Foto: Nintendo
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Nintendo ist wohl jener Schuster, der am vehementesten und hartnäckigsten bei seinen Leisten bleibt. Nostalgie steht da sicher irgendwo in großen Lettern im Konzern geschrieben, never change a winning team haben wohl einige Mitarbeiter am Unterarm tätowiert. Umso überraschender kam es, gemeinsam mit Platinum Games, verantwortlich für die Bayonetta-Serie und Nier: Automata, ein neues Franchise gebären zu wollen. Astral Chain schlägt genau eine Brücke: Nintendos Zugänglichkeit und die Essenzen der Entwicklerstudio-Games bilden mit Astral Chain (Nintendo Switch, UVP 59,99 Euro) ein flottes, flashiges, aber seltsames Potpourri, dessen Geruch man nicht wirklich entziffern kann und einen zuweilen die Nase rümpfen lässt.

In Astral Chain übernimmt man die Rolle eines Jung-Offiziers bei der Polizei-Spezialeinheit Neuron, dessen Aufgabe es ist, die Menschheit vor der Auslöschung zu bewahren. Chimären, irgendetwas zwischen Aliens, Monstern und Alienmonstern, verschleppen die Menschen in eine andere Dimension. An die Seite gestellt – oder besser gesagt, gekettet – bekommt man die Legion, eine gezähmte, abgerichtete Version einer Chimäre. Das intergalaktische Pokémon hängt an der titelgebenden Astralkette und unterstützt den Spieler im Kampf ums blanke Überleben.

Trailer zu "Astral Chain".
Nintendo

Angekettete Kämpfe

Diese Kämpfe sind auch der Hauptfokus von Astral Chain. Im Grunde ist jede Mission im Spiel nach dem gleichen dreiteiligen Schema aufgebaut: Zuerst spricht man im Hauptquartier mit anderen Charakteren, bessert seine Fähigkeiten auf und lässt sich heilen. Dann wird man zu einem Tatort – ein Monster hat angegriffen – gerufen und muss den Tathergang durch Befragungen, Spurensuche und Erkundung rekonstruieren und schlussendlich kommt es zu einem Kampf gegen imposante Chimären. Im spezifischen Zwillingskampfsystem steuert man zwei Charaktere: die menschliche Hauptfigur und die Legion. Man vollführt Ketten- und Sprungattacken, oder fesselt Feinde mit der Astral-Kette zu Boden, um diese besser attackieren zu können. Man selbst besitzt Schuss- und Schlagwaffen, während die Legionen – fünf verschiedene stehen einem nach kurzer Zeit zur Seite –, zu Schwert, Bogen oder purer Muskelkraft greifen. So ist es wichtig zu erkennen, ob man einen Feind von der Distanz aus mit Pfeilen attackieren sollte, oder ob man eine Chimäre auf einem überdimensionierten Space-Wolf attackiert.

Der Fokus auf Action statt Adventure ist aber nur oberflächlich: Genügend Erkundungstouren und Rätselpassagen stehen in Astral Chain zur Verfügung. Besonders die Dimension der Chimären dient im Game quasi als klassische Dungeons mit Schalterrätseln, Zwischengegnern und einem gewaltigen Endgegner. "Zelda" lässt also grüßen.

Was ist gelungen?

Dass Astral Chain als Gesamtpaket funktioniert, ist Nintendo zu verdanken. Die Zugänglichkeit hebt das Game von Schwesternspielen wie Bayonetta ab, die ganz klar Hardcore-Gamer ansprechen. Das Kampfsystem ist derart vereinfacht, dass es reicht, den immer gleichen Angriffs-Button zu drücken. Die Legion steuert sich und greift von selbst an, für Kombis muss man dann doch mehrere Knöpfe drücken.

