Weil er aus einem Auto auf einen andere Pkw-Lenker schoss, wurde im Landesgericht Korneuburg ein 29-Jähriger verurteilt.

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Korneuburg – Ein 29-Jähriger ist am Mittwoch am Landesgericht Korneuburg zu elf Jahren Haft wegen versuchten Mordes verurteilt worden, weil er aus dem fahrenden Auto auf einen Pkw-Lenker geschossen hatte. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Grund für den Schuss war ein Streit über ein Überholmanöver. Das Projektil wurde abgeleitet und blieb im der Gummidichtung der Scheiben stecken, es gab keine Toten oder Verletzten.

Die "Niederösterreichischen Nachrichten" berichteten, der Angeklagte habe argumentiert, er sei damals beruflich und privat "unter Strom gestanden". Deshalb habe er getrunken und Drogen konsumiert. "Auf der Rückfahrt nach Stranzendorf hat mich dann noch der Lenker provoziert. Erst verursachte dieser fast eine Kollision während meines Überholmanövers, dann zeigt er mir noch den Vogel und betätigt die Lichthupe", so der Angeklagte.

Tathergang: "Ich war einfach ein Vollidiot"

Der Vorfall hatte sich am Vormittag des 27. Mai zugetragen. Der bisher unbescholtene 29-Jährige war auf der zweispurigen Weinviertler Schnellstraße (S3) unterwegs, als er zum Überholen eines Lkw und des Pkw des späteren Opfers ansetzte. Der 55-Jährige hatte gerade dasselbe vor, weswegen sich die beiden gegenseitig wild gestikulierend von Auto zu Auto beschimpften. "Er hat mir einen Vogel gezeigt und ich ihm", sagte der 29-Jährige zum Vorsitzenden des Geschworenengerichts, Helmut Neumar.

Als beide den Lkw überholt hatten, positionierte der junge Mann sein Auto bei voller Fahrt neben jenem des 55-Jährigen. Aus der Mittelkonsole holte er eine Pistole der Marke Steyr, Modell Pieper, mit einem Kaliber von 6,35 Millimeter, öffnete das Beifahrerfenster, repetierte und schoss. "Ich hab' deppert abgedrückt", meinte der ehemalige Berufssoldat, der von Anwalt Werner Tomanek verteidigt wurde. "Ich hab' rübergeschossen, aber nicht auf ihn gezielt." Und fügte hinzu: "Ich war einfach ein Vollidiot."

Waffe des Großvaters

Die Waffe hatte der 29-Jährige von seinem verstorbenen Großvater und kurz zuvor von der Wohnung seiner Oma geholt, weil er sie bei einer Schießveranstaltung mit historischen Waffen verwenden wollte. Die Pistole war aufgrund ihres geringen Gewichts und ihrer Handlichkeit eine beliebte Offizierswaffe. Der 29-Jährige hatte eine Waffenbesitzkarte und hatte zudem eine Pistole der Marke Beretta zu Hause verwahrt.

Dass das Projektil nicht die Scheibe durchschlug und den 55-Jährigen verletzte, war Zufall. Es kam zu einer Überlagerung der Munition, das führte zu einer großen Streuung der Geschoßgeschwindigkeit, sagte der Schießsachverständige Ingo Wieser vor Gericht. Das Projektil wurde abgeleitet und blieb in der Gummidichtung des Fensters stecken. Wieser hatte das bei Tests festgestellt. Bei vier Schussversuchen mit der Pistole auf Pkw-Scheiben wurden dreimal glatte Durchschüsse erzielt, einmal wurde das Projektil ebenfalls abgeleitet. Dennoch wäre laut Gutachter ein solcher Schuss geeignet gewesen, eine Scheibe zu durchschlagen. Ein Kaliber 6,35 Millimeter könne bis zu 18 Zentimeter tief in den menschlichen Körper eindringen.

Opfer berichtet, er könne nicht mehr alleine Auto fahren

Markierungen am Auto des Opfers zeigten, dass das Projektil auf Höhe des Kopfes abprallte. "Bei dem Mann sind alle Schutzengel mitgefahren, die möglich sind", sagte der Staatsanwalt in seinem Eröffnungsplädoyer. Der 55-Jährige zeigte sich vor Gericht schwer traumatisiert. Unter Tränen und immer wieder stockend berichtete er, dass er bis heute nicht alleine mit dem Auto fahren kann, er habe ständig "das Gefühl der Angst und Hilflosigkeit". Er befindet sich seitdem in Psychotherapie.

Für den 55-Jährigen wäre die Auseinandersetzung bereits erledigt gewesen, als er merkte, dass der 29-Jährige mit seinem Auto plötzlich die Geschwindigkeit verringerte und neben ihm fuhr. Der Lenker dachte zunächst, der junge Mann wolle ihn schneiden, als er sah, dass er eine Pistole in der Hand hielt und auf ihn zielte. "Das Bizarre war, dass er ganz ruhig und konzentriert war", sagte der 55-Jährige. Er sah die Waffe, die ausgestreckte Hand und die auf ihn gerichteten Augen des Schützen. Plötzlich hörte er einen lauten Knall, und seine Ohren begannen zu klingeln. "Ich dachte, ich wär' getroffen, und hab' in den Rückspiegel geschaut, ob ich verletzt bin."

In Todesangst sei er weitergefahren. "Ich wollte nicht stehen bleiben, ich hab' gedacht, er erschießt mich." Die alarmierte Polizei glaubte dem 55-Jährigen zunächst nicht und dachte an einen Steinschlag, bis das Projektil in der Gummiabdichtung gefunden wurde.

Kurze Zeit später wurde der 29-Jährige festgenommen. Als er von Polizisten aufgehalten wurde, versuchte er noch die Waffe im Kofferraum in einem Brillenetui und weiters in einem Plastiksackerl zu verstecken. Die Patronen konnte er sogar noch während der Amtshandlung wegwerfen.

1.000 Euro Schmerzensgeld

Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung erbaten drei Tage Bedenkzeit. Die Geschworenen plädierten einstimmig für den angeklagten Mordversuch. Eventualfragen nach einer versuchten schweren Körperverletzung sowie gefährlicher Drohung entfielen dadurch.

Mildernd wurde der bisher ordentliche Lebenswandel bewertet, dass es beim Versuch geblieben ist und dass der Beschuldigte einen Beitrag zur Wahrheitsfindung geleistet hat. Erschwerend waren die rücksichtslose Tatbegehung aus nichtigem Anlass sowie der Waffengebrauch. Dem traumatisierten Opfer wurden 1.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. (red. APA, 28.8.2019)