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Erwies sich als überraschend standfest: Giuseppe Conte.

Foto: AP/Schreiber

Tagelang hatten sie um Posten und Einfluss gestritten, doch am Mittwochabend konnten der Partito Democratico (PD) und die Fünf Sterne den Durchbruch verkünden: Die zahlenmäßig stärkste und die drittstärkste Partei im Parlament haben sich bei Staatspräsident Sergio Mattarella für eine neue, gemeinsame Regierungskoalition ausgesprochen. Die Verhandlungen waren vom Staatsoberhaupt veranlasst worden, nachdem Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini die bisherige Regierung hatte platzen lassen und Giuseppe Conte als Regierungschef zurückgetreten war. Laut italienischen Medienberichten beabsichtigt Mattarella, Conte bereits Mittwochabend oder spätestens am Donnerstagvormittag mit einem neuen Auftrag zur Bildung einer Regierung auszustatten.

Der alte und wahrscheinlich neue Regierungschef Italiens verkörpert sämtliche Konflikte, die auf die neue gelb-rote Regierung zukommen könnten – aber zugleich auch alle Chancen. Contes zentrales Problem wird darin bestehen, dass er zwei Koalitionspartner wird bändigen müssen, die sich bis vor wenigen Tagen erbittert bekämpft hatten. Die Grillini und Sozialdemokraten beleidigten sich gegenseitig als "pidioti" (Wortkombination von PD und Idioten) beziehungsweise als "grullini" (von "grullo" = Schafskopf). Das im Laufe von Jahren kultivierte gegenseitige Misstrauen abzubauen wird für Conte die entscheidende Herausforderung sein. Meistert er sie nicht, wird seine zweite Regierung wahrscheinlich von noch kürzerer Dauer sein als seine erste.

Erstaunliche Metamorphose

Conte hat, zumindest bei vielen linken Wählern, außerdem ein Glaubwürdigkeitsproblem: Der 55-jährige Jurist und Professor hatte sich bei seinem Amtsantritt vor 14 Monaten als "avvocato del popolo" (Anwalt des Volks) angepriesen – doch in Wahrheit war er in erster Linie der willige Ausführungsgehilfe seines rechtsradikalen Innenministers Matteo Salvini gewesen: Conte hatte noch einen Tag vor dem "Verrat" des Lega-Chefs dessen zweites Anti-Migranten-Paket unterzeichnet, trotz erheblichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes. Und der gleiche Conte soll nun mit den Linken regieren und mit ihnen als erste Amtshandlung ebendieses Dekret wieder annullieren? Vielen PD-Wähler erscheint dies als etwas zu viel des Opportunismus.

Andererseits hat der 55-jährige Süditaliener aus Apulien in den letzten Monaten eine erstaunliche Metamorphose durchlaufen und sich, je heftiger sich die beiden bisherigen Koalitionspartner Lega und Fünf Sterne zerstritten, von diesen emanzipiert. Und mit seinem denkwürdigen Auftritt im Senat vom 20. August, als er mit Salvini abrechnete und danach zurücktrat, hat er sich selbst bei den erbittertsten Kritikern Respekt verschafft. Er hielt dem Lega-Chef vor, seine eigenen Interessen vor jene des Landes gestellt und Italien international isoliert zu haben; außerdem attestierte er Salvini "einen Mangel an institutioneller Kultur" und autoritäre Tendenzen. All das hat Conte zwar etwas spät gemerkt – aber immerhin.

Ansehen auf internationalem Parkett

Die größten Trümpfe des überzeugten Europäers Conte sind aber das Ansehen und das Vertrauen, die er auf dem internationalen Parkett erlangt hat. Das geht weit über das Wohlwollen von US-Präsident Donald Trump hinaus, der seinem "Freund Giuseppi" (sic!) nach dem G7-Gipfel von Biarritz wünschte, er möge Ministerpräsident Italiens bleiben. Mit seiner Opposition gegen Salvinis ruinöse Steuersenkungspläne hat er auch seine europäischen Partner überzeugt – allen voran Angela Merkel und Emmanuel Macron – und zweimal ein drohendes Defizitverfahren der EU-Kommission gegen sein Land abwenden können. Als bekennender Anhänger des italienischen Volksheiligen Padre Pio genießt der alte und neue Premier auch die Sympathien der einflussreichen italienischen Bischofskonferenz und des vatikanischen Staatssekretariats. Einen gewissen Vorschusskredit hat Conte auch bei den Unternehmern und den Gewerkschaften.

Das alles würde – bei allen berechtigten Zweifeln angesichts der politischen und vor allem auch kulturellen Unterschiede der beiden Regierungspartner – eine tragfähige Grundlage für eine neue gelb-rote Regierung bilden. Ein Stolperstein könnte allerdings noch die Forderung des bisherigen Vizepremiers und Fünf-Sterne-Politikchefs Di Maio darstellen, wonach die gemeinsame Regierung nächste Woche in einer internen Internetabstimmung von der Basis genehmigt werden müsse. Die Forderung ist aber selbst innerhalb der Protestbewegung umstritten: "Die Bildung der Regierung von einem Votum auf einer privaten Plattform abhängig zu machen, die keinerlei Garantie bezüglich Transparenz gewährt, ist absurd", betonte die Fünf-Sterne-Abgeordnete Flora Frate. Und sie ist mit ihrer Meinung nicht allein. Auch Staatspräsident Mattarella wird in dieser Sache wohl noch ein Wort mitreden. (Dominik Straub aus Rom, 28.8.2019)