Peter Pilz zeigt sich bereit dazuzulernen, "auch beim respektvollen Umgang nicht nur mit Frauen".

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Peter Pilz macht's lieber allein: Während Spitzenpolitiker zu Interviews üblicherweise Mediensprecher mitbringen, tritt der 65-Jährige solo an. Der ausgeprägte Individualismus trägt nicht nur zum Nimbus des Medienstars bei, sondern bescherte ihm auch Zank in den eigenen Reihen – mit katastrophalen Umfragewerten für seine Partei als Folge. Doch Selbstzweifel plagen Pilz selten: Er rechnet unverdrossen mit dem Wiedereinzug in den Nationalrat – und träumt von einem Umsturz der Mehrheitsverhältnisse binnen fünf Jahren.

STANDARD: Politik ist die Kunst, unterschiedliche Interessen auf einen Nenner zu bringen. Warum sollen die Bürger einen Kandidaten wählen, der dabei in der eigenen Partei kolossal gescheitert ist?

Pilz: Warum gescheitert?

STANDARD: Von sieben Mandataren kehren Ihnen fünf den Rücken, man sagt Ihnen Egotrips und Eigenmächtigkeiten nach.

Pilz: Das wird mir mein ganzes politisches Leben vorgeworfen – doch gleichzeitig sehnen sich alle nach starken Persönlichkeiten, die frei entscheiden. Redet irgendwer vom Egotrip des Sebastian Kurz? Das ist ein Mensch, der die ÖVP Stück für Stück in eine Sekte verwandelt, als ob sich dort Scientology breitgemacht hat. Aber ja: Wir haben gestritten und etliche schwere Fehler begangen. Mich erinnert all das an die ersten Jahre bei den Grünen. Das sind Gründungsturbulenzen, von den ich mir keine einzige gewünscht habe, die aber dazugehören.

STANDARD: Im Gegensatz zu damals sind Sie doch kein Anfänger mehr. Was lief falsch?

Pilz: Wir haben verkannt, dass wir nicht nur Plattform für Einzelkämpfer sein können, sondern mehr Gemeinsames brauchen – eine Partei, ein Programm. Trotzdem war unsere Liste die erfolgreichste Opposition im Nationalrat. Wir haben den BVT-Untersuchungsausschuss durchgesetzt, die Valorisierung des Pflegegeldes, die Schließung des saudi-arabischen Abdullah-Zentrums und natürlich die Absetzung des Bundeskanzlers.

STANDARD: War die Demontage des Kanzlers nicht bloß wirkungsloses Getöse? Sie selbst sagen: Kurz wird sicher wieder Regierungschef.

Pilz: So etwas bricht nicht an einem Tag. Kurz ist ein Teflonpolitiker, der nur das Eigeninteresse im Auge hat, eine Propagandamaschine der Extraklasse – ein Karl-Heinz Grasser, den anstelle des Geldes nur Macht und Ämter interessieren. Die Absetzung war der erste tiefe Kratzer in der Teflonschicht, seither macht Kurz einen Fehler nach dem anderen.

STANDARD: Die guten Umfragewerte der ÖVP belegen das nicht.

Pilz: Das Hochglanzprojekt Kurz fault von innen heraus. Es braucht seine Zeit, bis die Fäule an die Oberfläche dringt. Ich halte es für möglich, die Mehrheiten innerhalb einer Legislaturperiode zu drehen. Dazu brauchen wir jetzt einen Gegenpol. Was ist die Alternative? Die ÖVP will Innenministerium und Verfassungsschutz übernehmen, die Justiz gleichschalten, über dubiose Investoren wie René Benko, Krone, Kurier und andere Medien übernehmen, den ORF stutzen, bis kaum etwas übrigbleibt. Kurz ist der Viktor Orbán Österreichs – und einer Kaste neuer Oligarchen verpflichtet. Wir müssen verhindern, dass sich die Minderheit der Reichsten die Mehrheit der Gesetzgebung kauft. ÖVP, Neos und FPÖ bringen politische Gegenleistungen für ihre Spender: Sie setzen den Zwölfstundentag durch, die 60-Stunden-Woche und, und, und.

