Gewaltanwendung gegen Verdächtige in Polizeistationen oder Gefängnisinsassen, keine oder inadäquate medizinische Versorgung von Gefangenen – immer wieder mit Todesfolge – oder willkürliche Isolationshaft.

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Im Komplex des Tora-Gefängnisses in Kairo soll es immer wieder zu Misshandlungen von Häftlingen kommen. NGOs wehrten sich erfolgreich dagegen, eine Uno-Konferenz zu Folter in Ägypten durchzuführen.
Foto: Reuters / Amr Abdallah Dalsh

Die Liste an Folter- und Misshandlungsvorwürfen gegen ägyptische Behörden im Umgang mit Inhaftierten ist lang und ließe sich problemlos fortsetzen. Trotzdem wollte das Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen (OHCHR) im September in Kairo eine Konferenz unter dem Titel "Definition und Kriminalisierung von Folter in der Gesetzgebung im Arabischen Raum" abhalten.

Eine groteske Wahl. Nachdem jedoch seit Tagen ein Sturm der Entrüstung durch die internationale und ägyptische Menschenrechtsszene schwappt, sagte das OHCHR die Konferenz kurzerhand ab. Grund dafür sei ein "wachsendes Unbehagen in Teilen der NGO-Gemeinschaft über die Ortswahl" der Veranstaltung, so OHCHR-Sprecher Rupert Colville gegenüber der ägyptischen Nachrichtenwebsite Mada Masr.

"Natürlich ist es von großem Wert, eine Konferenz, die darauf abzielt zu versuchen, Folter in einem Land (und einer breiteren Region) zu reduzieren, in einem Land abzuhalten, in dem Folter stattfindet", so Colville weiter. Es sei weniger sinnvoll, zu dem Thema in Ländern zu predigen, in denen keine Folter stattfindet. Das mag zwar stimmen, doch gibt es wenige bis gar keine Gründe zu der Annahme, dass Ägyptens Regime unter Präsident Abdel Fattah Al-Sisi auch nur ansatzweise versucht, den Folterpraktiken der Behörden Einhalt zu gebieten.

Kein politischer Wille

Auch das Kairoer Institut für Menschenrechtsstudien (CIHRS) erkennt keinen politischen Willen in Ägypten, Folter konsequent zu bekämpfen. Im Gegenteil: Ägyptische Behörden gingen derzeit sogar juristisch gegen zwei Berater vor, die an der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes zur Definition und Bekämpfung von Folter in Ägypten beteiligt waren, erklärte das CIHRS. Die ägyptische NGO Al-Nadeem, die die Anwendung von Folter durch Ägyptens Sicherheitsapparat dokumentiert und bis zu der von den Behörden erzwungenen Schließung ihrer Büros 2017 psychologische Hilfe für Folteropfer anbot, zählte seit Jänner 283 Fälle individueller und 44 Fälle kollektiver Folter. 30 Menschen seien in Haft gestorben, drei davon an den Folgen von Misshandlungen, so Al-Nadeem in einer Erklärung.

Das NGO-Netzwerk EuroMed Rights (EMR) hatte auch deshalb in einem offenen Brief an OHCHR-Chefin Michelle Bachelet die Einladung zur Teilnahme an der Konferenz abgelehnt. "Häftlinge und Gefangene werden (in Ägypten) regelmäßig in einer Form misshandelt, die Folter gleichkommt, einschließlich Elektroschocks, Schlägen, Aufhängen an Gliedmaßen und Vergewaltigung", so EMR in dem Brief. Geständnisse von Verdächtigen würden Berichten zufolge immer wieder durch Folter erlangt, Verantwortliche kaum zur Rechenschaft gezogen.

Amnesty International nicht eingeladen

Dem vorläufigen Ablaufplan der abgesagten Konferenz zufolge, der dem STANDARD vorliegt, sollten hier nicht nur OHCHR-Mitarbeiter auftreten, sondern auch ägyptische Minister und andere Staatsvertreter, die bei der Verharmlosung von Ägyptens Menschenrechtsbilanz eine Schlüsselrolle spielen.

Amnesty International sei gar nicht erst eingeladen worden, bestätigte ein Mitarbeiter der Organisation auf Anfrage. Auch das CIHRS habe nur zufällig von der geplanten Veranstaltung erfahren, sagte dessen Mitarbeiter Mohamed Zaree dem STANDARD. Er vermutet, unabhängige NGOs seien bewusst ignoriert worden. "Wir fordern die Verlegung der Konferenz in ein anderes Land. Sie sollte nicht in einem Staat stattfinden, in dem Menschenrechte systematisch missachtet werden und Folter systematisch angewandt wird", so Zaree. Das OHCHR kündigte bereits an, die Konferenz nachholen zu wollen. Vor einer finalen Entscheidung über Austragungstermin und -ort wolle man jedoch "alle relevanten Akteure" konsultieren. (Sofian Philip Naceur, 23.8.2019)