Im "Grauen Haus" beschäftigt sich Richter Thomas Kreuter mit Tierquälerei und Körperverletzung.

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Wien – Dass sie einen Passanten am Morgen des 18. März in Wien-Wieden gekratzt hat, gibt Nadine N. vor Richter Thomas Kreuter zerknirscht zu. Dass sie davor aber ihren Hund gequält haben soll, bestreitet die 29-Jährige mit Vehemenz: "Das ist mein Hund, ich lebe nur für sie! Ich habe sie seit eineinhalb Jahren, sie ist schwer krank, ich würde ihr nie etwas tun", beteuert die Unbescholtene.

Genau genommen war es ein Kater, der sie auf die Anklagebank gebracht hat. Am Abend zuvor war sie mit einer 20 Jahre alten Studentin fort, der Abbau des konsumierten Ethanols war beim morgendlichen Gassigehen noch nicht abgeschlossen. "Ich war betrunken", gibt N. zu, "und aufgebracht", da der Hund an der Leine nicht ganz folgte. "Ich habe ihn angeschrien, aber sicher nicht mit der Leine geschlagen, wie die Dame behauptet."

"Die Dame" ist die 24-jährige Frau K., die als Zeugin berichtet, sie sei an diesem Morgen gerade aus dem Haustor gekommen, um zur Arbeit zu gehen. "Ich habe sofort Schreierei gehört und habe gesehen, wie der Hund auf einen anderen zugelaufen ist." – "War er angeleint?", will der Richter wissen. "Nein." Zunächst sei sie weitergegangen, als sie meinte, die Misshandlung des Tieres zu sehen, habe sie auf ihrem Mobiltelefon die Polizei alarmiert und sei zurückgegangen, um auf die Beamten zu warten. "Haben Sie Frau N. gefilmt?", fragt Kreuter. "Nein, ich habe nur telefoniert."

"Wiener Streiterei" eskalierte

Die Angeklagte hatte einen anderen Eindruck, stellte die Zeugin rüde zur Rede und soll sie laut Frau K. auch geschlagen haben, was andere Zeugen aber nicht beobachtet haben. Einer von diesen ist ein Arzt, der auch gerade sein Tagwerk beginnen wollte. Er und ein weiterer Passant bestätigen, dass N.s Hund angeleint war, die Schreierei bekam der Mediziner mit. "Ich dachte mir erst, das ist eine Wiener Streiterei, heiteres Bezirksgericht, höchstens", fasst er seinen Eindruck zusammen.

Allerdings sei die Situation immer bedrohlicher geworden, weshalb er N. auf dem Boden fixierte. Dabei erwischte ihn die Tobende am Hals. Er habe "eine Kratzwunde oberhalb des Sternums" erlitten, gab er bei der Polizei zu Protokoll. Asterix-Kenner wissen spätestens seit dem Besuch des Galliers bei den Briten, was gemeint ist: das Brustbein nämlich. "Es tut mir leid, normalerweise bin ich nicht so", entschuldigt sich die Angeklagte bei ihm wie zuvor bei Frau K.

Vom Vorwurf der Tierquälerei und der versuchten Körperverletzung von Frau K. spricht Kreuter die Angeklagte schließlich frei. Übrig bleiben die Kratzer am Hals des Doktors. Auch dafür erhält die 29-Jährige keine Vorstrafe – der Richter entscheidet sich für eine Diversion, die Frau muss 80 Stunden gemeinnütziger Leistungen erbringen. Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 21.8.2019)