Die bisher größte Studie über mögliche genetische Grundlagen unseres Sexualverhaltens konnte keine ganz eindeutigen DNA-Marker finden, aber immerhin einige Zusammenhänge.
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Es ist schon wieder 26 Jahre her, dass der US-Wissenschafter Dean Hamer behauptete, das sogenannte "Schwulen-Gen" entdeckt zu haben: Der Genetiker hatte damals einen spezifischen Abschnitt des X-Chromosoms mit Homosexualität in Verbindung gebracht und damit in der Wissenschaft wie auch in der Öffentlichkeit für einige Aufregung gesorgt.

Ist die Neigung zu gleichgeschlechtlichem sexuellem Verhalten also in erster Linie angeboren? Oder sind es doch verschiedene Umweltfaktoren (von den Hormonen im Mutterleib über die Erziehung bis zu zufälligen Begegnungen), die dafür sorgen, dass sich Menschen stärker vom eigenen Geschlecht angezogen fühlen und homosexuelle Beziehungen leben?

Seit Hamers Studie vor mehr als einem Vierteljahrhundert sind zahlreiche weitere Untersuchungen zu möglichen genetischen Einflussfaktoren bei Homosexualität durchgeführt worden. Dabei zeigte sich zum einen, dass sich das "Schwulen-Gen" nicht bestätigen ließ. Zum anderen wiesen die Studien darauf hin, dass genetische Faktoren wohl nur einen Teil des sexuellen Verhaltens erklären können.

Die bei weitem größte Studie

Ein internationales Forscherteam um den US-Genetiker Andrea Ganna (Broad Institute) hat in den letzten Jahren die mit Abstand größte genetische Untersuchung zu dem Thema durchgeführt. Bei dieser sogenannten genomweiten Assoziationsstudie (GWAS) wurden die Genome von rund 500.000 Personen danach durchgescannt, ob sich Zusammenhänge zwischen ihrem sexuellen Verhalten und hunderttausenden verschiedenen DNA-Abschnitten finden ließen.

Die genetischen Informationen der Studienteilnehmer stammten zum größten Teil aus der UK Biobank, zu einem kleineren Teil waren es Freiwillige, die einer Untersuchung ihres Erbguts im Rahmen eines Forschungsprojekts des US-Unternehmens 23andMe zugestimmt und dazu auch Fragebögen zum Sexualverhalten beantwortet hatten.

Insgesamt fanden die Forscher nur fünf Marker im Erbgut, die sich mit homosexuellem Verhalten in Verbindung bringen ließen. Doch die Zusammenhänge waren sehr gering, und zwei der Marker waren nur bei Männern zu finden: Einer der Genabschnitte enthält Sequenzen, die für Geruchsrezeptoren codieren, ein anderer spielt bei Haarausfall eine Rolle.

Verhalten nicht "ablesbar"

Insgesamt kommen die Forscher aber zu dem Schluss, dass Sexualverhalten ein äußerst komplexes Merkmal ist und dass sowohl genetische wie auch Umweltfaktoren dazu beitragen. Genetische Faktoren würden acht bis 25 Prozent der Variation des sexuellen Verhaltens erklären können. Das wiederum bedeutet, dass man aus der DNA eines Menschen nicht ablesen kann, ob eine Person eher hetero-, homo- oder bisexuelles Verhalten zeige.

Die im Fachblatt Science veröffentlichte Studie ist auch noch aus anderen Gründen bemerkenswert: Zum einen haben sich die Forscher mit Vertretern der LGBT-Community (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) vor der Veröffentlichung beraten, um Fehlinterpretationen vorzubeugen. Das führte etwa dazu, dass die Studie einen Unterschied zwischen sexuellem Verhalten und sexueller Identität betont.

Zum anderen haben die Wissenschafter ihre Untersuchungsergebnisse auf der Seite geneticsexbehavior.info für die interessierte Öffentlichkeit mustergültig aufbereitet. (Klaus Taschwer, 29.8.2019)