Im Gastkommentar stößt sich Historiker Paul Mychalewicz daran, dass die heimische Politik beim Festakt zum 30. Jahrestag des Paneuropäischen Picknicks mit Abwesenheit glänzte und der ORF die Rolle Österreichs und der Österreicher bei diesem historischen Ereignis unterspielte. In einem weiteren Gastkommentar fordert Goran Buldioski, die Zivilgesellschaften in Ost und West zu stärken.

Feiern ohne den Nachbarn Österreich: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Viktor Orbán am Montag in Sopron.
Foto: APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK

Man sieht und hört Nachrichten des ORF und schüttelt den Kopf über den Gleichmut, mit dem die vernachlässigten österreichischen Interessen behandelt werden. So wird in unserem Staatsmedium von einem Festakt in Sopron mit Angela Merkel und Viktor Orbán berichtet, ohne irgendeine Präsenz des offiziellen Österreich zu erwähnen. Man muss geradezu den Eindruck gewinnen, Ungarn grenze direkt an Deutschland. Der Kommentar des ORF-Korrespondenten im Mittagsjournal vom 19. August zeichnet sich durch besondere Peinlichkeit aus. Der Journalist wirkt, als hätte er den Text zum symbolischen Durchschneiden des Stacheldrahtzauns vom Juni noch einmal in die Hand gedrückt bekommen.

Imageschaden für Österreich

Wie konnte das für Österreich überaus negative Erscheinungsbild überhaupt entstehen? Die fehlende Präsenz der österreichischen Bundesregierung ist wohl auf die derzeitige Regierungskonstellation zurückzuführen. Es erscheint unvorstellbar, dass eine mit der entsprechenden Autorität ausgestattete "normale" Regierung nicht angemessen vertreten gewesen wäre. Dabei wäre wohl die Hilfe, die Österreicher insbesondere im angrenzenden Burgenland den flüchtenden DDR-Bürgern geleistet haben, gewürdigt worden.

Dass dem burgenländischen Landeshauptmann eine Teilnahme an der Festveranstaltung in Sopron – offiziell aus verkehrstechnischen Gründen – unmöglich gemacht wurde, wirkt in diesem Zusammenhang nur mehr als tragikomisches Detail. Die derzeitige Bundesregierung wird international einfach nicht für voll genommen. Es steht zu hoffen, dass den Verursachern dieser Situation inzwischen klar geworden ist, welchen Imageschaden sie für unser Land heraufbeschworen haben. Zugeben können sie diese Fehleinschätzung vor der Nationalratswahl natürlich nicht.

Mangelnde Präsenz

Ist diese mangelnde Präsenz Österreichs nicht schon ärgerlich genug, so macht die fehlende adäquate journalistische Aufbereitung in den verschiedenen Radio- und Fernsehsendungen fassungslos. Schließlich sind die Ereignisse vom August 1989 inzwischen zu gut dokumentiert, als dass sie nicht leicht recherchiert und präsentiert werden hätten können.

Tatsächlich hat Otto Habsburg als Präsident der Paneuropabewegung gemeinsam mit dem ungarischen Staatsminister Imre Pozsgay dieses Picknick ermöglicht und dafür auch die Schirmherrschaft übernommen. Können die weitverzweigten Kontakt- und Einflussmöglichkeiten Habsburgs als selbstverständlich angenommen werden, so ist auf Pozsgays Bemühungen für Veränderungen, die spätestens seit 1988 manifest wurden, besonders hinzuweisen. Politisch Interessierten galt er schon damals als Hoffnungsträger. Wenn man davon ausgehen kann, dass es im ORF ein Archiv gibt, erscheint die fehlende Erwähnung dieses Reformpolitikers unerklärlich. Schon ein Blick auf den, aufgrund der damaligen Verhältnisse, höchst einfach gestalteten Flugzettel hätte weiteres Nachlesen bewirken müssen.

Ein Flugzettel für eine heute historische Grenzüberschreitung: Das Paneuropäische Picknick an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn nutzten am 19. August 1989 rund 700 DDR-Bürger zur Flucht in den Westen.
Foto: Paul Mychalewicz

Unerwähntes Engagement

Als jemandem, der dieses Flugblatt mit den entsprechenden Erläuterungen bereits vor dem 19. August 1989 in die Hand bekommen hat, ist mir wohl die hoffnungsfrohe Erwartung einer bis dahin völlig undenkbaren Veranstaltung in Erinnerung, ohne aber die weitere Eigendynamik abschätzen zu können. Uns in Jugendorganisationen Tätigen waren wohl die organisatorischen Bemühungen vieler junger Aktivisten der Paneuropabewegung in Österreich bekannt, aber von den offensichtlich mindestens ebenso großen Anstrengungen auf ungarischer Seite erfuhren wir im Detail erst Jahre später.

Georg Habsburg, der jüngere Sohn Ottos, der auch als Sonderbotschafter Ungarns tätig war, hat bei mehreren Gelegenheiten, so auch bei einer Veranstaltung des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa in der britischen Botschaft im Jahr 2013, auf das Engagement ungarischer Aktivisten hingewiesen. Die Idee zu dem Picknick an der Grenze schreibt er konkret einer Vertreterin des Ungarischen Demokratischen Forums zu. Diese Bewegung führte als stärkste Partei nach den Wahlen 1990 die erste demokratische Regierung an. Unverständlicherweise sprach der ORF-Journalist aber von einer geringen ungarischen Beteiligung. Ohne ungarische Aktivisten hätte die Information jedoch gar nicht an die DDR-Bürger gelangen können. Wie man inzwischen weiß, wurden die Flugblätter in großer Zahl insbesondere am Plattensee verteilt.

Weitreichende Folgen

Völlig untergegangen ist in der ORF-Berichterstattung die Bedeutung des Paneuropäischen Picknicks für die weiteren Etappen, die letztlich zum Zusammenbruch des DDR-Regimes führten. Der nächste Schritt war im September die Möglichkeit für DDR-Bürger, in ihren Autos von Ungarn über Österreich in die Bundesrepublik Deutschland zu gelangen. Wesentlich erleichtert wurde dies durch die Kooperation österreichischer Behörden und die Hilfe vieler Privatpersonen.

Damit stellt sich die Frage, warum die durchaus positive Beteiligung vieler Österreicher an einem welthistorischen Ereignis in Organisationen oder als Privatpersonen so geflissentlich verschwiegen wird. Passen sie vielleicht am Küniglberg und in der Argentinierstraße irgendjemandem – in Zeiten wie diesen – nicht ins politische Konzept? (Paul Mychalewicz, 23.8.2019)