Die Reichsten schafften an, kritisiert Pilz: "Der Name Kurz über einer Regierung ist eine Garantie für Korruption"
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STANDARD: Eine politische Linie mit Parteispenden zu unterstützen heißt noch nicht, sich konkrete Gesetze kaufen zu können. Genauso gut könnte man unterstellen, Ihr Ex-Mitstreiter Alfred Noll habe mit seiner Großspende an die Liste Pilz irgendwelche Vorteile für seine Anwaltskanzlei erschleichen wollen. Fänden Sie das redlich?

Pilz: Alfred Noll hat nie versucht, auch nur ein einziges Gesetz zu seinem eigenen Nutzen zu beeinflussen. Wenn jemand sein Geld ganz öffentlich für die eigene Kandidatur verwendet, ist das etwas ganz anderes. Die Frage ist immer: Gibt's eine Gegenleistung?

STANDARD: Der Bautycoon Hans Peter Haselsteiner etwa spendet seit Jahrzehnten Geld, erst für das LiF, dann für Neos, dazwischen für Van der Bellen. Gesetz hat er kein einziges bekommen, weil die Empfänger nie in der Regierung saßen.

Pilz: Haselsteiner hat profitiert, indem nie eine Vermögenssteuer eingeführt wurde.

STANDARD: Er hat doch selbst eine gefordert, etwa im STANDARD.

Pilz: Nein. In der Regel überweisen Investoren dorthin, wo rauskommt, was sie sich vorstellen – das ist ja keine Überraschung. Ein Industrieller wie KTM-Chef Stefan Pierer hat dank der Senkung der Unfallversicherungsbeiträge für Arbeitgeber eine Rendite von 1000 Prozent auf seine Wahlkampfspende für Kurz bekommen. Der Name Kurz über einer Regierung ist eine Garantie für Korruption – egal ob ein blaues, pinkes oder grünes Beiwagerl mitfährt. Wir sind die einzige verlässliche Kontrolle und Opposition.

STANDARD: Einst waren Sie selbst für grüne Regierungsverhandlungen mit der ÖVP, damals unter dem auch nicht gerade linksliberalen Wolfgang Schüssel. Warum diskreditieren Sie heute Parteien, die gestalten wollen, als Beiwagerl?

Pilz: Mir geht es überhaupt nicht um Diskreditierung. Ich wünsche mir sogar, dass die Grünen in die Regierung gehen, weil dann wenigstens irgendetwas gegen den Klimawandel getan wird.

STANDARD: Gleichzeitig werfen Sie den Grünen aber prophylaktisch einen Kniefall vor der ÖVP vor. Nicht sehr fair.

Pilz: Wenn die Grünen mitregieren, wird der grüne Schweif wohl eher nicht mit dem türkisen Hund wedeln. Doch den Grünen könnte aus staatspolitischer Räson gar nichts anderes übrigbleiben, als mit ÖVP und Neos eine Koalition zu bilden, weil sonst Ibiza II mit der FPÖ droht. In diesem Fall dürfen wir die Opposition nicht der Rechten überlassen. Sonst drohen bei der Wahl darauf ein Erdrutschsieg der FPÖ und eine rechte Zweidrittelmehrheit.

STANDARD: Sie selbst wollen partout nicht regieren. Warum haben Sie dann überhaupt ein Wahlprogramm geschrieben?

Pilz: Regieren ist für mich schon ein Ziel, aber nicht mit dem Baby-Trump. Wenn zwischen Kurz und seine Koalitionspartner kein Blatt Papier geht, dann passt zwischen Kurz und mich eine ganze Enzyklopädie. Aber mit präziser Politik lässt sich auch aus der Opposition heraus einiges durchsetzen.

