain-Drains in den vergangenen drei Jahrzehnten will Majko zudem Diaspora-Fachkräfte ermutigen, sich in verschiedenen Projekten in der alten Heimat zu bewerben, um den Transfer von Wissen und bewährten Praktiken zu ermöglichen.

Etwa 1,4 Millionen Albaner leben nicht in ihrer Heimat – die meisten in anderen europäischen Ländern oder in den USA. Albanien selbst hat 2,8 Millionen Einwohner. Majko will, dass es nun in jeder albanischen Gemeinde ein Büro gibt, das für Diaspora-Anfragen zuständig ist. Die Bürokraten in Albanien selbst sind nämlich oft voreingenommen gegenüber den Ausgereisten und erkennen die Chancen nicht, die in einer Zusammenarbeit liegen könnten. Zu den Vorhaben von Majko gehört auch ein TV-Sender, der Kultur und Sprache zu den Ausgereisten bringen und die Verbindung auch in die nächsten Generationen erhalten soll, erzählt er dem STANDARD. Ein Verlagszentrum der Diaspora soll zudem für die Verbreitung von Literatur und Lehrbüchern zuständig sein.

Mittlerweile beschäftigen sich auch Literaten und Filmemacher mit dem Verhältnis zwischen den Südosteuropäern im Ausland und jenen in der Heimat. Bei dem Film "Take Me Somewhere Nice", der gerade beim Filmfestival in Sarajevo Premiere hatte, geht es auch um die bitteren Wahrheiten, die sich die Daheimgebliebenen und die auf Besuch Kommenden entgegenschleudern. "Du glaubst wohl nicht, dass in den Niederlanden irgendwer auf dich wartet", sagt Alma ihrem Bekannten Denis in Mostar, der Interesse an der Ausreise zeigt. "Für die bist du nur ein hungriger Ausländer mehr, den man durchfüttern muss." Ihr Cousin Emir wiederum macht ihre Illusionen zunichte, dass sich Denis tatsächlich für sie als Person interessieren könnte: "Für den bist du nur ein wandelnder Reisepass!", meint er trocken. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo und Tirana, 23.8.2019)