Bekleckert mit den spät, aber nicht zu spät aufgetauten Herzensergießungen einer Schauspielerin, hat Sebastian Kurz nun also seinen Intensivwahlkampf im Zeichen der Freiheit zum Anpatzen eröffnet. Ob die Mitwelt der Mimin daraus die Kränze flicht, mit denen er sein gedankenschweres Haupt zu schmücken beabsichtigt, wird vielleicht der 29. September zeigen. Jetzt kann man nur hoffen, dass sich die Dame beim Sprung vom Thespiskarren in die türkise Jauche nicht allzu schwer beschädigt hat, und versuchen, den geistigen Beitrag auch der Produzenten von "Wir für Kurz" zu würdigen. Schließlich liegt die Verantwortung für die Veröffentlichung bei ihnen.

Ebenso wie das nicht zu fassende Glück über einen Kanzler Kurz bleibt es jeder Bürgerin, jedem Bürger unbenommen, "entsetzt" über einen Misstrauensantrag zu sein, der dieses Glück mit Füßen tritt. Die Ursache dieses Entsetzens ausschließlich in der völligen Verblödung der SPÖ-Vorsitzenden zu entdecken riecht aber zu sehr nach ablenkender Message-Control, wenn man sich erinnert, dass hinter diesem Misstrauensantrag neben Pamela Rendi-Wagner auch noch eine Mehrheit des Nationalrates stand und dass er nie erfolgreich gewesen wäre, hätte der Glückspilz des Landes nicht zuvor die eigene, wiederholt als wunderbar definierte Regierung gesprengt. Im Vergleich zum Maturanten ohne weitere Ausbildung wird eine ausgewiesene Wissenschafterin den Vorwurf völliger Verblödung auch deshalb sehr leicht wegstecken können.

Rechtspopulistische Zeiterscheinung

Was an diesem Video übel riecht, ist der nicht zum ersten Mal lancierte Versuch, den demokratischen Vorgang einer parlamentarischen Abstimmung, deren Ausgang einem nicht gefällt, im Bewusstsein der Bevölkerung als die moralische Ruchlosigkeit von Einzelpersonen, praktiziert an einer reinen Führergestalt, erscheinen zu lassen. ÖVP-Plakate, in denen das Parlament gegen das sogenannte Volk ausgespielt wird, zielen in dieselbe Richtung. Es handelt sich dabei nicht um eine zufällige, vereinzelt wahlkampfbedingte Entgleisung, sondern um eine rechtspopulistische Zeiterscheinung, die wir aus anderen Staaten kennen und die nun sogar im Mutterland der Demokratie angekommen zu sein scheint. Es ist ernst.

Sebastian Kurz und Pamela Rendi-Wagner im Parlament.
Foto: APA/ROBERT JÄGER

Nichts könnte besser zu dem türkisen Video mit Frau Hörbiger passen als die öffentliche Balgerei, die nun zwischen den gewesenen, und, wer weiß, vielleicht auch künftigen Koalitionspartnern um das sprachliche Eigentum eines Jörg Haider stattfindet. Als geistiger Eigentümer fungiert ohnehin Herbert Kickl, diese Ironie – der Anlass des Koalitionsbruchs. Dass die Freiheitlichen sich nicht ändern, damit war zu rechnen. Wie tief es die ÖVP unter Kurz noch zieht, ist offen.

Ob die Koalition der beiden ein Fehler war, wurde Kurz-Intimus Gernot Blümel neulich in der "Presse" gefragt. "Im Nachhinein ist man immer g'scheiter, im Vorhinein kann man in niemanden hineinschauen", demolierte er den Genialitätsanspruch seines Chefs in zwei Sätzen. Die Chance, diesbezüglich g'scheiter zu werden, hätte die ÖVP schon nach Schüssel gehabt. Aber dazu muss man wenigstens in die FPÖ hineinschauen wollen, und wenn es einem noch so sehr graust. (Günter Traxler, 30.8.2019)