STANDARD: Sie konkurrieren mit Ihrer Expartei um dieselben Wähler. Haben Sie einen ernsthaften Versuch erwogen, doch mit den Grünen gemeinsam anzutreten?

Pilz: Nein. Wir gehen mittlerweile völlig unterschiedliche Wege.

STANDARD: Da ist schon vieles deckungsgleich. Bei den Grünen haben Sie oft die Flüchtlingspolitik kritisiert, doch die Liste Pilz hat die gleiche Linie gefahren. Warum?

Pilz: Die Linie war überhaupt nicht die gleiche. Von meinem Leitsatz – die Richtigen hierbehalten, die Richtigen abschieben – unterschreiben die Grünen den zweiten Teil bis heute nicht. Ein anderes Beispiel: Endlich konnte ich realisieren, was ich den Grünen immer vergeblich vorgeschlagen habe. Mit zackzack.at haben wir ein bierzelttaugliches Onlinemedium gegründet, um das ich ein linkspopulistisches Medienhaus aufbauen will. Ich bin überzeugt, dass einfache Leut' nicht genetisch rechtsextrem, sondern auch von Linken überzeugbar sind. Wir treten in Konkurrenz zu rechten Medien wie "Alles roger?" oder "Info-Direkt" – und gewinnen diesen Wettbewerb schon jetzt.

"Ich bin überzeugt, dass einfache Leut' nicht genetisch rechtsextrem sind": Pilz will die Umpolung mit einem linkspopulistischen Medienhaus schaffen.
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STANDARD: Sind dabei auch die üblichen Verschwörungstheorien legitim? "Zack zack" stellt die STANDARD-Innenpolitikredaktion etwa als "sektiererische" Agitatoren der Grünen dar.

Pilz: So scharf haben die das formuliert? Ich sage es so: Auffällig ist im STANDARD das extreme Schwanken zwischen Zuneigung und Abneigung gegenüber bestimmten politischen Projekten. Aber warum darf "Zack zack" kein anderes Medium kritisieren? Im STANDARD erscheinen ja auch Kommentare, man solle an der Liste Pilz besser nicht anstreifen.

STANDARD: Nach der Wahl 2017 warfen uns Grüne vor, wir hätten den Pilz rauf und die Grünen niedergeschrieben. Kann es sein, dass sehr kritische Politiker mitunter auch sehr dünnhäutig sind?

Pilz: Bei dem, was ich in den letzten Jahren erlebt habe, deutet einiges darauf hin, dass ich eine eher dicke Haut habe.

STANDARD: Apropos: Sie nennen die Vorwürfe, dass Sie Frauen sexuell belästigt hätten, heute Rufmord. Als Sie vor eineinhalb Jahren temporär zurücktraten, sprachen Sie aber davon, dass Männer wie Sie ihr Verhalten gegenüber Frauen überdenken müssten, es tue Ihnen leid. Was tat Ihnen leid, wenn an allem nichts dran ist?

Pilz: Ich war politisch nie besonders korrekt. Aber ich bin bereit dazuzulernen, auch beim respektvollen Umgang nicht nur mit Frauen, sondern mit allen Menschen. Mein Rückzug vom Mandat, bis die Justiz alles widerlegt hatte, sollte ein Signal sein, dass ich mit derartigen Vorwürfen sensibel umgehe. Ein Eingeständnis persönlicher Schuld war das nie, denn die Anschuldigungen sind falsch. Die Staatsanwältin hat zum Schluss sogar auf meine Einvernahme verzichtet. Es hat keine offenen Fragen mehr gegeben.

STANDARD: Was tun Sie, wenn Sie bei der Wahl, worauf alle Umfragen hindeuten, scheitern?

Pilz: Der Wahlkampf beginnt gerade, und um die fehlenden knapp zwei Prozent kämpfe ich gerne. Aber wenn es nicht geht: mit meiner Frau in den Süden fahren. Völlig planlos. (Gerald John, 30.8.2019)