Seit 1970 hat die Bevölkerung Österreichs um 1,4 Millionen Menschen zugenommen. Die Zahl der zugelassenen Pkws wuchs in der gleichen Zeit um rund 3,8 Millionen: Insgesamt gibt es derzeit fast fünf Millionen Pkws in Österreich. 23.709 Menschen wurden 2018 bei Unfällen mit Pkws verletzt, 181 in Pkws getötet.

409 Menschen kamen insgesamt im Verkehr ums Leben, die Statistik Austria zählt dabei u. a. auch Fußgängerinnen (47) und Radfahrer (41), es ist allerdings dabei nicht ausgewiesen, an wie vielen dieser Todesfälle Pkws beteiligt waren. Jeder dritte Neuwagen in Österreich ist ein SUV; ein Fahrzeug, das Fußgänger und vor allem Kinder durch seine Größe und sein Gewicht überdurchschnittlich gefährdet und wesentlich mehr CO2 emittiert.

Autos brauchen allein in Wien mehr als zwölf Millionen Quadratmeter Platz. Österreichs Straßenverkehr sorgt für die dritthöchsten CO2-Emissionen der EU.

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Foto: Frank Robert

Car-Shame

Ich kann so viele Argumente gegen das Auto aufzählen, so wütend über SUVs schimpfen, so viele Einwände gegen den Autoverkehr und Autofahrer vorbringen und gegen eine Verkehrsplanung, die Autos immer und immer und immer in den Mittelpunkt stellt, dass ich manchmal vergesse, dass ich selbst ein Auto besitze. Ich bin eine Radfahrerin, ganzjährig, in letzter Zeit eine zusehends politisch-missionarische, eine polymobile mit einer Wiener-Linien-Jahresnetzkarte, und einer ÖBB-Vorteilscard, die, speziell beruflich, mit dem Zug fährt, wo immer man mit dem Zug (und Bussen) hinkommt. Dieser Text zum Beispiel wird gerade in einem Abteil der ÖBB verfasst, auf dem Weg zu zwei Lesungen in Vorarlberg und Tirol. Ich benutze das Auto meist nur, wenn es gar nicht anders geht.

Und es geht oft gar nicht anders, wenn man neben der Stadtwohnung unbedingt auch noch eine Hütte auf dem Land braucht. Ja, Luxusproblem für mich, aber existenziell für alle, die zum Arbeiten vom Umland nach Wien hereinpendeln. Und da findet ja gerade auch eine Debatte statt, zu der nicht zuletzt Sibylle Hamann, jetzt bei den Grünen, auf Twitter feststellte, es werde immer so getan, als "sei es schicksal, dass es in vielen regionen keine öffis gibt! Das hat ja jemand zu verantworten! Und das kann man ändern!"

Ja, das wäre schön. Solange sich das nicht ändert, brauche ich ein Auto, denn ich nebenwohnsitze in einer mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr schlecht erschlossenen Gegend. Der nächste Bahnhof ist fast 20 Kilometer entfernt, es fährt kein Bus in den Ort. Mein Auto verstellt in der Stadt etwa acht Quadratmeter Platz, ich habe deswegen ein schlechtes Gewissen. Car-Shame, existiert der Begriff schon? Existiert, ich habe nachgesehen, und ich habe Car-Shame, weil mein Auto Platz verstellt, auf dem man zehn Fahrräder parken könnte, auf dem drei Schanigartentische stehen könnten, oder eine Parkbank oder ein Baum.

Von null auf hundert

Oder es könnte dort ein ordentlicher Fahrradstreifen sein, nicht so ein schmales Muss-halt-sein-Streiferl, das Radlerinnen auf der einen Seite direkt an parkende Autos drängt, deren Türen unmittelbar vor ihnen jederzeit aufgehen können, und auf der anderen Seite an stets zu knapp vorbeifahrende Autos: Weil die österreichische Straßenverkehrsordnung trotz all der von Autos getöteten Radfahrerinnen noch immer keinen Mindestabstand vorschreibt.

Wie erwähnt, ich gehe jederzeit in Sekunden von null auf hundert wegen der selbstverständlichen Ungerechtigkeit, mit der im Wien den klima- und gesundheitsschädigenden, raumfressenden, gefährlichen Pkws immer noch Vorrang eingeräumt wird vor der umweltfreundlichen, geräusch- und abgasfreien, platzsparenden und gesundheitsfördernden Fortbewegung mit dem Rad. Man geht in Wien sogar so weit, dass man täglich zulässt, dass Radfahrerinnen von der Polizei im Rahmen von Fahrradplanquadraten schikaniert werden, unter anderem ist es an der Tagesordnung, dass Radfahrer um acht Uhr früh auf dem Weg zur Arbeit für Alkoholtests angehalten werden.

Die Schuldfrage

Mir soll mal jemand genau erklären, warum – wenn nicht ausschließlich zu dem Zweck, den Wienerinnen das Alltagsradeln zu vergällen und dem wachsenden Radverkehrsanteil auf diese Weise zu begegnen. Quasi das Gegenteil von Copenhagenizing: Man verfällt als Radfahrerin in Wien in hemmungsloses Schluchzen, wenn man das einmal googelt. Im Winter, wenn ich nicht so oft aufs Land fahre, steht das Auto überhaupt nur herum. Ich fahre damit nicht zum Einkaufen.

Ich habe ein Fahrrad mit einem großen Korb hinten auf dem Gepäckträger, ich kaufe alles, was ich brauche, mit dem Fahrrad ein, meistens auch die Sachen, die ich auf dem Land brauche: Ich radle zum Markt, kaufe dort Gemüse und, jetzt nicht mehr so oft, Fleisch beim Fleischhauer, radle damit zu meinem Auto, packe die Sachen in den Kofferraum und fahre sie aufs Land, wo es in meiner Umgebung auch keinen einzigen Laden mehr gibt, das nächste Geschäft ist sieben Kilometer entfernt. Manchmal mache ich auf dem Weg einen Abstecher zu einem Supermarkt, einem Baumarkt oder in den regionalen Bauernladen.

Ich tue jetzt einmal das, wozu Expertinnen immer wieder auffordern: nicht den einzelnen Konsumenten verantwortlich zu machen, sondern die große Politik, und in diesem Fall ist das korrekt. Ich fuhr kürzlich in der Schweiz herum, da braucht man fast nie ein Auto, man kommt in jedes kleinste Kaff öffentlich, zügig und pünktlich. In Österreich braucht man eins, wenn man auf dem Land wohnt, fast überall. (Doris Knecht, 24.8.2019)

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