Tallinn, 24. April 2019: Präsidentin Kersti Kaljulaid gelobt die Regierung an.

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EU-Abgeordneter Jaak Madison sorgte mit seiner auf Deutsch vorgetragenen Forderung nach einer "endgültigen Lösung" der Migrationskrise für Aufregung.

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Tallinn – Estlands Regierungschef Jüri Ratas muss sich auf Antrag der Opposition einem Misstrauensvotum stellen. Parlamentspräsident Henn Põlluaas (EKRE) berief für Freitag eine außerordentliche Sitzung ein. Initiiert wurde das Misstrauensvotum von der oppositionellen Reformpartei.

"Estland hat eine Regierung, die seit ihrem Amtsantritt verschiedene Gruppen in der Gesellschaft attackiert und den sozialen Zusammenhalt aufhebt. Wir haben eine Regierung, die Estlands internationalem Ruf schadet und deren inkompetente Minister die Grenzen ihrer Autorität überschreiten – Minister, denen Rechtsstaatlichkeit nichts bedeutet", heißt es in dem von 44 Abgeordneten eingebrachten Antrag.

EKRE-Minister wollten Polizeichef feuern

In Estland hatte es zuvor eine Kontroverse über den fehlgeschlagenen Versuch zweier Minister der rechtspopulistischen Partei EKRE gegeben, Elmar Vaher, den Leiter der Polizei- und Grenzschutzbehörde, wegen eines angeblichen Vertrauensverlusts aus dem Amt zu drängen – ohne das Wissen und die notwendige Zustimmung der Regierung. Trotz heftiger Kritik der Opposition und von Staatschefin Kersti Kaljulaid hielt Ratas an den Ministern und seinem Koalitionspartner fest.

Dauerkrise

Die EU- und zuwanderungskritische EKRE (Estnische Konservative Volkspartei) gehört seit dem Rechtsruck bei der Parlamentswahl im Frühjahr der Regierung an, die sich seither in einer Art Dauerkrise befindet – es häufen sich Skandale und Negativschlagzeilen. Ratas muss fast wöchentlich Ausfälle von Politikern der Protestpartei geraderücken.

Ratas hatte zu Beginn seiner Amtszeit im Frühjahr nach heftiger Kritik an EKRE ein klares Bekenntnis zur EU abgegeben. Estland habe sich zu 100 Prozent der EU verschrieben. Er könne sich nicht vorstellen, an der Spitze einer Regierung zu stehen, die sich von der EU abwende. Allerdings ist sein Koalitionspartner sowohl EU- als auch zuwanderungskritisch. Auf EU-Ebene gehört Ratas Zentrumspartei den Liberalen (Alde) an.

"Endgültige Lösung" der Migrationsfrage

Anfang August hatte indes der rechtsextreme Europaabgeordnete Jaak Madison von der EKRE auf Facebook, in deutscher Sprache, eine "endgültige Lösung" der Migrationsfrage gefordert. Als die "endgültige Lösung der Judenfrage" bezeichneten die Nazis den Mord an Millionen von ihnen als Juden definierten Personen, der Ausdruck steht wörtlich in einer "Denkschrift" an die Dienststellen des Reichssicherheitshauptamts vom 21. Jänner 1941. Er wolle keine Konzentrationslager und keinen Holocaust, sondern lediglich eine definitive Lösung für die "Migrationskrise, die Europa, seine Geschichte und Kultur" zerstöre, sagte Madison später.

Um den Ministerpräsidenten mit einem Misstrauensvotum aus dem Amt zu drängen, ist in Estland eine einfache Mehrheit nötig. Das Bündnis von Ratas' linksgerichteter Zentrumspartei mit EKRE und der konservativen Isamaa hält 56 der 101 Sitze. (red, APA, dpa, 27.8.2019)