Autorin Anna Weidenholzer schaut auf die Übersehenen.

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Schade, dass Anna Weidenholzers neuer Roman mit 210 Seiten so kurz geraten ist. Denn auf den letzten 50 kriegt er wirklich Zug. Es sind unspektakuläre und durchschnittliche Figuren, welche die Autorin bis dahin in Finde einem Schwan ein Boot beschreibt. Man kennt das von ihr, sie betrieb das nächstenliebende Geschäft bereits in den Erfolgstiteln Der Winter tut den Fischen gut und Weshalb die Herren Seesterne tragen.

Schauplatz ist ein Mehrparteienhaus in einer österreichischen Kleinstadt. Das Lebensgefühl schwankt zwischen gelangweilt und melancholisch. Als Protagonisten wohnen hier zwei Paare und einige einsame Herzen. Eingefahrenheit hat sich ihrer bemächtigt.

Da sind vor allem Elisabeth und Peter. Elisabeths Leben scheint ein einziges Warten auf ein einfühlsames Wort des Partners, der sich aber seit fünf Jahren zu patschert anstellt. Als er sie vor einem Hirschgehege umarmt, ahnt sie, jedes Mal werde sie nun "diese Umarmung spüren, wenn sie an Hirsche denkt, verstärkt im Herbst, wenn viele Gasthäuser Wildwochen haben". So herrlich sich das für uns liest: Wie lange kann sie noch notgedrungen bereits mit so wenig zufrieden sein?

Praktische Nachbarschaft

Gegenüber wohnen die Novaks: Dass Klara schlechte Torten bäckt und Heinz gerne Harmonika spielt, verdrängt man. Auch weil es so praktisch ist, trifft man sich doch jede Woche auf Wein. Gerne im nahen Café Maria. Dieses ist ein Treffpunkt der Siedlung, bloß sind die Anwohner meist alleine dort, weil sie einander gut getimt verpassen. Daher weiß man auch weniger voneinander, als man könnte, wenn man denn mehr Interesse hätte.

Etwa am alten Nachbarn Fleck, dessen Hirn und Harnblase löchrig werden. Oder an der neugierig-strengen Nachbarin mit dem vielsagenden Namen Richter. Peters emotional strapazierte Schwester Magda hat indes eine zerbrochene Jungfamilie – und einen bewohnbaren, aber sie belastenden Rohbau aus der Trennung davongetragen.

Weidenholzer bemerkt immer wieder nette und verräterische Details des Zusammenlebens, allerdings ohne daraus besonders Hellsichtiges zu spinnen. Der Titel spielt auf eine kuriose Liebesgeschichte an. Ist das ein Paarroman oder doch ein Nachbarschaftsroman? Er ist beides ein bisschen, aber nichts konsequent. Die Handlung plätschert dahin, ohne wohin zu führen.

Abzweigung erwischt

Bis sie die Abzweigung zum Gesellschaftsroman nimmt. Das hängt damit zusammen, dass beide Männer beruflich umsteigen: Der Wetterreporter Peter wird Innenpolitikjournalist, Versicherungsvertreter Heinz mit Hang zur Esoterik sattelt um auf Sicherheitswache.

Dass beide dafür jeweils nicht besonders qualifiziert sind, ist Teil der Tragik, aber befeuert die nun einsetzende Politsatire. Eine rechte Regierung schimmert am Erzählhorizont auf. Wird Heinz als Sicherheitswache "die Deutschpflicht in den Pausen überwachen, wenn sie in Kraft tritt"? Peters neue Zeitung glaubt dafür nicht an den menschen gemachten Klimawandel. "Wir bräuchten Pferde, große Tiere, um im Ernstfall schnell eingreifen zu können", sorgt er sich wegen der Ausländer im einst ruhigen Park und telefoniert Polizei und Rettung nach Zwischenfällen ab.

Als Meinungsmacher befördert Peter Fremdenfeindlichkeit, die Siedlung lässt sich anstecken. Hätte Weidenholzer sich mehr darauf eingelassen, wäre der Roman viel spannender geworden. (Michael Wurmitzer, 22.8.2019)