Oliver Noelting liegt im Plan, und das ist wichtig. Denn der Plan, den der 30-Jährige vor drei Jahren aufgestellt hat, dreht sich zwar um Zahlen, um Ausgaben, Einnahmen und Sparquoten – aber im Grunde geht es um mehr. Es geht um die Art, wie Noelting leben will.

Noelting ist der bekannteste deutsche Vertreter eines Lebensstils, der Frugalismus genannt wird. Der Begriff kommt aus dem Englischen, "frugal" bedeutet so viel wie "einfach" oder "genügsam". Der Lebensstil der Frugalisten wird oft mit den Worten "Viel sparen, damit man möglichst früh in Pension gehen kann" zusammengefasst. Im Selbstverständnis der Frugalisten dreht es sich aber mehr um Begriffe wie Unabhängigkeit, Glück oder Abkehr vom Materialismus. Auf frugalisten.de, dem größten Treffpunkt der Szene im deutschsprachigen Raum, geht es inhaltlich um Sparsamkeit. Das Motto ist aber "Reicher leben".

Oliver und Joana wollen mit 40 aussteigen. Dafür leben der Softwareentwickler und die Grafikdesignerin nach einem ausgetüftelten Sparplan.
Foto: Oliver Noelting

Noelting, der die Website betreibt, ist ein freundlicher Norddeutscher, der sich am Telefon mit einem energischen "Moin!" meldet. Spricht man mit ihm, wird die seltsame Doppelgleisigkeit der Bewegung deutlich: Man redet viel über Geld, damit es im Leben weniger um Geld gehen kann. Von außen betrachtet assoziiert man Frugalisten mit Einschränkung, sie selbst betonen eher die Möglichkeiten.

"Finanzielle Freiheit ist für mich ein Mittel, ein möglichst gutes Leben zu führen", sagt Noelting. In der westlichen Welt würde Glück sehr oft mit Geldausgeben gleichgesetzt, Frugalismus würde das entkoppeln: Ein glückliches Leben sei auch mit einfachen Mitteln möglich. Es gehe um eine Umstellung im Kopf. "Materieller Konsum macht mich nicht glücklich", sagt Noelting. "Glücklich machen mich andere Dinge: Zeit mit Freunden und der Familie, Sport, meine Komfortzone zu erweitern."

Masterplan zum Ausstieg

Der Frugalismus-Trend entstand vor knapp einem Jahrzehnt in den USA, mitten in der Finanzkrise. Aussteiger, die nach einem einfachen, genügsamen Leben suchen, hat es immer gegeben. Neu ist, dass es eine Szene gibt, die sich im Internet mit Tipps vernetzt – und dass Sparen und die Geldanlage in den Plänen der Aussteiger eine zentrale Rolle spielen.

Es gibt ein paar Begriffe, die in der Szene sehr wichtig sind: "financial independence" zum Beispiel, finanzielle Unabhängigkeit, oder FIRE ("financial independence, retire early"). Eine ganze Reihe von englischsprachigen Blogs beschäftigt sich mit dem Thema: "Mr. Money Mustache" des Kanadiers Peter Adeney oder "Frugalwoods", das von einem Ehepaar in Vermont betrieben wird und mehr die praktische, direkte und persönliche Seite des Ganzen zeigt – etwa wie man keine Lebensmittel mehr verschwendet oder auch ohne viel Spielzeug die Kinder bei Laune hält.

Der persönliche Lebensstil der Mitglieder kann durchaus variieren, von reiner Ausgabenkürzung bis zu einem hohen Level an DIY-Projekten wie der Herstellung der eigenen Seife. Die Reichweite der Themen in den Sparforen wirkt auf Außenstehende bisweilen absurd ("Reifenwechsel selber machen"; "Gesichts- und Körperrasur, laufende Kosten"), aber die Frugalisten bewerten dort gegenseitig auch ihre Portfolios und sprechen über die Renditechancen von Edelmetallen. Deutschland ist neben den USA ein Zentrum der Bewegung. Im von 5.500 Usern abonnierten Facebook-Forum von Oliver Noelting tummeln sich aber auch Österreicher, genaue Zahlen gibt es nicht.

