Ein Restaurant in einem Einkaufszentrum, mit reichen Russen im Hintergrund, angeschlossen an eine semivirtuelle Kinderspielewelt mit Alice-im-Wunderland-Thema: Das klingt aufs Erste nicht nach einem Ort, an dem man sich im Vollbesitz seines freien Willens niederlassen würde.

Aber dann kommt alles ganz anders: Das Happy Rabbit in der Mall beim Bahnhof Landstraße ist von den international erfolgreichen St.-Corona-Innenarchitekten mit viel Samt, Messing und Marmor sehr retrokuschelig gestaltet worden, die Russen sind gastronomisch versierte Unternehmer, die Preisgestaltung der Speisekarte ist mehr als zivilisiert. Und der Koch versteigt sich zur Abwechslung einmal nicht in kreativ gemeinten Selbstfindungsversuchen, sondern versteht sich auf nuancierte Würzung und hat merkbar Freude daran, seine Gäste mit einer Batterie global kompatibler Lieblingsgerichte zu verwöhnen.

Im Einkaufszentrum Wien-Mitte wurde ein ziemlich hübsches, bemerkenswert gut bekochtes Restaurant eröffnet.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Märchenhafter Überfluss

Okay, die Speisekarte ist mit italienisch, orientalisch, asiatisch und russisch inspirierten Positionen so groß geraten, dass man sie gleich einmal hinüber zu Alice ins Wunderland schicken möchte, zum Schrumpfen nämlich. Aber die Betreiber Irina und Lazar Safaniev kommen eben aus Moskau (wo sie noch zwei Restaurants besitzen), dort wird die Qualität eines Lokals ganz wesentlich am märchenhaften Überfluss festgemacht, den die Karte gefälligst in Bauchladenmanier auszubreiten hat.

Aber schön der Reihe nach. Die Safanievs haben drei Kinder, ein viertes ist unterwegs. Gemütlich essen gehen ist da eher kein Thema. So entstand die Idee, ein aufwendig gestaltetes Restaurant mit einem Unterhaltungsangebot für Kinder zwischen vier und zwölf Jahren zu kombinieren. Die semivirtuelle Alice-im-Wunderland-Spielewelt samt Animateurinnen läuft in Moskau bereits seit Jahren mit Erfolg, also wurde eine Lizenz gekauft.

Den Koch macht Sebastian Neuschler, der zuvor in seiner Marktlücke (jetzt das köstliche Nguyen's im Karmeliterviertel) gezeigt hat, wie gut er sich auf austromediterrane Küche versteht. Im Happy Rabbit durfte er sich eine prächtige, halboffene Küche gestalten, da wurlt es nur so vor Köchen. Beim Service könnte hingegen noch nachgeschärft werden: Die freundlichen Damen und Herren irren derweil recht unbeholfen durchs halbleere Lokal und wissen nicht immer, was sie den Gästen gerade an den Tisch bringen.

Kuddelmuddel

Dabei gibt es auf der monströsen Karte wirklich feine Dinge zu entdecken. Paradeisersalat in köstlich zartem Dressing zum Beispiel, mit cremiger (ausnahmsweise einmal nicht kühlschrankkalter) Burrata und einer Nocke Basilikumsorbet von schockierend dichter Aromatik. Oder innen schmelzige, außen knusprige Melanzani mit süßsaurem Chilidressing und frischen Kräutern, richtig gut.

Beim Sommersalat mit eingelegtem Radi, gegrilltem Pfirsich, Sesam, Ingwer, Kokos und, abermals, einem Schüppel köstlicher Kräuter zeigt Neuschler, wie schwungvolles Abschmecken geht.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Mit Wildschwein gefüllte Ravioli (eines von sechs Pastagerichten, Pizza gibt es auch ...) werden mit Erbsencreme und zarten Saubohnen kombiniert, auch gut – al dente hätten sie halt sein sollen. Die Entenbrust ist dafür souverän gegrillt, die Kombination mit Artischockencreme, gegrillten Artischocken und Orangensauce stimmig.

Die georgischen Käse-Knusperfladen Chatschapuri sind so knusprig, fett und geil, wie sie sein müssen. Borschtsch gibt es auch, ein dichtes Kompendium aus allerhand roten Rüben, geschmorter Ente und feiner Säure mit knusprigem Roggenbrot und Lardo einerseits, einem Tiegel Smetana andererseits – viel Glück jedem, der das als Vorspeise ordert. Hinterher soll es der geeiste Pfirsich mit Walnusseis, knusprigem Keksboden und Honigcreme sein – nicht nur, weil die Beeren-Pavlova leider viel zu süß gerät. (Severin Corti, RONDO, 30.8.2019)

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