Die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg protestierte vergangenen Sommer zum ersten Mal mit ihrem "Schulstreik für das Klima"-Schild vor dem schwedischen Parlament. Seit 28. August 2019 berichtet sie in New York über die zur internationalen Kampagne gewachsene Initiative Fridays for Future (FFF). Für den 20. September 2019 ist ein weltweiter Klimastreik geplant. Das Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin beteiligte sich an einer europaweiten Befragung dieser Klimaaktivisten. Ihre Befunde: Direkte persönliche Kontakte und soziale Medien mobilisierten am stärksten zum Mitmachen. Thunberg hat bei zwei von drei Befragten ein Interesse für das Thema Klima geweckt. Maßgeblich junge, gut gebildete Menschen tragen die FFF-Bewegung, der Anteil von Frauen ist hoch. Im europäischen Vergleich variiert die demografische Zusammensetzung: Der Anteil der 14- bis 19-Jährigen liegt in Österreich bei 38,3 Prozent, in Deutschland bei 51,5 Prozent – und in den Niederlanden bei einem Spitzenwert von 95,8 Prozent. Auch die Zuversicht, dass ihr Protest Veränderungen hervorruft, ist nicht überall gleich groß, aber präsent; sie sind handlungsbereit und politisiert.

Klima ist Topthema, die Rolle der Medien oft indifferent

Die mediale Aufmerksamkeit für die FFF-Bewegung ist weiterhin hoch, bestätigt die Berliner Studie. Anfangs ging es noch um die durch die Streiks verletzte Schulpflicht, ab März 2019 rückten inhaltliche Fragen ins Zentrum: Medien und Politik (die AfD ausgenommen) anerkannten den Klimawandel als bedrohlich. Die Protestierenden beriefen sich auf Klimaschutzexperten; diese formierten sich als Scientists for Future und gaben der FFF-Bewegung Rückenwind. Veranstaltungen und Personen (Thunberg und die deutsche Protagonistin Luisa Neubauer) stehen heute im Mittelpunkt der Berichterstattung.

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Greta Thunberg, Kopf der Klimabewegung.
Foto: REUTERS/Lisi Niesner

Was ohne diese Bewegung geworden wäre, ist nur Spekulation und nicht messbar. Dennoch lässt eine Studie eines kalifornischen Forscherteams (UC Merced) aufhorchen: In den USA gibt es bislang keine mit der FFF-Bewegung anhand der Resonanz vergleichbare Initiative. Es sind im Wesentlichen die Medien, die die Debatte organisieren. Und die geben offenbar Menschen, die das Klima nicht als bedroht betrachten und "gefühlte" Positionen einnehmen, deutlich mehr Raum als Experten der Klimaforschung. Das Team untersuchte die digitalen Spuren von Klimaforschern und -leugnern in rund 200.000 Forschungspublikationen und 100.000 Artikeln in Digital- und Printmedien. Ihre Studie ist ein Weckruf an die Medien. Sie müssen Quellen besser darauf prüfen, ob sie politisch motiviert Falschdarstellungen liefern und den Blickwinkel erweitern, zum Beispiel indem sie weit öfter eine Erzählperspektive aus Sicht der Wissenschaft wählen.

Medien fördern Wissenschaft

Medien könnten durch eine wissenschaftsorientierte Perspektive zudem vom Vertrauen in die Wissenschaft profitieren. Eine Studie des Pew Research Center in New York zeigt: Gegenwärtig wächst das Vertrauen der amerikanischen Bevölkerung in die Expertise der Forschung. Die Werte sind so hoch wie das Vertrauen ins Militär und deutlich höher als das Vertrauen in Medienleute, Wirtschaftsführer und gewählte Amtsträger. Aber es gibt Unterschiede je nach Parteilager: Den Republikanern nahestehende Menschen sind generell skeptischer gegenüber Wissenschaftern als Demokraten – speziell bei Forschung über die Umwelt.

Das Forschungsteam fragte rund 4.500 Bürgerinnen und Bürger, wie sehr sie fünf vorteilhaften und fünf nachteiligen Merkmalen von Wissenschaftern aus den Bereichen Medizin, Ernährung und Umwelt zustimmten. 89 Prozent halten sie für klug, 75 Prozent glauben ihnen, dass sie wirkliche Alltagsprobleme lösen wollen, dass sie teamfähig sind und ehrlich. Sie träten aber oft arrogant auf, seien unbeholfen, könnten nicht gut kommunizieren und hätten Mühe, potenzielle Interessenkonflikte mit der Industrie transparent zu machen, sowie Mühe, Fehler einzugestehen. Jeder dritte Befragte befürchtet, sie seien bereit, moralische Werte der Gesellschaft zu missachten.

Dennoch: Sechs von zehn Amerikanern wollen Wissenschaftern eine aktivere Rolle in politischen Debatten geben. Und je mehr die befragten Bürgerinnen und Bürger mit wissenschaftlichen Herangehensweisen vertraut waren, desto höher ist ihr Vertrauen in Kompetenz, Glaubwürdigkeit und in das Engagement der Wissenschaft für die Öffentlichkeit. Gefragt, was ihren Glauben an wissenschaftliche Erkenntnisse fördern würde, fällt ihr Urteil eindeutig aus: offener Zugang der Öffentlichkeit zu Daten und Prüfung der Forschungsergebnisse durch unabhängige Komitees. Jeder Zweite würde der Zivilgesellschaft gerne eine wichtige Rolle bei der politischen Steuerung der Wissenschaft geben.

Das lässt sich auch als Plädoyer für Citizen-Science sehen, also für Bürgerwissenschaft. Aktive und fachlich begleitete Mitwirkung vertieft das Verständnis davon, wie Forschung funktioniert und warum sie für unsere Gesellschaft wichtig ist. Das Potenzial, hier diverse Gesellschaftsgruppen einzubeziehen, ist bei weitem nicht ausgeschöpft, wie ein Zürcher Forschungsteam zeigt. Die meisten bislang aktiven Bürgerwissenschafter sind weiß, männlich, gut gebildet und hochinteressiert. Aber Interesse bestehe auch bei Frauen in den Fünfzigern und bei Jugendlichen um 18 Jahre, also der Hauptgruppe der FFF-Bewegung; Projektorganisatoren sollten diese Gruppen also jeweils gezielt und direkt ansprechen.

Klimathemen verbessern

Diese Erkenntnisse sollten Journalismus und Kommunikationswissenschaft für eine öffentliche Wissenschaft nutzen. Ein konkreter Schritt wäre zum Beispiel: in Gruppendiskussionen mit Bürgerinnen und Bürgern, Redaktionsmitgliedern und Forschenden herausfinden, welche diversen Ansichten und Ängste zu Klimathemen bestehen und wie Berichterstattung über Klimathemen beschaffen sein muss, damit sie verstanden wird und wirklich informativ ist. Ob mit oder ohne Thunberg-Effekt. (Marlis Prinzing, 2.9.2019)

Marlis Prinzing ist Professorin für Journalistik an der Macromedia-Hochschule in Köln. Medienethik unterrichtet sie auch an der Universität Fribourg in der Schweiz. Die Autorin und Moderatorin ist Herausgeberin der Praxisbuchreihe "Journalismus-Atelier", in der zuletzt die Bände "Recherche im Netz" und "Die Kunst der Story" erschienen sind. Zu ihren Lehr- und Forschungsschwerpunkten gehören auch internationale Journalismuskulturen und Medieninnovation.