Funktioniert das Sparmodell auch mit Familie? Ja, sagt Noelting. Er will seiner Tochter beibringen, wie viel Glück im Einfachen liegt.
Foto: Oliver Noelting

Frugalisten brauchen einen Masterplan. Der von Oliver Noelting lässt sich auf seiner Website mit konkreten Zahlen transparent nachvollziehen. Mit 40 Jahren will er in Pension gehen. Dafür gibt er aktuell nur etwa ein Drittel seines Nettogehalts aus, etwa 800 Euro pro Monat. Den Rest investiert er. An seinem 40. Geburtstag möchte er bei einem Vermögen von etwas über 400.000 Euro stehen. Laut Noeltings Plan müsste er dann nie wieder arbeiten, weil die Zinsen seinen einfachen Lebensstil für den Rest seiner Zeit abdecken würden. In den Feinheiten ist es ein bisschen komplizierter (Frugalisten rechnen zum Beispiel damit, mit jedem Jahr ein bisschen mehr ausgeben zu müssen), aber das Grundprinzip ist relativ simpel. Laut seinem Plan sollte Noelting mit 30 Jahren ein Vermögen von 101.733 Euro haben, mit 101.300 Euro liegt er im Soll.

Kleine Wohung, wenig Ausgehen

Noelting ist kein unsozialer Weirdo, dem man auf 100 Meter Entfernung ansieht, dass er die Annehmlichkeiten des modernen Lebens ablehnt. Er arbeitet aktuell 24 Stunden die Woche als Softwareentwickler, hat Dinge wie Haftpflicht- und Unfallversicherung. Seine Freundin Joana ist Grafikdesignerin. Acht Jahre lang teilten sich die beiden verschiedene WG-Zimmer, mittlerweile wohnen sie auf knapp 45 Quadratmetern in Hannover. Und das ist vielleicht ein gutes Beispiel, an dem man sehen kann, wie der Frugalismus bei Noelting funktioniert: Andere Menschen würden sich gemeinsam mehr Platz leisten, wenn sie das Geld dafür hätten. Oliver und Joana nicht. Sie zahlen dafür eben nur 288 Euro pro Person, alles inklusive.

Das ist auch das Bild, das sich durchzieht, wenn man die anderen Ausgaben auf Noeltings Website durchgeht. Das Paar verzichtet auf wenig komplett, aber sonst passiert in ihrem Leben eben alles günstig oder selten. 51 Euro im Monat für "Partys, Kneipe, Disco", 13 Euro für "Eintrittsgelder, Kino", 104 Euro für "Lebensmitteleinkäufe", 22 Euro für "Elektrogeräte". Anschaffungen werden über Ebay erledigt. Dieser Lebensstil ist nicht unmöglich, aber man muss es schon wirklich wollen.

Hobbys müssen nicht teuer sein, ein Skateboard reicht auch.
Foto: Oliver Noelting

Diese Zahlenspielereien zeigen: Frugalismus ist nichts für Menschen, die etwas gegen konsequente Planungen haben. Das heißt nicht, dass sich nichts verändern darf: Oliver und Joana haben mittlerweile eine Tochter. Für den Plan ist das kein Problem, die zusätzlichen Kosten sind einkalkuliert. Wer schon vor einem Baby genügsam gelebt habe, den werfe auch ein Baby nicht aus der Bahn. Außerdem habe er mehr Zeit für sein Kind, weil er nicht müde aus dem Büro komme, um den SUV zu finanzieren, sagt Noelting.

Einfach, aber nicht unerfüllt

Trotzdem ist es eine Tatsache, dass Frugalismus vor allem dann funktioniert, wenn man im Leben von den ganz großen Schicksalsschlägen verschont bleibt.

Frugalisten stoßen gelegentlich auf Ablehnung, weil andere Menschen ihre Genügsamkeit als moralische Attacke auf ihren eigenen Lebensstil empfinden können. Noelting hat so etwas bisher nur im Netz erfahren, im persönlichen Umgang würden die Leute eigentlich eher neutral bis positiv reagieren. Er sei aber auch niemand, der jeden Cent dreimal umdrehe. Wenn er etwas wirklich haben wolle, kaufe er es. Und tatsächlich wirkt Noeltings transparentes Leben einfach, aber nicht unerfüllt. Er hat eine Freundin, Familie, ein Dach über dem Kopf und war im Sommer segeln auf der Ostsee.

Jeder Plan hat ein Ziel, auf das man hinarbeitet. Das ist bei den Frugalisten nicht anders. Wie wird Noeltings Leben ausschauen, wenn er 40 plus ist? Was wird sich für ihn ändern, wenn alles aufgeht, wie er sich das vorgestellt hat? "Ich glaube gar nicht so viel. Ich werde dann sicher kein Angestellter mehr sein", sagt er. "Aber ich habe viele Hobbys, Familie und Projekte, für die ich dann hoffentlich noch mehr Zeit haben werde." (24.8.2019)