Die Band T(r)opic setzte auf harte Breaks und die gute alte freie Improvisation. Selbige war heuer in Saalfelden dominant.

Foto: Matthias Heschl

Der eine oder andere Herr, der auf der Toilette Erleichterung sucht, dürfte sich wundern. Ein Mann mit Kontrabass beehrt die Bequemlichkeiten des Saalfeldener Congresses und hat eine Instrumentalkollegin an seiner Seite. Lukas Kranzelbinder gibt mit Beate Wiesinger ein kurzes, nettes Spontankonzert an diesem Ort seiner Wahl. Flashmob ist das Motto der Aktion.

Was etwas komisch riecht, symbolisiert im Kleinen wohl die eventartigen Ambitionen des Jazzfestivals, das nun 40 wurde. Es will die Stadt mit neuen Räumen zum Pulsieren bringen, sie zum Gratissupermarkt des Kreativen formen: Vor dem Congress rumort es bei der City Stage, wo die wunderbare Stimme von Golnar Shahyar aufzuschnappen ist.

Intimität im Zwiegespräch

Bisweilen tönt es aber auch in Park, auf der Alm, im Nexus, im Bezirksgericht, im Schlossmuseum und in einer Buchbinderei. Orte, an denen Maja Osojnik und Lukas König anzutreffen sind – als Artists in Residence. So mancher fragt schon leicht besorgt, ob die räumliche Ausdehnung nicht zu inhaltlicher Erschlaffung auf der Hauptbühne führen kann, wobei: Tolle Duos gibt es nicht nur am angeblich stillen Ort. Auch im zentralen Congress lässt sich Intimität im Zwiegespräch herstellen.

Bassist Manu Mayr und Susanna Gartmayer (Bassklarinette) parlieren in winzigen Tonregungen, eratmen und erklopfen sich Ideen mittels avancierter Spielarten. Mit repetitiven Reminiszenzen an die Minimal Music entwickelt das Duo dahinschwebende Klangräume, die in einer Art Präludium (ohne Fuge) münden. Mit insis tivem Arpeggioeinsatz schickt Mayr das Ohr auf eine idyllische Reise, die es in dieser Konsequenz später nicht mehr geben sollte.

Reizvolle Unmittelbarkeit

Saalfelden erweckt heuer signifikant oft die guten alten Freejazz-Geister zum Leben. Mitunter sind diese in karibische Fröhlichkeit verpackt, aus der die improvisierte Freiheit (bei Koma Saxo) wie ein Alien ausbricht. Bisweilen geht es – wie beim Projekt "Noise of our Time" – ohne Umschweife in höchster Zornestemperatur zur Sache: Mit seinem eröffnenden Solo reiht sich Saxofonist Ken Vandermark zwar später diszipliniert in schnittige Post-Bebop-Themen ein, die dem Schwung einer Marching Band weichen. Am Klavier lauert jedoch Silvie Courvosier, die mit herzhaften Clustern kollektive Selbstentäußerungen einläutet.

Solch freitonaler Zugang ist seit Jahrzehnten – und in Saalfelden – bekannt. Einerseits hat er Überraschungsflair eingebüßt. Wird dieser Ursound der Freiheit andererseits von Intensität zusammengehalten wie später auch bei der Band T(r)opic rund um Gitarrist Julien Desprez, ist zumindest reizvolle Unmittelbarkeit garantiert. T(r)opic setzen auf Dauerespressivo mit hammerartigen Breaks. Da die Combo über ausreichend Ausdauer verfügt, die Wut aufrechtzuerhalten, wähnt sich das Ohr im Inneren eines Perpetuum mobile, in dem auch Saxofonist James Brandon Lewis aufgefallen wäre.

Kontrapunktische Gruppenkräfte

Die stilistische Basis seines Projekts "An unruly Manifesto" ist eher im afrojazzigen Wurzelbereich angesiedelt. Die riffbasierte Ekstase mündet jedoch auch bei ihm in heftiger Dekonstruktion. Es klingt nach produktivem Dauerstress, nach Jazz, der in ein Energy-Drink-Fass gefallen ist.

Christian Muthspiels neues Projekt, das Orjazztra Vienna, beschert nur zu Beginn Sekunden solch kontrollierten Chaos. Es bleibt ein elegant strukturiertes Kollektiv, das dem jeweiligen Solisten rücksichtsvoll Raum gewährt. Den vielen Monologen stehen begleitende Big-Band-Normalität und elegische Klangstrukturen zur Seite. Da und dort bäumen sich die Stücke zu komplexen, raffinierten Bläsereinwürfe auf. Sie zeigen, zu welche kompositorischer Raffinesse im Sinne kontrapunktischer Gruppenkräfte der dirigierende Muthspiel fähig ist.

Mehr solch munterer Episoden würden dem Orjazztra Individualität verleihen. Gerne auch wieder in Saalfelden unter dem Motto "Work in Progress", das ja inhaltlich auch für ein den aktuellen Strömungen verpflichtetes Festival gelten sollte. Schützt vor Verzetteln und Erstarrung. (Ljubiša Tošić, 25.8.2019)