Dazu kommt, dass das Spiel im Leicht-Modus startet und dann je nach Wunsch auf eine höhere Schwierigkeitsstufe gesetzt werden kann. Aber selbst dann kann man von den Kämpfen nicht gerade als Herausforderung sprechen. Inflationär verteilte Heilitems und lebensspendende Überbleibsel besiegter Gegner sorgen dafür, nie Gefahr zu laufen, von den Chimären zu Tode massakriert zu werden. Komplizierte Komboangriffe gibt es de facto auch keine, was die Zugangsschwelle zu Astral Chain sehr niedrig hält.

Das Zwillingskampfsystem lässt einen mehrere Feinde gleichzeitig bekämpfen.
Foto: Nintendo

Was ist weniger gelungen?

Die Story und Figuren erfüllen jedes Klischee eines Action-Films. Man hat natürlich die weltenrettende Hauptfigur, den toughen Vater, der sich opfert, den mysteriösen Chef der Organisation, den Sidekick – der bizarrerweise in einem Hunde-Kostüm steckt – und die Kolleginnen und Kollegen, die, naja, zu viel reden. Das Aufbauschema der Handlung ist nach der fünften oder sechsten Mission auch etwas fad. Wenigstens gibt es Abwechslung, wenn man Verletzte aus der U-Bahn retten muss – nein, nicht vor dem Gestank in der U6 –, Graffiti-Sprayer zur Rechenschaft zieht und ja, Katzen adoptiert. Und Dosen wegwirft – ernsthaft! Dass neben den Kämpfen ein gewisser Fokus auf Exploration und World-Building liegt, ist ja ganz nett, aber die erkundbaren Gebiete sind entweder frustrierend linear, oder – wenn man sich in der Astralebene befindet – unglaublich trostlos. Dazu kommen die unzähligen Dialoge mit den Nebencharakteren, die man am liebsten skippen möchte. So wie bei jemanden, der zu viele Insta-Storys postet.

Haken tut es auch am prominenten Kampfsystem. Das muss auf Kosten der Niederschwelligkeit einiges an Finesse einbüßen. Wirkliches Kampftalent braucht man in "Astral Chain" nicht. Dazu kommt die Steuerung, die in Kampfsituationen die Kamera in unpraktische Winkel verfrachtet – das passiert, wenn man die Legion lenken muss. Das ist vor allem frustrierend, wenn man von einer Horde an Chimären attackiert wird. Ein weitere Aspekt ist, dass die Fähigkeiten der Legionen nicht wirklich genutzt werden. Man wechselt zwar zwischen den fünf Legionen hin und her, doch das geschieht vor allem in Situationen, in denen man Rätsel lösen oder Hindernisse überwinden muss. Die erste und stärkste Legion, die Schwert-Legion, kam im Test in 95 Prozent aller Fälle zum Einsatz – und dabei hat man die Möglichkeit auf einem Wolf zu reiten! Nur als Beispiel: Die Pfeil-Legion, gut auf Distanz, ist ziemlich unpraktisch in Nahkämpfen – und viele der Auseinandersetzungen finden aber in einem, sagen wir mal so, intimen Rahmen statt.

Foto: Nintendo

Fazit

Astral Chain ist eine Hot Mess. Es ist ein Sado-Maso-Monster-Spektakel mit überbordenden Alienschlachten, Abenteuer-Elementen wie in den Rosenheim Cops und einer für Nintendo typischen Zugänglichkeit. Ein Space-"Pokémon", wenn man so will. Das Game ist in Teilen grotesk konfus, das Design der Figuren und der Legionen futuristisch überhöht.

Doch nicht alles ist so verführerisch, wie der Titel verspricht. Das Kampfsystem ist fast schon zu einfach gestaltet, die Investigativ-Elemente dazwischen schwanken zwischen erfrischender Ablenkung und schleppender Hinauszögerung der Handlung, und das eigentliche Alleinstellungsmerkmal – der Kampf mit den Legionen – ist zu facettenlos. Astral Chain ist wie ein generischer Actionfilm: Er unterhält, er ist imposant, er ist laut – und er ist plump. (Kevin Recher, 30.8.2019)