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War vor Jahren selbst bei einem Freiwilligenprojekt aktiv und forscht nun darüber: Andrea Freidus.

Foto: UNC at Charlotte

Voluntourismus – die Welt anschauen und einen Beitrag leisten – ist bei jungen Menschen beliebt. Klingt schön, ist aber oft auch problematisch, sagt Andrea Freidus von der University of North Carolina at Charlotte. Ich war als 21-Jähriger selbst zwei Wochen in der Schweiz in einem Flüchtlingsheim und als 27-Jähriger drei Monate in Lima, Peru, bei einem Sozialprojekt. Ein Gespräch über verzerrte Bilder und bessere Zugänge.

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Madonna auf Besuch in Malawi.
Foto: APA/AFP/AMOS GUMULIRA

STANDARD: Viele junge Menschen wollen auf Reisen die Welt retten. Sie sehen das kritisch. Warum?

Freidus: Ich habe früher selbst freiwillig bei einem Projekt in der Dominikanischen Republik gearbeitet. Das hat mir viel gebracht. Ich habe globale Ungleichheiten besser verstanden und eine andere Kultur schätzen gelernt. Deshalb bin ich Anthropologin geworden. Es hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Ich sage also nicht, dass Voluntourismus schlecht ist.

STANDARD: Aber?

Freidus: Ich habe ein Projekt in Malawi erforscht. Junge Menschen aus den USA haben dort in einem Waisenhaus gearbeitet. Ich habe selbst mitgemacht und Interviews geführt, mit Freiwilligen und mit Kindern. Die Helfer hatten kein ausreichendes Verständnis über den Ort, den sie da besuchen. Viele wussten nicht, wo es auf der Landkarte ist, und nichts über Geschichte, Kultur oder wie Familien dort funktionieren. Mein Ergebnis war, dass Vorurteile über "Afrika" in der kurzen Zeit – oft nur zwei Wochen – eher verstärkt als infrage gestellt wurden.

Falls Sie sich gefragt haben, wo Malawi liegt: hier.

STANDARD: Waisenhäuser werden zudem kritisch beäugt.

Freidus: Ja, das kommt dazu. Diese Art von Projekten sollte sofort aufhören. Wir haben in den USA aus gutem Grund keine Waisenhäuser mehr, und sie sind auch nicht die Antwort auf die Probleme des südlichen Afrika. Wer in Malawi aufgrund von HIV und Aids seine Eltern verliert, hat nicht automatisch keine Unterstützung mehr. Im Waisenhaus, das ich erforscht habe, lebten 144 Kinder. 125 davon gingen in den Ferien nach Hause.

STANDARD: Wie kann das sein?

Freidus: Es werden Waisenkinder geschaffen, die keine sind. Die Regierung in Malawi will die Waisenhäuser deshalb nicht mehr. Denn sie haben Elektrizität, Wasser, drei Mahlzeiten am Tag, Zugang zu Bildung und englischen Sprachkursen. Das ist in Malawi ein Privileg, für das Eltern bereit sind, ihre Kinder vor der Tür abzugeben und davonzulaufen. Das Leben der Kinder ist dann besser. Das ist angsteinflößend, passiert aber wirklich. Die Projekte von Freiwilligen verfestigen diese Strukturen.

STANDARD: Die Sängerin Madonna hat die Situation in Malawi mit einer Fernsehdokumentation bekannt gemacht. Eine Million Kinder seien auf sich alleine gestellt.

Freidus: Ja – und das stimmte einfach nicht. Viele Kinder haben ihre Eltern aufgrund von Aids verloren. In Malawi gibt es aber nur 50.000 Kinder, die beide Eltern verloren haben. Und die wenigsten davon sind alleine. Wenn du ein mitfühlender Spender bist, ergibt die Idee von einem Waisenhaus Sinn. Madonna hat sogar nach langen Rechtsstreitigkeiten Kinder adoptiert, die noch einen Vater und eine Großmutter hatten. Das Ganze bestärkt das Bild vom kranken, armen Afrika.

Bild nicht mehr verfügbar.

Eine Aufseherin in einem Waisenhaus in Mchinji in Malawi.
Foto: Reuters / Eldson Chagara

STANDARD: Was muss sich ändern?

Freidus: Es gibt Ideen aus der Zeit des Kolonialismus, die heute noch immer existieren. Dass Afrika zurückgeblieben ist, korrupt und krank. Wenn Freiwillige über ihre Erfahrungen reden, scheren sie Afrika über einen Kamm. Dabei ist Malawi einzigartig. Das ist aber nicht ihre Schuld, sondern der Leute, die die Reisen organisieren. Sie müssten vorher Kontext liefern. Oft gibt es das Bild, dass sich die Menschen sexuell nicht zurückhalten können. Dabei haben die Menschen in Malawi im Schnitt übers Leben weniger Sexualpartner als im Westen.

STANDARD: Was können Freiwillige besser machen?

Freidus: Ich habe auch mit Medizinstudenten geforscht, die nach Malawi gereist sind. Die Menschen vor Ort erzählen mir, dass sie Unterstützung brauchen. Malawi ist eines der ärmsten Länder der Welt. Aber wenn du als Student zwei Wochen kommst, hilfst du nicht. Du nimmst noch Ressourcen weg, weil dir alles erklärt und für dich übersetzt werden muss. Wenn du die Welt ändern willst, dann reden wir darüber, wie du das als Beruf machen kannst. Wenn du mit Kindern in Malawi arbeiten willst, schauen wir, wie du das 30 Jahre lang machen kannst.

Eine Frau gibt bei den Wahlen im Mai in der Hauptstadt Lilongwe ihre Stimme ab.
Foto: APA/AFP/GIANLUIGI GUERCIA

STANDARD: Für viele junge Menschen ist das unrealistisch. Sie wollen sich das einmal anschauen.

Freidus: Ja, und das ist okay. Man bewirkt zwar nichts in zwei Wochen, aber es kann dich verändern. Es geht darum, dass du etwas lernst. Etwa indem du in deinem Leben dann zu Hause für ärmere Menschen einstehst. Als ich selbst in der Dominikanischen Republik gearbeitet habe, habe ich noch nicht so gedacht. Die Freiwilligen, die ich interviewt habe, denken, sie retten Malawi. Das ist ein Problem. Diese Mentalität muss sich ändern. Bei den Projekten muss es um Lernen und Zuhören gehen.

STANDARD: Was soll ein junger Mensch also tun?

Freidus: Wichtig ist, die Organisation gut auszuwählen. Wenn man nicht lange Zeit hat, dann sollte zumindest die Organisation langfristig engagiert sein. Und nichts machen, was Menschen Arbeit wegnimmt. Bei einem Hausbau zu helfen ist keine gute Idee, denn das könnte auch jemand vor Ort machen und vom Lohn einen Monat lang leben. Freiwillige bringen vor allem eines mit: Privilegien. Denn ein Flug aus den USA nach Malawi kostet so viel, wie ein Mensch in Malawi in fünf Jahren verdient. Sie haben Geld und Kontakte. Wie kann man das am besten nutzen? Das ist eine Überlegung wert.

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer erscheint. (Andreas Sator, 28.8.2019)