Die ÖVP fühlt sich in der Wahlorientierungshilfe wahlkabine.at falsch dargestellt. Auch Antworten von FPÖ und SPÖ wurden gedreht.

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Seit einer Woche ist die Wahlorientierungshilfe wahlkabine.at online, der Umgang der Plattform mit den Antworten der Parteien sorgt nun für Ärger.

Wer auf der Website 26 Fragen beantwortet, sieht in der Auflösung, mit welcher Partei es die meisten Übereinstimmungen gibt. Jede einzelne wurde vorab den Parteien zur Beantwortung vorgelegt. Politikwissenschafter und Journalisten arbeiten an dem Projekt mit, entwickeln die Fragen und überprüfen die Antworten der Parteien auf ihre Plausibilität.

Die ÖVP kritisiert nun die Vorgangsweise der Wahlkabine-Redaktion. In drei Fällen hat die Partei eigentlich mit Ja geantwortet. Nach einer Prüfung der Positionierung der Volkspartei in den letzten Jahren und Monaten übernahm das Team von wahlkabine.at jedoch nicht die übermittelten Antworten und drehte auf Nein.

"Trotz ausführlicher Begründung und mehrmaliger schriftlicher und mündlicher Aufforderung wurde dem Ersuchen auf Änderung nicht entsprochen", heißt es aus der Volkspartei. "Wahlkabine prüft tatsächliche politische Arbeit und nicht Parteipropaganda", entgegnet wahlkabine.at. Obwohl eigentlich eine gute Kommunikationsbasis mit den Parteien herrsche, würden sich bei dieser Ausgabe Parteien weigern, die Rechercheergebnisse von beteiligten Journalisten und Politikwissenschaftern zu akzeptieren. Konkret geht es um die Fragen 11, 16 und 18.

Taten statt Worte

Auf Anfrage des STANDARD erklärt die Sprecherin der Wahlkabine, dass sich die Methodik der Plattform und ihre Qualitätssicherung seit 17 Jahren bewährt hätten. Um als Orientierungshilfe zu fungieren, müsse man nicht nur die Kommunikation der Parteien im Auge behalten, sondern auch deren tatsächliches Handeln. "Dadurch wird sichergestellt, dass wahlkabine.at nicht als Kommunikationskanal für Parteipositionen benutzt wird, um Agenda-Setting zu betreiben, sondern ein Tool der politischen Bildung und Information bleibt", gibt die Plattform auf ihrer Homepage bekannt. Konkret bedeutet das, dass die Redaktion die Antworten der Parteien mit dem Abstimmungsverhalten oder Redebeiträgen im Nationalrat und Aussagen in Medien abgleicht. In den Ausführungen zur Methodik auf der Homepage der Plattform wird die Möglichkeit einer Antwortänderung jedenfalls klar ausgeschildert.

Dennoch übt nicht nur die ÖVP Kritik, auch viele Nutzer wünschen sich, dass eine Änderung der Antworten zumindest transparent gemacht wird. Auf Twitter äußert sich außerdem der Erfinder der Schweizer Wahlorientierungshilfe, Antonio Hurtado Alvarado, kritisch. Er spricht sich dafür aus, Unstimmigkeiten im Antwortverhalten aufzuzeigen, die Parteiantworten aber nicht einfach abzuändern.

Die konkrete Position einer Partei zu bestimmen sei schwierig, erklärt Laurenz Ennser-Jedenastik auf Twitter. Er ist Politikwissenschafter an der Universität Wien, STANDARD-Blogger und Mitglied der Wahlkabine-Redaktion. In der Partei selbst hätten nicht alle Akteure oder Unterorganisationen dieselbe Position. Dann gebe es oft einen Unterschied zwischen dem, was Parteien kommunizieren, und ihrem tatsächlichen Abstimmungsverhalten. Auch die Prioritätensetzung kommt ins Spiel. Die ÖVP hat sich in der Koalition zum Beispiel gegen einen strikteren Nichtraucherschutz gestellt, die FPÖ hat ihre Position in der Ceta-Frage verändert.

Widersprüchliche Aussagen

Unzufrieden ist die ÖVP etwa mit ihrer Antwort auf Frage 11: "Soll der Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung auch außerhalb der Arbeitswelt gelten?" Laut wahlkabine.at ist die Antwort der ÖVP Nein. Die Wahlkabine-Redaktion drehte die Antwort, weil die ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler sich in einem Redebeitrag am 21. November 2018 gegen ein solches Levelling-up aussprach. Die ÖVP widerspricht in ihrer aktuellen Aussendung. Man sei gegen jede Art von Diskriminierung, so der Kommentar der Partei. Nachsatz: "Gleichzeitig darf eine Ausweitung des Diskriminierungsschutzes nicht zur drastischen Einschränkung der Vertragsfreiheit und Privatautonomie jedes Einzelnen führen, zum Beispiel bei der Vermietung einer Wohnung."

Abweichendes Abstimmungsverhalten

Kritik gibt es auch an Frage 16: "Soll das Amtsgeheimnis zugunsten eines Informationsfreiheitsgesetzes abgeschafft werden?" Laut Wahlkabine lautet die Antwort der ÖVP auf diese Frage Nein. Die Antwortdrehung wird in diesem Fall damit begründet, dass die ÖVP Anträge von Neos, Jetzt und SPÖ nach Bruch der Koalition im Ausschuss vertagt, also de facto begraben habe. Die ÖVP gibt im nebenstehenden Kommentar jedoch an, sie habe sich stets für die Abschaffung des Amtsgeheimnisses ausgesprochen und setze sich auch weiterhin für eine größtmögliche Transparenz des Staates ein.

Letztlich herrscht noch bei Frage 18 Uneinigkeit, die da lautet: "Soll der Rechnungshof alle Parteifinanzen prüfen und Strafen verhängen dürfen?" Ein Nein gibt es auf diese Frage laut Wahlkabine von der ÖVP. Sie selbst gibt im Kommentar dazu an: "Transparenz über den Umgang der Parteien mit dem Geld der Steuerzahler ist wichtig für das Vertrauen in Politik und Demokratie. Durch Kontrollrechte des Rechnungshofs können zudem Schlupflöcher wie Umgehungskonstruktionen über parteinahe Vereine besser bekämpft werden."

Auch hier hat die ÖVP noch im Juli gegen einen entsprechenden Antrag von Neos und Jetzt gestimmt.

Korrekturen bei FPÖ und SPÖ

Nicht nur bei der ÖVP wurden Antworten gedreht, auch bei FPÖ und SPÖ gab es Änderungen. Die Freiheitlichen haben bei der Frage "Sollen Internetforen verpflichtet werden, die Klarnamen aller NutzerInnen zu erfassen und herauszugeben?" mit Nein geantwortet. Wahlkabine.at hat auf Ja gedreht. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde noch im April von der ÖVP-FPÖ-Koalition im Nationalrat befürwortet.

Bei der SPÖ passierte Selbiges mit der Frage "Soll eine unabhängige Behörde zur Untersuchung von Polizeiübergriffen eingerichtet werden?". Die Wahlkabine-Redaktion begründete ihre Änderung damit, dass noch im Juni gegen einen entsprechenden Entschließungsantrag im Nationalrat gestimmt wurde.

Noch eine andere Unstimmigkeit gibt es in Bezug auf die SPÖ-Beantwortung. Beim Wahlkabine-Fragebogen sprach sich die SPÖ noch für eine CO2-Steuer aus. Mittlerweile hat sie ihre Meinung geändert. (Franziska Windisch, 23.8.2019)